| # taz.de -- Pro und Contra Widerspruchslösung: Organspende als Standard? | |
| > Der Bundestag stimmt in dieser Woche über die künftige Regelung der | |
| > Organspende ab. Wie sollte sie aussehen? Ein Pro und Contra. | |
| Bild: Ein Herz wird nur entnommen, wenn der Spender hirntot ist. Das ist extrem… | |
| ## JA, | |
| denn die Chance, als potenzieller Spender tatsächlich zum Spender zu | |
| werden, ist schon gering genug. Nur wer am Ende seines Lebens die Diagnose | |
| „hirntot“ erfährt, kommt als Spender infrage. Das ist extrem selten. Wenn | |
| also mehr Menschen potenzielle Spender wären, würde sich [1][der Pool | |
| derer] vergrößern, die tatsächlich Spender werden – und Menschenleben | |
| retten können. Ein simples Solidaritätsprinzip, das man als Mensch mit | |
| Mitgefühl nur gut finden kann. | |
| Oder muss man es strikt ablehnen, wenn man es mit Artikel 1 des | |
| Grundgesetzes ernst meint? „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Der | |
| Satz ist so ziemlich das Beste an der Bundesrepublik, weil er sagt: Der | |
| Staat hat niemals Zugriffsrecht auf das Individuum. Das größere Gut darf er | |
| nicht über die Unversehrtheit des Einzelnen stellen. | |
| Über die Frage, ob die jetzt zur Debatte stehende Widerspruchslösung | |
| schlicht nicht verfassungskonform ist, sollten Verfassungsrechtler | |
| streiten. Man sollte allerdings auch fragen, ob eine Widerspruchslösung | |
| tatsächlich schon ein Zugriff ist – oder lediglich ein Anstupsen des | |
| mündigen Bürgers, sich mit etwas zu beschäftigen, womit er sich nicht | |
| beschäftigen will. Oder ist das Nachdenken darüber etwa schon mehr an | |
| Solidarität, als wir uns als Gesellschaft abverlangen wollen? | |
| Auch die Widerspruchslösung zwingt niemanden, seine Würde preiszugeben. | |
| Aber, das stimmt, mit ihr zwingt einen der Staat, [2][sich mit dem eigenen | |
| Sterben zu beschäftigen]. Verletzt das schon die Würde? Nein. Das Sterben | |
| gehört zum Leben dazu und es ist nicht Aufgabe des Staates, seine Bürger | |
| vor unangenehmen Wahrheiten zu schützen. | |
| Richtig ist auch, dass die Diagnose „hirntot“ nicht gleichbedeutend ist mit | |
| „tot“. Verständlich ist also die Angst vor falschen Diagnosen oder vor | |
| Willkür. Aber die Gefahr besteht immer, wenn transplantiert wird. Wie bei | |
| allen medizinischen Fragen muss man auch hier beste Vorsorge vor Missbrauch | |
| leisten – durch gute Ausstattung der Entnahmekrankenhäuser etwa. | |
| Und am Ende sollte niemand vergessen, dass er oder sie sehr viel | |
| wahrscheinlicher zum Empfänger als zum Spender wird. | |
| Ariane Lemme | |
| ## NEIN, | |
| denn es ist [3][mit unseren demokratischen Grundregeln nicht vereinbar], | |
| wenn der Staat seine Bürger nötigt, für Organspenden zur Verfügung zu | |
| stehen. Längst geht es bei der Debatte nur noch um Zahlen: Wie können wir | |
| erreichen, dass mehr Organe zur Verfügung stehen? Das scheint die absolute | |
| Prämisse zu sein. Kritik an den jetzt im Bundestag vorliegenden Anträgen | |
| ist nur noch zulässig, wenn sie sich diesem Ziel unterordnet. | |
| Geht es nach dem Gesundheitsminister, sollen wir alle als potenzielle | |
| Organspender eingestuft werden, wenn wir nicht zuvor widersprochen haben. | |
| Die Angehörigen können im Falle einer bevorstehenden Organentnahme auch | |
| widersprechen, aber nur, wenn der potenzielle Spender sich zu Lebzeiten | |
| dazu geäußert hat. Man muss jetzt schon befürchten, dass diese Zusatzfrage | |
| eines Tages aus dem Gesetz gestrichen wird. Dann bleibt die reine | |
| Widerspruchslösung so, wie sie sich viele Transplantationsmediziner heute | |
| schon wünschen. | |
| Die Frage, ob es mit Demokratie und Selbstbestimmung grundsätzlich | |
| vereinbar ist, einen Hirntoten zum Organspender zu machen, ohne dass er | |
| selbst zuvor eingewilligt hat, wird in den Hintergrund gedrängt. Auch die | |
| besondere Problematik des Hirntodkonzepts – ist der Mensch schon tot oder | |
| ist er noch im Sterbeprozess? – wird außen vor gelassen. | |
| Die Stimmung im Lande ist mittlerweile so, dass jeder als unsolidarisch | |
| angesehen wird, der sich [4][gegen eine Organspende] ausspricht. Das Recht | |
| darauf, Nein zu sagen, darf jedoch nicht infrage gestellt werden. Und | |
| begründungspflichtig darf das persönliche Nein niemals werden. | |
| Bezüglich des Organspende-Registers wird häufig kolportiert, Menschen | |
| hätten Angst, sich dort eintragen zu lassen, weil sie befürchten, nach | |
| einem schweren Unfall nicht alle medizinische Hilfe zu bekommen: weil die | |
| Ärzte dringend einen Organspender brauchen. Umgekehrt wird ein Schuh | |
| daraus: So wie die Debatte geführt wird, muss man Angst haben, weniger gut | |
| behandelt zu werden, wenn der Arzt in der Patientenakte sieht, dass bei | |
| Organspende Nein angekreuzt ist. | |
| Wolfgang Löhr | |
| 14 Jan 2020 | |
| ## LINKS | |
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| [2] /Kommentar-Organspende-Debatte/!5582228 | |
| [3] /Gruenen-Politikerin-ueber-Organspenden/!5602381 | |
| [4] /Streit-um-neues-Transplantationsgesetz/!5651312 | |
| ## AUTOREN | |
| Wolfgang Löhr | |
| Ariane Lemme | |
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