# taz.de -- NS-Anhänger als Namensgeber: Was tun mit Sauerbruch und Ford? | |
> Über Namensgeber von Straßen und Gebäuden wird heute kritischer geurteilt | |
> als früher. Das zeigen Debatten an der Charité und der Freien | |
> Universität. | |
Bild: Der Chirurg Sauerbruch vor der Entnazifizierungskommission für Ärzte 19… | |
BERLIN taz | Nach dem Beschluss zur [1][Umbenennung der Beuth Hochschule] | |
steigt der Druck auf andere Einrichtungen, sich von problematischen Namen | |
zu trennen. So erneuerte der AStA der Freien Universität jetzt seine alte | |
Forderung nach Umbenennung des Henry-Ford-Baus. | |
„Dass Ford ein Antisemit war und sein Vermögen, welches den Henry-Ford-Bau | |
finanziert hat, auch auf der Ausbeutung von Opfern des Nationalsozialismus | |
beruht, steht außer Frage“, sagt Fabian Bennewitz, AStA-Referent für | |
Hochschulpolitik. Die Ende Januar beschlossene Umbenennung der Beuth | |
Hochschule zeige, dass eine Distanzierung von AntisemitInnen „nötig und | |
möglich“ ist. Die Studierenden fordern den Akademischen Senat und das | |
Präsidium der FU daher auf, ein „transparentes Verfahren zur Umbenennung | |
einzuleiten“. | |
Auch an der Charité wird man ungeduldig: Schon im Sommer 2018 hatten die AG | |
Kritische Mediziner*innen und andere Hochschulgruppen den Vorstand in einem | |
offenen Brief um Stellungnahme geben, wie man dazu stehe, dass Ferdinand | |
Sauerbruch und Karl Bonhoeffer weiterhin Namensgeber für Wege auf dem | |
Gelände von Deutschlands größter Klinik sind. Beide Ärzte waren eng in den | |
Nationalsozialismus verstrickt. Bis heute habe man auf den Brief keine | |
Antwort bekommen, so einer der Kritischen Mediziner*innen, Marinus Fislage, | |
zur taz. | |
Karl Bonhoeffer, heute vor allem bekannt wegen seines Sohnes Dietrich, der | |
als Widerstandskämpfer noch kurz vor Kriegsende im April 1945 hingerichtet | |
wurde, war als Direktor der Psychiatrischen Klinik der Charité sowie nach | |
seiner Emeritierung 1936 an zahlreichen Gutachten zur Zwangssterilisation | |
von „erbkranken“ PatientInnen beteiligt. | |
## Bekenntnis zum „Führer“ | |
Weit prominenter ist der Fall Ferdinand Sauerbruch, seit der Weimarer Zeit | |
Deutschlands bekanntester Chirurg und allseits verehrter „Halbgott in | |
Weiß“. Ein Mythos, der bis heute durch Arztfilme und Serien (zuletzt: | |
[2][„Charité“ in der ARD]) gepflegt wird und eine andere Seite Sauerbruchs | |
ziemlich vernachlässigt: seine zutiefst deutschnationale Überzeugung, die | |
ihn ab 1933 mehrfach zu öffentlichen Bekenntnissen für den | |
Nationalsozialismus und seinen „Führer“ getrieben hat. | |
Und Sauerbruch habe sich nicht nur für die NS-Propaganda einspannen lassen, | |
schreibt der Medizinhistoriker Wolfgang Eckart in einem Aufsatz über den | |
Arzt und die Charité 1933 bis 1945. Als medizinischer Gutachter des | |
Reichsforschungsrats habe er zudem Forschungsprojekte in | |
Konzentrationslagern befürwortet, unter anderem jene von Josef Mengele in | |
Auschwitz. Dass der Chirurg die Anträge nur unterschrieben, aber nicht | |
gelesen, von Menschenversuchen daher nichts gewusst habe, wie manche | |
meinen, hält Eckart für ausgeschlossen. „Wer die Quellen studiert hat, kann | |
ihn nicht rehabilitieren“, so der Experte, der mehrere Bücher zum Thema | |
publiziert hat, zur taz. | |
Zwar sei es auch wahr, dass Sauerbruch einem jüdischen Assistenzarzt zur | |
Flucht verholfen habe und nie Parteimitglied gewesen sei. Insgesamt ist für | |
Eckart jedoch klar: „Auch wenn Sauerbruch gerade für die Charité ein | |
Volksheld ist: Was er zwischen 1933 und 1945 gemacht hat, hat nichts mehr | |
mit Vorbildfunktion zu tun. Man sollte keine Straßen mehr nach solchen | |
Menschen benennen. Die Charité sollte sich von Sauerbruch trennen.“ Besser | |
wäre es, findet Eckart, wenn die Klinik mit den Straßen auf ihrem Gelände | |
MitarbeiterInnen ehrt, die Opfer des NS wurden und/oder im Widerstand | |
waren. | |
In diese Richtung denken auch Charité-Student*innen: Seit Juli 2018 wurden | |
die umstrittenen Wege drei Mal symbolisch umbenannt, zuletzt im November in | |
Käthe-Frankenthal-Weg und Emma-Haase-Weg – nach einer jüdischen Ärztin und | |
einer kommunistischen Krankenpflegerin, die ab 1933 verfolgt wurden. | |
## Debatte an der Charité | |
Bislang hat die Charité-Leitung das Anliegen weitgehend ignoriert. Nun aber | |
will sich der neue Vorstandsvorsitzende Heyo Kroemer, offenbar | |
aufgeschreckt durch die Nachfrage der taz, mit der AG Kritische | |
Mediziner*innen treffen, wie Charité-Sprecherin Manuela Zingl erklärte. | |
Auch bei der FU scheint Bewegung in die Sache zu kommen. „Die | |
Universitätsleitung steht einem Gedankenaustausch offen gegenüber“, so der | |
Sprecher von Uni-Präsident Günter Ziegler auf taz-Anfrage. Gleichzeitig | |
hält er an der Erklärung fest, mit der die Unileitung schon 2007 die | |
Diskussion abwürgte: Namensgeber des Gebäudes sei gar nicht der berühmte | |
Fließbanderfinder, Antisemit und Kriegsgewinnler, sondern sein Enkel Henry | |
Ford II. | |
Belege dafür habe man allerdings nie präsentiert, sagt AStA-Referent | |
Bennewitz. Doch plötzlich habe Ziegler vorige Woche im Akademischen Senat | |
erklärt, inzwischen gebe es, anders als 2007, solche Dokumente. Das ganze | |
Thema werde nun bei der nächsten Senatssitzung im April diskutiert. „Aber | |
selbst wenn der Enkel wirklich der Namensgeber ist, wäre das Thema für uns | |
nicht erledigt“, so Bennewitz. | |
Zum einen komme das Geld der von Henry Ford II. gegründeten Stiftung ja aus | |
dem Unternehmen und seinen teils verbrecherischen Geschäften mit | |
Nazi-Deutschland. Zum anderen ist laut Bennewitz der genaue Namensgeber am | |
Gebäude nicht zu erkennen. „Und die Gefahr der Verwechslung mit dem viel | |
bekannteren antisemitischen Großvater bleibt bestehen.“ | |
18 Feb 2020 | |
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[1] /Beuth-Hochschule-waehlt-Umbenennung/!5659206 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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