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# taz.de -- Jerkins über Schwarzen Feminismus: „Ohne Twitter wäre ich nicht…
> Morgan Jerkins ist Bestsellerautorin. Ein Gespräch über Filterblasen,
> weiße Weltliteratur und die fehlende Sichtbarkeit Schwarzer Autorinnen.
Bild: „Wer nur weiße Autor*innen liest, kann sich nicht belesen nennen“: M…
taz: Morgan Jerkins, Sie schreiben in Ihrer Essaysammlung „This Will Be My
Undoing“, die Körper Schwarzer Frauen seien ein „target for destruction“,
ein Ziel der Zerstörung. Wie meinen Sie das?
Morgan Jerkins: Als Schwarze Frauen sind wir ständig Angriffen ausgesetzt.
Wenn ich das schreibe, denke ich etwa daran, dass Schwarze Frauen in den
USA dreimal so häufig von Müttersterblichkeit betroffen sind. Ich denke an
die Ärzt*innen, die unsere Schmerzen weniger ernst nehmen. Ich denke an
koloniale Kontinuitäten, an White Supremacy, an systemische Gewalt.
Sie nennen das Misogynoir.
Ja, ein Begriff von Moya Bailey. Er vereint „Misogynie“ und „noir“ und
bezeichnet den Hass auf Schwarze Frauen. Damit wird betont, dass Schwarze
Frauen gleichzeitig von Misogynie und Rassismus betroffen sind.
Sie sind in diesem Wintersemester Gastprofessorin für Literatur an der
Universität Leipzig, einer Ihrer Kurse handelt von Schwarzen
Schriftstellerinnen. Weshalb braucht es solche Kurse?
Am ersten Tag habe ich meine Studierenden gefragt: Wer sind eurer Meinung
nach die großen Namen der Literatur? Sie nannten Joyce, Shakespeare,
Dickensen, Woolf. Keine der genannten Personen war Schwarz und das ist kein
Zufall. Wenn wir an „große“ Weltliteratur denken, denken wir an weiße
Männer. Das ist zwar ein Nebeneffekt von White Supremacy und nicht die
Schuld meiner Studierenden, aber es ist unsere Verantwortung, das zu
hinterfragen.
Ärgert es Sie, dass Sie einen Kurs spezifisch über Schwarze
Schriftstellerinnen geben müssen, dass diese nicht einfach Teil aller Kurse
sind?
Klar stört es mich, dass wir in einem System aufwachsen, in dem Weißsein
der Standard ist. Die Gesellschaft sagt uns, die Literatur Schwarzer
Autorinnen sei keine Literatur. Um diese Ungerechtigkeit aufzuzeigen,
müssen wir sie benennen und so sichtbar machen. Und dafür braucht es Kurse
wie diesen. Ich würde also eher sagen, dass mich dieser Kurs ermächtigt.
Als ich meine Studierenden fragte, wieso sie ihn ausgewählt haben, sagten
sie mir, sie wären noch nie in einem Kurs dieser Art gewesen.
Ein Kurs dieser Art? Sie meinen von einer Schwarzen Dozentin?
Ich habe meine Studierenden bisher nicht gefragt, ob sie mal eine Schwarze
Dozentin hatten.
Ich hatte keine Schwarze Dozentin, bis eine nigerianische Gastprofessorin
an meine Universität in Berlin kam.
Ich in New York auch nicht. Vom Kindergarten bis zur High School hatte ich
nie Schwarze Lehrende. Würde ich meine Studierenden fragen, würden sie
vermutlich dasselbe sagen.
Können Sie sich erinnern, wann Sie Literatur von Schwarzen Frauen erstmals
wahrgenommen haben?
Obwohl ich zu Hause damit in Kontakt kam, war ich es lange gewohnt, nur
tote weiße Männer zu lesen. Erst mit 22 begann ich, Schwarze
Schriftstellerinnen bewusst wahrzunehmen.
Das ist erst fünf Jahre her …
… wir haben hier und da in der Schule Schwarze Autor*innen gelesen, aber
eben nur selten. Dann habe ich japanische und russische Literatur studiert
und Autor*innen gelesen, die nicht wie ich aussahen. Erst im
Master-Studiengang sagte mir eine weiße Professorin: Du schreibst wie ein
weißer Mann. Natürlich wusste ich, dass ich eine Schwarze Frau bin, aber
ich hatte nicht die Sprache, um meine Marginalisierung auszudrücken.
Sie haben vergleichende Literaturwissenschaften mit einem Fokus auf
japanische und russische Literatur studiert. Was haben Sie da gelernt, das
Sie auch heute beim Schreiben über Schwarzen Feminismus anwenden?
Viele der russischen und japanischen Werke, die mir gefallen haben, handeln
von Erfahrungen der Marginalisierung, der Entfremdung, also von dem, was
Gesellschaften uns als Individuen aufbürden. Da gibt es Überschneidungen zu
Schwarzem Feminismus. Außerdem habe ich gelernt, dass es verschiedene
Perspektiven gibt: Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen kommen zu
unterschiedlichen Schlüssen. Es gibt kein schwarz und weiß, nur Graustufen.
Sie sagten, Literatur von Schwarzen Schriftstellerinnen erfahre kaum
Anerkennung. Nun ist Ihr Buch auf der Beststellerliste der New York Times,
Sie werden von einer deutschen Zeitung interviewt. Ändern sich die Zeiten?
Als Leserin würde ich sagen: Ja, ich sehe in allen Genres sehr viele
Schwarze Stimmen, die veröffentlicht werden. Aber als Literatin glaube ich,
dass wir vorsichtig sein sollten. Blickt man auf die Literaturgeschichte,
sieht man Hochs und Tiefs. Die 1920er oder die 1970er mit der
Bürgerrechtsbewegung waren Phasen, in denen Schwarze Autorinnen vermehrt
publizieren konnten. Die 90er auch. Ich hoffe, diesmal ist es keine Phase,
sondern endlich ein wirklicher Wandel.
Gibt es Widerstand?
Letztens ging einer meiner [1][Tweets] viral. Ich twitterte: „Du bist nicht
belesen, wenn du nur weiße Autoren liest.“ Unglaublich viele haben negativ
darauf reagiert. Ich habe das nicht erwartet, schließlich ist das für mich
eine grundlegende Erkenntnis, wenn wir über Literatur sprechen wollen. Also
bleibe ich dabei: Wer nur weiße Autor*innen liest, kann sich nicht belesen
nennen.
Sie Sind sehr aktiv auf Twitter.
Na klar, ich bin eine Millennial!
Was gefällt Ihnen daran?
Wir müssen einsehen, dass nicht alle Menschen auf dieselbe Weise Zugang zu
Wissen haben. Und viele Menschen, vor allem People of Color, bilden sich
durch das, was auf Twitter geschrieben wird. Twitter baut also
Wissenshierarchien ab, die bestimmen, wer als schlau gilt, wer mitreden
darf. Ohne Twitter wäre ich heute nicht hier.
Schaden Twitter-Filterblasen nicht auch dem gesellschaftlichen Dialog?
Ich weiß nicht, ob das die Frage ist, die wir uns stellen sollten.
Filterblasen sind wichtig für Marginalisierte. Es gibt viel Hass im Netz,
vor allem gegen Frauen of Color. Wir wissen nicht, was sie durchgemacht
haben, welche Traumata sie erlebt haben und was sie darum tun müssen, um
sich zu schützen.
Sie sind eine der leitenden Redakteurinnen von [2][Zora], einem Magazin von
und für Frauen of Color über verschiedenste Themen wie Sex,
Alltagsrassismus oder Bildung. Ist Zora eine Antwort auf dieses Bedürfnis,
eine Blase zu haben?
Sicherlich, aber Zora ist keine Blase. Ich bekomme Themenvorschläge aus der
ganzen Welt: Frauen, die über Sexismus in Mexiko schreiben, und andere, die
über Apps in Indien schreiben, die Reproduktionsmedizin zugänglicher
machen. Ich würde Zora keine Blase nennen, sondern ein offenes Feld.
Manche glauben, People of Color sollten lieber traditionell weiße Räume für
sich einnehmen – also auch Redaktionsräume.
People of Color brauchen ihre eigenen Räume. Ich verstehe, dass wir in
einer Welt, in der uns die Macht vorenthalten wurde, versuchen sollten, so
viel Macht wie möglich zu bekommen. Aber wir sollten uns nicht nur darauf
konzentrieren, von Weißen gesehen zu werden. Letztendlich brauchen wir
beides: Zugang zu traditionell weißen Räumen und gleichzeitig ein Zuhause
für uns.
Auch die Redaktion der taz ist ziemlich weiß. Wie kann die Gesellschaft
traditionell marginalisierte Stimmen besser einbinden?
Allgemein gesagt: Hört einfach zu. Die Stimmen sind da, man muss ihnen nur
zuhören.
26 Nov 2019
## LINKS
[1] https://twitter.com/morganjerkins/status/1190666869411328007
[2] https://zora.medium.com/
## AUTOREN
Simon Sales Prado
## TAGS
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