| # taz.de -- Kritik an der Deutschen Welle: Macht und Missbrauch | |
| > Mitarbeiter*innen der Deutschen Welle haben sich an die taz gewandt. | |
| > Sie sagen, das Arbeitsklima sei von Drohungen und Machtmissbrauch | |
| > geprägt. | |
| Bild: Rauhes Klima bei der Deutschen Welle | |
| Berlin taz | Wenn in es in einem Unternehmen zu Vorwürfen sexueller Gewalt | |
| kommt, dann gibt es immer zwei Geschichten. Zum einen die des konkreten | |
| Falls: der mutmaßliche Täter, das mutmaßliche Opfer, die Ermittlungen. Und | |
| zum anderen die Geschichte der Unternehmenskultur. Die beginnt schon lange | |
| vor dem Ereignis und dauert darüber hinaus. Das Betriebsklima ist | |
| entscheidend, wenn es darum geht, ob Betroffene sich melden – und ob Täter | |
| mit Konsequenzen rechnen müssen. | |
| In den vergangenen Monaten sind Mitarbeitende der Deutschen Welle (DW) auf | |
| die taz zugekommen, weil sie, wie sie sagen, seit Jahren unter dem | |
| Betriebsklima im Auslandssender leiden. Auch ein Artikel im [1][britischen | |
| Guardian hat sich diese Woche] mit internen Beschwerden über die Deutsche | |
| Welle auseinandergesetzt. Das Arbeitsklima beim Sender wird darin als | |
| vergiftet beschrieben, eine anonyme Mitarbeiter*in wird mit den Worten | |
| zitiert „Die DW ist ein Sumpf.“ Es ist die Rede von Rassismus, Mobbing und | |
| systematischer Unterdrückung von Kritik. Das ist besonders brisant, weil es | |
| bei der DW einen noch [2][nicht geklärten #MeToo-Fall] gibt. | |
| Die Vorwürfe wiegen so schwer, dass über 80 Mitarbeitende aus verschiedenen | |
| DW-Redaktionen (diese Zahl nennt jedenfalls der Sender) am Mittwoch eine | |
| Gegendarstellung [3][als offenen Brief an den Guardian verfasst haben]. | |
| Zwar seien die beschriebenen Vorgänge inakzeptabel und müssten aufgeklärt | |
| werden. „Aber das Arbeitsumfeld, welches Sie in Ihrem Artikel beschreiben, | |
| hat keine Ähnlichkeit mit dem Newsroom, in dem wir heute arbeiten.“ Dieser | |
| sei „eine hochprofessionelle, freundliche und positive Arbeitsumgebung“. | |
| Worum geht es also? Die taz hat in den vergangenen vier Monaten mit | |
| ehemaligen und gegenwärtigen Mitarbeiter*innen der DW gesprochen, | |
| darunter ein Mitglied des Personalrats. Es geht um mehrere Gemengelagen, | |
| die der Text im Guardian zum Teil vermischt. Einige sind längst bearbeitet, | |
| andere bleiben offen – und sorgen in der Belegschaft für Frust. | |
| ## Vorfälle und Beschwerden | |
| Zum einen ist da der #MeToo-Fall, bekannt [4][seit August 2019 durch einen | |
| Bericht der Zeit]. Ein DW-Moderator soll 2016 in Berlin zwei | |
| Mitarbeiterinnen sexuell belästigt und eine weitere auch vergewaltigt | |
| haben. Der Beschuldigte, der alles bestreitet, hat den Sender im August | |
| 2018 verlassen, die Ermittlungen laufen noch. | |
| Bis heute warten die Mitarbeitenden auf eine Klärung der Vorfälle. Sein | |
| Weggang wurde gegenüber der Belegschaft mit „Erschöpfung“ begründet, was | |
| Kolleg*innen irritierte. „Wir wussten alle, dass er zu Übergriffen | |
| neigt“, sagt ein Redaktionsmitglied. „Aber er hatte Macht, weil er ein Star | |
| war und weil er ein gutes Verhältnis zum Redaktionsleiter und zum | |
| Intendanten hatte.“ | |
| Zweitens ist da der Fall eines Teamleiters in der Sportredaktion, der durch | |
| rassistische und antisemitische Aussagen und durch Mobbing aufgefallen war. | |
| Dieser Fall wird im Guardian hervorgehoben, obwohl man ihn als | |
| abgeschlossen betrachten könnte. Denn aus Gesprächen mit | |
| Mitarbeiter*innen wird klar, dass der Mann seit Anfang 2018 nicht mehr | |
| beim Sender arbeitet. Aus einer internen Beschwerdemail von November 2017 | |
| an die damalige Chefredakteurin Ines Pohl wird aber auch klar, dass der | |
| Fall zuvor ein Jahr lang verschleppt und Hinweise nicht mit der nötigen | |
| Entschlossenheit verfolgt wurden. | |
| Die dritte Gemengelage hat mit einem Beschwerdeschreiben einer Gruppe von | |
| Mitarbeitenden zu tun und mit der Art, wie die Senderleitung darauf | |
| reagierte. Der Brief wird im Oktober 2018 von 16 Mitgliedern der | |
| Sprachredaktion Arabisch am Standort Berlin verfasst. „Wir, | |
| Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der arabischen Redaktion und von der | |
| Produktion, sind zutiefst besorgt“, beginnt das Schreiben. Anlass ist | |
| damals, dass in der Redaktion ein Mann einer Kollegin gedroht hat, „ihr den | |
| Finger zu brechen“. (Der Mann hat in der Zwischenzeit „arbeitsrechtliche | |
| Konsequenzen“ erfahren, teilt die DW auf Anfrage mit). | |
| Die Verfasser*innen des Briefs allerdings wollen „darauf aufmerksam | |
| machen, dass der Vorfall keineswegs isoliert zu betrachten ist“. Man habe | |
| „leider den Eindruck, dass die Führungskultur in der arabischen Redaktion | |
| zu einem Großteil auf Demütigungen, Einschüchterungen und Manipulation“ | |
| basiere. Der Brief kritisiert aber auch die Leitung des Senders. „Viele von | |
| uns haben in den vergangenen Jahren Rat und Hilfe innerhalb der Deutschen | |
| Welle gesucht. Uns wurde signalisiert, dass diese Missstände bereits | |
| bekannt seien. Eine konkrete Aussicht auf Verbesserung wurde uns aber nicht | |
| in Aussicht gestellt.“ | |
| ## Die Welle weltweit | |
| Die arabische Redaktion ist eine von 30 Sprachredaktionen des | |
| Auslandssenders Deutsche Welle, der, anders als andere | |
| öffentlich-rechtliche Sender, nicht aus Rundfunkbeiträgen, sondern aus | |
| Steuermitteln finanziert wird. Von ihren Standorten in Bonn und Berlin und | |
| mit etwa 3.000 Mitarbeiter*innen sendet die DW täglich Nachrichten- | |
| und Magazinsendungen in die ganze Welt. | |
| Ihr gesetzlicher Auftrag ist, das „Verständnis der Kulturen“ zu fördern, | |
| daher produzieren die Sprachredaktionen je ein komplettes fremdsprachiges | |
| Programm. So auch die arabische, die, wie Mitarbeitende berichten, von | |
| jeher von Konflikten geprägt ist. Politische Spaltungen der Zielländer | |
| spiegeln sich auch in der Redaktion wider, heißt es. Es ist auch die | |
| Redaktion, in der der Moderator tätig war, der wegen | |
| Vergewaltigungsvorwürfen gehen musste. | |
| Der Beschwerdebrief entsteht in einer Zeit, in der die DW-Leitung | |
| verspricht, stärker gegen Machtmissbrauch im Haus vorzugehen. Ausgelöst | |
| durch die Belästigungsvorwürfe beim WDR – und vermutlich auch, um das | |
| unentschlossene Verhalten gegenüber dem Sportredakteur wiedergutzumachen – | |
| startet DW-Intendant Peter Limbourg im Mai 2018 zusammen mit der | |
| Verwaltungsdirektorin Barbara Massing eine Null-Toleranz-Kampagne gegen | |
| Machtmissbrauch. Limbourg und Massing besuchen die Redaktionen, ermutigen | |
| Mitarbeitende, sich zu äußern, wenn sie betroffen sind. Die #MeToo-Vorwürfe | |
| gegen den Moderator kommen in dieser Zeit ans Licht. | |
| Die Mitarbeiter*innen der arabischen Redaktion, mit denen die taz | |
| gesprochen hat, sagen, sie hätten sich dadurch bestärkt gefühlt, ihre | |
| Beschwerde über ihre Redaktionsleitung zu verfassen. Allerdings berichten | |
| sie, der Brief habe nicht etwa zu Verbesserungen, sondern zum Gegenteil | |
| geführt. Sie geben an, nach der Kritik von ihrer Redaktionsleitung | |
| benachteiligt worden zu sein oder weiter benachteiligt zu werden. Sie | |
| wollen aus Furcht um berufliche Konsequenzen nicht namentlich genannt | |
| werden. Es handelt sich um „feste Freie“ mit eingeschränktem | |
| Kündigungsschutz. Die Benachteiligungen, die sie beklagen, umfassen | |
| Schichtkürzungen und die plötzliche Zuteilung von Aufgaben, die nicht der | |
| Qualifikation entsprechen, sowie einen Entzug von Verantwortung. | |
| Einem Mitarbeiter und Sprecher der Freien wurde Anfang 2019 gekündigt. Er | |
| sieht das als Bestrafung dafür, dass er den Brief mit initiiert hat. | |
| „Kritik wird sehr persönlich genommen“, sagt er der taz und spricht von | |
| einer „Kultur der Rechenschaftslosigkeit“ bei der DW. Er zieht auch einen | |
| Zusammenhang zwischen schlechter Führungskultur und #MeToo. „Die Fälle von | |
| sexueller Gewalt, die ich kenne, sind untrennbar mit Machtmissbrauch | |
| verbunden.“ | |
| ## „Nachweisbar benachteiligt“ | |
| Ein Mitglied des Personalrats bestätigt die Vorwürfe der | |
| Arabisch-Redakteur*innen. In mindestens vier Fällen seien die | |
| Unterzeichner*innen des Briefs anschließend nachweisbar benachteiligt | |
| worden, etwa durch Schichtkürzungen. Das sei ein gängiges Druckmittel gegen | |
| Freie beim Sender. Die machen nach offiziellen DW-Angaben übrigens die | |
| Hälfte der Belegschaft aus. Der Anteil in den Sprachredaktionen liege bei | |
| bis zu 80 Prozent, sagt das Personalratsmitglied der taz. Und: „Immer | |
| wieder bemerke ich, dass ein Konflikt mit Vorgesetzten mit einer | |
| Schichtreduktion einhergeht.“ Die Programmdirektion, Verwaltungsdirektion | |
| und Intendanz übten relativ wenig Kontrolle auf die Redaktionsleitungen | |
| aus. | |
| Der Sender selbst zeigt sich auf Anfrage entrüstet über die Kritik in den | |
| Medien und bezeichnet die Vorwürfe aus der arabischen Redaktion als falsch. | |
| Von „Einschüchterungen“ könne „nach den der DW vorliegenden Information… | |
| nicht die Rede sein“. Das Beschwerdeschreiben sei in der Redaktion bekannt | |
| gewesen, es habe unterschiedliche Auffassungen gegeben, über die sich die | |
| Beteiligten ausgetauscht hätten. | |
| „Intendant und Verwaltungsdirektorin haben in rund 40 Gesprächsrunden mit | |
| allen Abteilungen ihre Null-Toleranz-Haltung deutlich gemacht und dazu | |
| aufgerufen, sich frei von Ängsten und Vorbehalten bei den dafür | |
| vorgesehenen Stellen zu melden“, heißt es. Einige wenige Fälle seien | |
| daraufhin bekannt und „unverzüglich geprüft“ worden. Es gebe ein | |
| „funktionierendes Konfliktmanagement“ und einen „klaren Beschwerdeweg“.… | |
| Intendant habe außerdem eine Richtlinie zum Umgang mit sexueller | |
| Belästigung in der DW erlassen, die die Zustimmung der Personalräte | |
| gefunden habe. „Kritik und berechtigte Beschwerden haben und werden in der | |
| DW nicht zu Nachteilen führen.“ Zu Einzelpersonalien nehme man | |
| grundsätzlich keine Stellung. | |
| Seit März 2019 hat es mehrere Workshops zur Konfliktbearbeitung in der | |
| arabischen Redaktion gegeben. Die Unterzeichner*innen der Beschwerde | |
| haben daran nicht teilgenommen. „Die Welle kann nicht jemanden feuern und | |
| dann einen Workshop über die Verbesserung der Kommunikation halten“, sagt | |
| ein Redaktionsmitglied. | |
| Cornelia Berger, der Leiterin des Bereichs Medien bei der Gewerkschaft | |
| Verdi, ist der Fall bei der DW bekannt. Die Mitarbeitenden hätten ihre | |
| Beschwerden „anschaulich und nachvollziehbar dargelegt“, sagt sie der taz. | |
| Berger kritisiert, dass interne Kritik nicht anonym vorgebracht werden | |
| dürfe, und fordert eine unabhängige [5][Untersuchung, vergleichbar mit der | |
| beim WDR]: „Die Anschuldigungen, die im Raum stehen, bedürfen eines | |
| intensiven kritischen Blicks von außen.“ Vielleicht wäre dies tatsächlich | |
| der beste Weg für den Sender, um die „positive Arbeitsumgebung“ zu | |
| veranschaulichen. | |
| 17 Jan 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.theguardian.com/world/2020/jan/14/deutsche-welle-staff-speak-ou… | |
| [2] /Sexuelle-Belaestigung/!5610531&s=Peter+Weissenburger+Deutsche+welle/ | |
| [3] https://www.dw.com/en/dw-management-board-allegations-against-dw-are-unfoun… | |
| [4] https://www.zeit.de/2019/32/sexuelle-belaestigung-missbrauch-deutsche-welle… | |
| [5] https://www1.wdr.de/unternehmen/der-wdr/unternehmen/aufarbeitung-vorwuerfe-… | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Weissenburger | |
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