# taz.de -- Rechte Geschichtspolitik: Hilfe gegen Kulturkampf | |
> Was tun gegen Revisionismus? Weil Rechte in Gedenkstätten und Museen | |
> zunehmend provozieren, wurde am Holocaust-Mahnmal eine Broschüre | |
> vorgestellt. | |
Bild: Zu Risiken und Nebenwirkungen von rechter Geschichtspolitik fragen Sie di… | |
BERLIN taz | Uwe Neumärker, der Direktor des Denkmals der ermordeten Juden | |
Europas, ist am Donnerstagmorgen sichtlich angefasst. Sein Wortbeitrag | |
beginnt er mit einer bedachtsamen Pause. Dann sagt er: „Mit dem gestrigen | |
Tag hat sich etwas verändert.“ Er sei noch immer etwas sprachlos angesichts | |
der Wahl von Thomas Kemmerich (FPD) zum thüringischen Ministerpräsidenten | |
durch die Stimmen von AfD, CDU und FDP. | |
Als das Holocaust-Mahnmal, eines der meist frequentierten deutschen | |
Tourismusziele überhaupt, 2005 errichtet wurde, hätte es noch den | |
gesellschaftlichen Konsens gegeben, dass wir uns zu in deutschem Namen | |
begangenen Verbrechen bekennen, sagt Neumärker: „Dieser Konsens ist brüchig | |
geworden, das Unsagbare ist wieder sagbar, Gewissheiten von vor fünf Jahren | |
sind keine mehr.“ Das sei gerade in Erinnerungsstätten und Gedenkorten | |
täglich zu spüren. Auch Fragen nähmen zu, die mit typischen Phrasen | |
anfingen wie „Darf man denn hier sagen …?“ oder „Ich traue mich mal …… | |
Um sich vor Provokationen durch Rechtsextreme, störende Landtagsabgeordnete | |
bei Gedenkveranstaltungen und andere Angriffe auf Erinnerungskultur zur | |
Wehr zu setzen, hat die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) am | |
Donnerstag in der Gedenkstätte des Holocaust-Mahnmals eine neue | |
Handreichung „Zum Umgang mit dem Kulturkampf von rechts in Gedenkstätten | |
und Museen“ vorgestellt. Vor Ort sind neben Neumärker auch Bianca Klose vom | |
MBR, Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dirk | |
Behrendt (Grüne), sowie Daniela Bystrom, Kuratorin des Brücke-Museums, die | |
sich von der MBR bereits erfolgreich beraten ließ. | |
„Das Höcke-Zitat vom ‚Denkmal der Schande‘ kennen die Leute. Die Geschic… | |
des Holocaust weniger“, sagt Neumärker. Der thüringische AfD-Landeschef | |
Björn Höcke war bei Weitem nicht der Einzige, aber wohl der Erste, der | |
derart öffentlichkeitswirksam und unverhohlen [1][im Januar 2017] eine | |
„erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte unter dem Gejohle seiner | |
Anhänger:innen im Dresdner Brauhaus. | |
## „Regelrechte Enthemmung“ | |
Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus kann den in | |
Gedenkstätten und Museen schon länger spürbaren Rechtsruck an konkreten | |
Vorfällen festmachen: ob das nun eine Besuchergruppe auf Einladung der | |
AfD-Vorsitzenden Alice Weidel in der [2][KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen] | |
ist, deren Teilnehmer die Existenz von Gaskammern infrage stellen, oder ein | |
[3][rechtsextremer YouTuber], der einer Schülergruppe zuruft: „Glaubt nicht | |
alles, was in Gedenkstätten erzählt wird“, und später daraus einen Beitrag | |
für die Videoplattform erstellt. | |
„Auch die Mitarbeitenden von Gedenkstätten und Museen sind mit dem | |
allgemeinen Rechtsruck in unserer Gesellschaft mit einer regelrechten | |
Enthemmung konfrontiert“, sagt Klose. Rund 23 Anfragen von Berliner Museen | |
und Gedenkstätten hätte die MBR in den vergangenen Jahren erreicht. | |
Vorkommnisse reichten von rechtsextremen und geschichtsrevisionistischen | |
Äußerungen über antisemitische Gästebucheinträge und rechte Shitstorms bis | |
hin zu gezielten Provokationen und Störungen von Gedenkveranstaltungen. | |
Dahinter steht laut Klose eine gezielte Strategie: „Rechtsextreme Gruppen | |
begreifen Geschichtspolitik als wichtiges Aktionsfeld ihres Kulturkampfs.“ | |
Ziel sei ständige Grenzüberschreitung, um Normalisierung und kulturelle | |
Hegemonie, also Deutungshoheit, zu erreichen. „Geschichtspolitik ist ein | |
Kampffeld. Zentraler Akteur ist die AfD“, sagt Klose. Das zeigten | |
Forderungen nach einer „erinnerungspolitischen Wende“ und die | |
„[4][Vogelschiss“-Rede] des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland. | |
Wie umgehen mit Provokationen, Störungen und dem Besuch von AfD-Gruppen? | |
Diese Fragen hätten Gedenkstätten immer wieder der Mobilen Beratung | |
gestellt. | |
Erkenntnisse aus der Beratungspraxis haben nun zur vorgelegten 45-seitigen | |
Handreichung geführt. Die Broschüre rät im ersten Schritt, ein | |
demokratisches Leitbild zu entwickeln. Denn mit den Angriffen auf kritische | |
Erinnerungspolitik ginge es Rechtsextremen „eigentlich um heute: Sie | |
stellen die demokratischen Prinzipien der heutigen Gesellschaft infrage“, | |
so Klose. | |
Demokratische Leitbilder seien Grundlage für die Abwehr von Angriffen. „Das | |
A und O“, sagt Klose von der Beratungsstelle, „ist dabei die inhaltliche | |
Auseinandersetzung. Wie kann ich mich auf die geschichtspolitischen | |
Narrative vorbereiten, dass ich sicher in der Argumentation bin?“ Darüber | |
hinaus sei möglich, Antidiskriminierungsklauseln in Besuchsordnungen zu | |
formulieren, vor Rundgängen respektvolles Verhalten einzufordern, von der | |
AfD geforderte politische Neutralität nicht mit Wertneutralität | |
gleichzusetzen. Man müsse parteipolitisch neutral sein, nicht aber | |
wertneutral. Ein Ausschluss von Rechtsextremen sei keineswegs | |
undemokratisch, heißt es in der Broschüre. | |
„Ob Rechtsextreme erfolgreich sind, hängt von der Haltung der Demokraten | |
ab“, sagt Klose, man dürfe weder Agenda noch Themen der Rechten übernehmen. | |
„Thüringen zeigt, wie brüchig dieser Konsens zu sein scheint.“ Dass | |
Tabubrüche wie dieser nicht hingenommen werden, sei eine wichtige Aufgabe | |
von Gedenkstätten, die wertvolle Diskursräume schaffen, statt nationale | |
Sinnstiftung zu treiben. | |
6 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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