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# taz.de -- Ski fahren in Zeiten des Klimawandels: Die letzte Abfahrt
> Unser Autor stand schon als Kind auf Skiern. Irgendwann empfand er statt
> Skispaß nur noch Skischam – wegen der Umwelt. Ein Abschied von der Piste.
Bild: Schlechte Aussichten: Die Zukunft des Skifahrens in Deutschland
Die Skier stehen in einem großen Schrank des Hobbyraums, links neben der
Modelleisenbahn. Noch hinter den Rollerblades, von denen ich nicht weiß,
wem die mal gehört haben sollen. Der Skianzug auf dem Bett meines
Kinderzimmers ist AfD-blau. Kein Mensch würde sich heute so einen Skianzug
kaufen. So ein Blau wäre viel zu obszön. Aber anziehen muss ich ihn heute
wohl oder übel, denn es ist mein Skianzug. Er ist ein Relikt aus meiner
Jugend, als ich an Wintermorgen wie diesem in den Keller ging, meine Skier
und Skischuhe holte, und in das Auto einer meiner Schulfreunde stieg – in
Richtung Skigebiet – in die blaue, naive Freiheit. Es waren schöne Zeiten.
Ohne AfD. Ja auch die große Koalition gab es noch nicht. Und wenn, dann
wäre das alles sowieso völlig egal gewesen.
Vor uns der Berg, die erste Gondel, die ersten Schwünge auf dem riesigen
knirschenden Teppich der Pistenraupe, angeschienen von der frühen kalten
Wintersonne. Ski fahren war eine Liebe, schüchtern zwar, mit komplexen
Anläufen, aber immer wieder sehr leidenschaftlich.
Ich ließ immer alle vorfahren, und dann kam ich. Ich stieß mich ab, warf
mich in die Kanten, ließ mich hinauskatapultieren. Zeichnete in das weite
Weiß meine Schwünge. Aus dem leuchtenden Gipfelmorgen in das Blau des Tals.
Mein Atem und das Pfeifen des Winds. Und im Wald dann nur noch Stille. Eine
Jugend in Oberbayern, eine Jugend im Schnee.
Zum Studium 2006 zog es mich in die Ferne, ins Flachland. Und die Welt
wurde eine andere. Bis auf ein-, zweimal mit Freunden habe ich meine Skier
nicht mehr benutzt – erst wegen des Geldes und dann aus Überzeugung. Heute
lade ich das Zeug in meinen Golf, kratze den dünnen Eisfilm von meiner
Windschutzscheibe und frage mich, ob die Überwindung je größer war als in
diesem Moment, einem großen Vergnügen entgegenzufahren. Was für ein
Blödsinn!
In das folgende Experiment willigte ich nur unter der Bedingung ein, dass
die taz die Fahrtkosten und den Skipass zahlt. Es ist mir ernst. Es sind
ein paar Dinge sehr ernst geworden. Und so etwas wie Ski fahren ist Teil
dessen, was ich als ernsthaftes Problem betrachte. Menschen, die für ihren
Freizeitspaß sehr viel Geld ausgeben, sehr viele Kilometer zurücklegen, um
dann auf Millionen Litern gefrorenen Wassers die fragilsten Naturräume
Mitteleuropas zu durchschneiden.
Massentourismus in den Alpen ist Gift für den Artenschutz, und er steckt in
einer Sackgasse. Denn in etwa dreißig Jahren wird wohl an den meisten Orten
Schluss damit sein. [1][Ski fahren ist Blödsinn in gleich mehreren
Dimensionen.] Und gerade deshalb fahre ich heute Ski. Ich will wissen, oder
besser spüren, was einen dazu treibt, diesen Mist Winter für Winter zu
wiederholen. Und ob es einen Plan gibt – für die Zeit nach der großen
Sause.
„Ich sage Ihnen mal was.“ Peter Lorenz, ein gemütlicher Mann mit rundem
Gesicht und Nickelbrille, sitzt am bäuerlichen Holztisch in seinem Büro
unterhalb der Brauneck-Bahn. „Es gibt so viele Leute, die einen Plan für
den Klimawandel haben. Wir haben keinen.“ Lorenz ist Geschäftsführer von
zwei Skigebieten in den bayerischen Voralpen. [2][Das Brauneck ist der
Hausberg der Münchner*innen, 1.555 Meter hoch] – die erste Skigelegenheit
in den Voralpen.
## Uncoole Schlepplifte
„Wir wissen, dass Ski fahren in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren
möglich ist“, erläutert Lorenz die Fakten. Die sind für den Geschäftsmann
ziemlich einfach. Zehn bis fünfzehn Jahre dauert es, bis sich die neue
Sesselbahn auf dem Südhang finanziell lohnt. Zusammen mit der
Beschneiungsanlage hat sie 10 Millionen Euro gekostet. Offenbar noch
machbar.
Früher fuhren Wintersportfreunde mit dem Zug die gute Stunde aus München
nach Lenggries. Und stapften den Berg hoch. 1957 eröffnete dann die
Kabinenbahn, die bis heute die Wanderer*innen und Skifahrer*innen von
ganz unten auf den Gipfel bringt. Dazu kamen weitere kleine
„Aufstiegshilfen“, meistens Schlepplifte, die in meiner Kindheit in den
Neunzigern vorherrschten. Ziemlich uncool damals, gegenüber Österreich mit
seinen Express-Sesselbahnen.
Im Skikursbus karrte man uns Münchner Vorstadtkinder morgens in den
Isarwinkel. Und als meine Familie an den Alpenrand zog, waren wir
samstagmorgens in zwanzig Minuten an der Gondel – vor allen Münchner*innen,
die sich teils über eine Stunde in der Schlange stauten. An Wochenenden
kommen heute zwischen 5.000 und 8.000 Menschen zum Brauneck. Im Vergleich
zu Skigebieten in Tirol ist der Parkplatz riesig. Die meisten hier sind
Tagesgäste.
Peter Lorenz greift sich seinen Helm und seine Skier und schiebt mich aus
dem Büro, nach oben zur Gondel. Wir fahren hinauf. Die Wipfel der Fichten
tragen eine dünne Schneeschicht. Die Woche war durchwachsen. Vorgestern hat
es bis auf 2.000 Meter hinauf geregnet. Dazu Orkanböen. „Wir haben das
Skigebiet zwei Tage lang zugemacht und den Schnee nicht angerührt.“ Dann
schneite es einen halben Tag lang und sie halfen in zwei kalten Nächten mit
Schneekanonen nach. „Sie werden sehen, die Schneebedingungen sind optimal.“
Kurz nach der Talstation überquert die Bahn den Garlandkessel. Stolz blickt
Peter Lorenz auf den ovalen Beschneiungsteich, den sie hier künstlich
angelegt haben. Ein Speicher für Wasser, der mehr als 100.000 Kubikmeter
fasst. Früher war dort ein Wäldchen, meine snowboardenden Handballkumpels
bauten dort Sprungschanzen in den Tiefschnee. [3][Heute gibt es hier
planierte Pisten um den Teich.] Er ist zu zwei Dritteln leer. Die
Schneekanonen haben ihn ausgetrunken. In einem Winter, den ich zu Hause in
München eher als regnerische Pause vom Sommer wahrnehme.
Alfred Ringler ist seit Jahrzehnten Kritiker der künstlichen Beschneiung.
Der Naturschützer lebt im Voralpenland und hat nichts gegen Skifahren an
sich: „doch sollten die Berge von oben bis unten verschneit sein“. Auf
natürliche Weise. Den Biologen stören vor allem die vielen Wasserleitungen,
die in die Hänge gegraben wurden, um Schneekanonen zu versorgen. Damit
zapfe man empfindlichen Feuchtgebieten das Wasser ab – in denen sogar
Bachforellen überwintern könnten.
[4][Die Bergbahnbetriebe verschleierten mit ihren Schneekanonen die
Realität]: „Wir unterhalten da künstlich Skizentren, obwohl die
Schneeverhältnisse vielleicht schon seit zwanzig Jahren gar nicht mehr
ausreichen.“
Schneekanonen haben die Bäume ersetzt
Peter Lorenz, der Geschäftsführer der Bergbahn am Brauneck, sieht es
andersherum: „Wir haben viel bessere Winter als vor zwanzig, dreißig
Jahren.“ Er meint damit die Schneeverhältnisse, die sich heute künstlich
regulieren lassen. Das kann ich bestätigen. Früher fuhr ich hier oft auf
braunen Pisten, über die immer wieder Steine rieselten, die die Skier
zerkratzen. Heute fährt es sich auf allen Abfahrten solide. Der Schnee ist
griffig und idiotensicher.
Ich werfe mich in die zuckerguss-weiße Wonne. Und weiß doch, es ist ein
künstliches Paradies. An manchen Waldstücken, durch die ich früher so gern
fuhr, weil sie etwas Verwunschenes hatten, [5][haben Schneekanonen die
Bäume ersetzt.] Ich fühle Skischam. Oder ist das nur mein urbaner
Lebensstil, mit dem ich so was wie SUVs, Plastik und Ski fahren verachte?
Meine Skifahrerkarriere gehörte zu einer Kleinstadtjugend, in der man sich
den Freundeskreis nicht nach politischer Haltung aussuchte. Auf den Sport
konnten wir uns einigen. Gemeinsam waren uns vor allem die Eltern, die uns
den Skipass sponserten. Und: Auf Skiern war ich nicht annähernd so ungelenk
und kraftlos wie beim Schulsport. Ich wurde respektiert.
Heute arbeitet einer meiner besten Ski-Freunde bei einer Bank, ein anderer
kandidiert gerade auf der CSU-Liste für den Gemeinderat seines Heimatdorfs
am Fuß des Braunecks. Wir treffen uns noch auf Geburtstagen und mögen uns
irgendwie. Aber wir teilen fast nichts mehr. Habe ich mich von ihnen
entfremdet? Steckt in der Skischam in Wahrheit auch das
Überlegenheitsgefühl, es rausgeschafft zu haben aus meiner langweiligen
Kleinstadt, in der das Skifahren vor allem für unkritischen Konformismus
stand?
Meine Skischam bekommt auf der Piste nun Gesellschaft, auf der
Finstermünz-Abfahrt treffe ich Claudia Stamm. Sie war Landtagsabgeordnete
bei den bayerischen Grünen, bis ihr die Partei 2017 zu stark in die Mitte
rückte. Sie gründete die linksökologische Partei „Mut“ und scheiterte an
der Fünfprozenthürde. Keine Politikerin kämpfte so erbittert gegen das neue
bayerische Polizeiaufgabengesetz wie sie. An diesem Vormittag schwingt
Stamm über die Piste wie eine Schneekönigin.
Ein paar Tage, bevor der Kommunalwahlkampf beginnt, entflieht sie kurz dem
Münchner Alltag – „weil es so schön ist“, sagt sie. Nach zwei Liftfahrt…
sind wir per Du. Auch für sie ist das Skifahren ein Konflikt. Sieben Jahre
lang pausierte sie. „Ich wollte dann nur noch dort Ski fahren, wo es keine
künstliche Beschneiung gibt. Doch das geht nicht mehr.“ Dass die bayerische
Staatsregierung den Ausbau von einigen Skigebieten auch weiterhin mit
Steuergeld unterstützt, Projekte die ökologisch keinen Sinn machten, sei
für sie „ein No-go“.
Beim gemeinsamen Einkehren auf der sonnenüberfluteten Panoramaterrasse
bestelle ich eine Gulaschsuppe. Wer Ski fährt, kann auch Fleisch essen.
Sonst mache ich das so gut wie nie. Hand aufs Herz: Was machen wir hier
eigentlich? Karneval? Claudia Stamm antwortet entschieden. Sie fühle sich
gerade nicht schlecht. „Ich war nie der Öko bei den Grünen“, sagt sie. Da
muss ich nicken. Ich bin kein Öko. Aber muss ich deshalb Ski fahren?
Aus Sicht des Bergbahngeschäftsführers veredelt das Skifahren die Bergnatur
erst so richtig. Dass der Kunstschnee den Berg aufweiche und zu mehr
Bergrutschen führe, sei „ein Schmarrn“, sagt Peter Lorenz. Am Brauneck habe
es schon immer kleine Bergrutsche gegeben. Daher ja auch der Name:
Brauneck. Lorenz ist überzeugt: Mit dem Kunstschnee schütze man die
Grasnarbe, weil die Skifahrer*innen sie jetzt nicht mehr durch die
Skikanten verletzen.
Vom sogenannten sanften Tourismus hält Peter Lorenz nicht viel. Dass
jenseits des massenhaften Fremdenverkehrs eine Zukunft liegt, glaubt er
nicht. Er weiß, dass es in einigen Jahrzehnten auf dem Brauneck vorbei ist
mit dem Skifahren. „Aber sicher ist auch, dass da weiter eine Bahn
hochgeht.“ Das Geschäft gehe weiter. Schon heute sei man ein beliebtes
Wanderziel.
Wie der Bergtourismus im Sommer aussieht, habe ich im vergangenen Jahr
erfahren. Vor ziemlich genau acht Monaten drückte die Luft gewittrig über
den Allgäuer Alpen, tintenblaue Wolken schoben sich vor die Sonne, und ich
irrte mit Lucia Böck über Almwiesen, auf der Suche nach einem Weg zum
Gipfel des Grünten. Lucia Böck ist das Gesicht von Fridays for Future in
Kempten. Auf dem Grünten hat sie Ski fahren gelernt – wie viele im
schwäbischen Teil von Bayern.
Die 19 Jahre alte Studentin hatte ihre Fridays-for-Future-Demopappe auf den
Rucksack geschnallt, sie wollte „einen weiteren Schlag ins Gesicht des
Klimaschutzes verhindern“. Immer wieder passierten wir auf unserem Weg die
Relikte von Schleppliften, verbarrikadierte Lifthäuschen, rostige
Stützpfeiler, um die herum sich Schmetterlinge jagten.
2017 hat das Skigebiet hier Pleite gemacht. Eine Familie, die im Ort am Fuß
des Grünten wohnt, wollte den Berg wieder flottmachen: die Schlepplifte
abreißen, stattdessen eine moderne Sesselbahn.
[6][Gerade weil der Klimawandel ansteht], wollte die Familie die Sesselbahn
auch im Sommer betreiben. Und um den Action-Faktor für die
Besucher*innen zu erhöhen, wollte sie den Grünten-Glider bauen, eine Art
Hänge-Sommerrodelbahn, die an Bäumen befestigt gewesen wäre. Weil Fridays
for Future protestierte und mit anderen Umweltschutzverbänden eine
Menschenkette um den Berg herum organisierte, sprach die Investorenfamilie
bald nicht mehr vom Grünten-Glider, sondern nur noch von einer
„Walderlebnisbahn“. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro
Stunde. „Der Grünten ist kein Rummelplatz“, sagte Lucia Böck damals.
Die Bergachterbahn wurde im Dezember 2019 abgeblasen, weil sich vor allem
an diesem Teil des Projekts die Geister schieden. Für die einen, wie Lucia
Böck, wäre die Hängeachterbahn durch den Bergwald der maximale Affront
gegen die Tierwelt gewesen. Für die anderen eine Weltneuheit – und damit
ein Leuchtturm für die Urlaubsregion. Von weit her wären die Leute gekommen
wegen eines Nervenkitzels, den es in vergleichbarer Stärke nur auf Skiern
und Snowboards zu erleben gibt. Der Grünten-Glider wäre eine
Adrenalinreserve für die Zukunft des Allgäuer Bergtourismus gewesen:
klimawandelsicher.
Der Wirt auf der winzigen Gipfelalm berichtete von guten Verkäufen im
Winter. Es kämen jetzt statt der Alpinskifahrer*innen
Skitourengeher*innen auf den Grünten. Nette Gäste. Alle sind aus
eigener Kraft hochgekommen, haben sich angestrengt, alle sind zufrieden.
Mit dem sanften Tourismus ohne Lifte komme er gut klar.
[7][Ski fahren oder nicht?] Bei dieser Frage geht es nicht nur um Skifans
wie mich, Pistenbetreiber wie Peter Lorenz und einzelne Wirte hoch oben auf
dem Berg – meistens hängen ganze Regionen am Skitourismus.
## Die Skischulleiterin schaut neidisch über die Grenze
Michi Gerg leitet eine Skischule mit 60 Skilehrer*innen am Fuß des
Brauneck. „Die Wetterextreme sind heute viel stärker, und die Schneegrenze
hat sich nach oben entwickelt“, sagt sie. Ist hier in zwanzig Jahren
Schluss? „Das könnte realistisch sein.“ Michi Gerg trägt ihre blonden Haa…
offen und blickt beim Gespräch immer ein bisschen nach oben, bergwärts,
erhaben, strahlend, wie alle Skiprofis beim Interview in der „Sportschau“.
1989 holte sie Bronze bei der Weltmeisterschaft beim Super-G in Vail. Ihr
Großvater baute den ersten Schlepplift im Isarwinkel. „Er war ein Künstler,
ein Visionär“, sagt sie. Manche glaubten damals, er sei übergeschnappt. Bis
sie erkannten, dass er mit dem Schlepplift eine Geldquelle aufgetan hatte.
Auch Gerg würde „hier gern was ganz Großes hinbauen“. Klimawandel hin oder
her. Lohnen würde es sich noch. Doch die Baugenehmigungen für den Zielhang
sind in Bayern schwer zu bekommen. Sie schätze das ja, dass man hier nicht
alles „zubaut wie in Tirol“. Aber irgendwie schaut sie auch neidisch über
die Grenze. „Wenn man dort beim Tourismus A sagt, sagt man auch B.“
Was kommt nach dem Skifahren? Da könne man Wander- oder Mountainbiketouren
anbieten, ist sich Michi Gerg sicher. „Man muss halt umdenken. Das Leben
bietet viele Chancen.“ Sagt sie und lächelt wie nach einer Siegerehrung.
Was würde dieser Ort verlieren mit dem Skigebiet? Michi Gerg zögert nicht:
„Viele Kinder würden nicht mehr Ski fahren lernen, wenn ihre Eltern dafür
bis nach Österreich fahren müssten.“
Doch was, wenn diese Kinder gar nicht wüssten, was für ein Glück ihnen
entgeht? Ich habe noch keine. Nachfrage bei Jonas, meinem Bruder,
Umweltingenieur und Vater von zwei Kindern. Er sagt: Sollte der Nachwuchs
beim Besuch von Oma und Opa am Alpenrand mal den Wunsch äußern, Ski zu
fahren, „dann werden wir das nicht verhindern“. Aber ihn aktiv in den
Skikurs zu stecken – „das macht keinen Sinn.“
Wie unterscheidet sich das doch von meinen Eltern, die uns frühmorgens zum
Skikurs karrten, ob wir wollten oder nicht. Die ersten Skitage sind kalt
und hart und ziemlich steil. Ich musste mich überwinden. Freiwillig hätte
ich es nie angefangen. Aber Ski fahren, das gehörte dazu wie
Schwimmenkönnen oder den Führerschein machen. Überall mitmachen zu können,
das war das bürgerliche Projekt meiner Eltern. Und unser bürgerliches
Projekt ist es, unseren Kindern die Autonomie zu vermitteln, nicht alles
mitmachen zu müssen.
Meine Familie tut sich schwer bei der Frage: [8][Klima versus Urlaubsspaß.]
„Na, wie war’s am Arlberg?“ Diese Frage an meinen Vater hat sich
ritualisiert. Mein Vater schwärmt in unseren Telefonaten meistens von dem
griffigen Schnee und der Sonne da oben. Ich bade dann selbst für die
Sekunden seiner Antwort in einer imaginären Höhensonne – umgeben von weiß
gezackten Zweieinhalbtausendern. Vielleicht reicht mir das, denke ich: die
Erinnerung an etwas sehr Schönes.
Doch ausgerechnet in diesem Jahr hängt mein Vater noch etwas an. Er und
meine Mutter haben sich beim Treffen mit meinen drei Brüdern darauf
verständigt, im kommenden Jahr zusammen in den Skiurlaub zu fahren. So
richtig mit ordentlichen Abfahrten, Sauna, schönem Abendessen und Bier in
der urigen Dorfbar.
Ich schaffe es, das Gespräch zu beenden und dabei weder meinen Vater in
seinem Enthusiasmus zu vergrätzen noch „toll“ zu sagen.
Meine Brüder, denke ich, was ist denn mit denen los? Vor allem mit Jonas.
Er berät in Leipzig Betriebe, wie sie die Energiebilanz verbessern können,
und wohnt zusammen mit seinen Kindern und seiner Frau, die ihre
Doktorarbeit zur juristischen Durchsetzung von Windrädern geschrieben hat,
in einer Mehrfamilien-WG. Zusammen mit Menschen, die in NGOs daran
arbeiten, das Postwachstum gesellschaftsfähig zu machen.
Die Windeln sind aus Stoff, der Kohlrabi aus der Kooperative. Seinen
Arbeitsplatz hat sich Jonas auch nach der Erreichbarkeit mit dem Rad
ausgesucht. Einer wie Jonas muss gute Gründe haben, warum er aktiv für
einen Skiurlaub eintritt. Zeit für ein ernsthaftes Telefonat.
Er wird nachdenklich, als ich das Thema anspreche. „Skifahren braucht man
tatsächlich nicht“, sagt Jonas, er, der Ingenieur, sieht die Dinge gern
analytisch. Skifahren sei ein „Tick Hedonismus Plus“. Wir schweigen. „Wie
seid ihr auf die Idee gekommen?“, will ich wissen. In Jonas’ Antwort bricht
nun immer wieder ein schalkhaftes Lachen durch. Es sei beim letzten Treffen
mit unseren beiden Brüdern passiert, bei dem ich nicht dabei war. Man hätte
getrunken, gelacht, Kindheitserinnerungen ausgetauscht – und dann: „Wir
hatten einfach mal wieder richtig Bock auf Skifahren“, sagt mein Bruder.
Wünsche gegen Moral. Herz über Kopf. Es ist der Gegensatz unserer Zeit.
Jeder muss damit umgehen – denn völlige Enthaltsamkeit ist schwierig.
Interessant ist, welche Strategien Menschen finden, um mit den
Widersprüchen umzugehen. Manche kaufen sich einen SUV und treten
gleichzeitig bei den Grünen ein. Manche fliegen nicht mehr, um weiterhin
Rindfleisch zu genießen. Kompromisse eben.
Gerade Skifahren sei doch eine ideale gemeinsame Aktivität. „Man ist
draußen, kann im Lift miteinander reden – auf der Piste kann wieder jeder
sein Ding machen“, sagt Jonas. Natürlich könne man im Skiurlaub ja auch mit
Mama langlaufen. Oder einfach nur spazieren gehen. „Aha“, sage ich. Das
klingt nach Kompromiss.
Meine vier Stunden am Brauneck sind um. Ich bin am Parkplatz, die Sonne
steht tief. Vereinzelt treffen noch Leute ein, die zur Bergbahn stiefeln
und die Frau am Schalter um eine Nachmittagskarte bitten: „Einmal Happy
hour.“
Ich schaue zurück, die Hänge des Bergs hoch, die immer noch so
herzzerreißend wenig befahren sind. Ich greife zu meinem Autoschlüssel. Da
fällt es mir wieder ein. Nach dem Interview im Büro der Bergbahn, hat mir
der Geschäftsführer Peter Lorenz da nicht etwas zugesteckt? Ich suche in
den Taschen, da spüre ich eine zweite Karte: ein Tagespass. Mein Herz
schlägt schneller. Ich kehre um, stapfe zur Bergbahn, poltere durch das
Drehkreuz und sitze wieder in der Gondel.
Mir gegenüber sitzt ein Snowboarder mit Rauschebart. Er kommt aus einem
Nachbarort und hat eine Saisonkarte. Ich weihe ihn in meinen
Gewissenskonflikt ein. Seine Antwort kommt schnell: Gott will es so. Gott
will, dass wir uns an der Natur erfreuen. Und wollte er es nicht, dann
hätten die Menschen auch nicht das Skifahren erfunden. Eine bequeme
Antwort.
Wollte Gott, dass Wasser Hunderte Meter hoch aus Tiefbrunnen gepumpt und
nächtelang aus Druckdüsen herausdampft wird, um die kargen Hänge seiner
unwirtlichen Natur mit künstlichem Schnee zu überziehen? Der Snowboarder
schaut mich verständnisvoll an und empfiehlt die Onlinevideos eines
bekehrten Astrophysikers, der das mit dem Klimawandel mal etwas anders
darstellen würde als die Medien. Sorgen um die Zukunft des Skifahrens müsse
man sich keine machen.
Dann sind wir oben und wünschen einander einen schönen Skitag. Ich steige
in die Bindung, stoße mich ab und werfe mich in den Hang – zu der
wahrscheinlich letzten göttlichen Talabfahrt meines Lebens.
19 Feb 2020
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