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# taz.de -- Organspende und Gesetzesänderung: Es geht um Leben und Tod
> Der Bundestag stimmt darüber ab, ob man automatisch OrganspenderIn wird.
> Die Beispiele anderer Länder zeigen, wie das funktioniert.
Bild: Kann ein Menschenleben retten: Entnommenes Herz
BERLIN taz | Die Zahl der OrganspenderInnen in Deutschland ist im Jahre
2019 leicht zurückgegangen, 932 Menschen haben nach ihrem Tod einen oder
mehrere Organe für Schwerkranke gespendet. Dies teilte die Deutsche
Stiftung Organtransplantation (DSO) am Montag mit. Im Jahre 2018 wurden
hierzulande noch 955 Organspender gezählt. Bezogen auf die Bevölkerung und
im Vergleich zu anderen Ländern hat Deutschland damit nach wie vor sehr
wenige SpenderInnen.
Nach Zahlen des [1][Newsletters Transplant] der globalen Datenbank GODT gab
es im Jahre 2018 zum Beispiel in Spanien eine Rate von 48,3 SpenderInnen
pro eine Millionen Einwohner, in Österreich eine Rate von 24,5 und in den
Niederlanden von 16,4, während Deutschland mit einer Rate von 11,6 sehr
weit hinten lag.
Diese Zahlen sind bedeutsam im Hinblick auf die Diskussion über zwei
Gesetzentwürfe, mit denen das Spendenaufkommen für die
Transplantationsmedizin erhöht werden soll. Beide stehen am Donnerstag im
Bundestag zur Abstimmung, beide [2][Entwürfe] haben fraktionsübergreifend
sowohl GegnerInnen als auch BefürworterInnen.
## Der Doppelte Widerspruch
Eine Abgeordnetengruppe um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und
SPD-Fachpolitiker Karl Lauterbach legt den Entwurf für eine „doppelte
Widerspruchslösung“ vor. Dieses Gesetz würde die bestehende Regelung
umkehren. Nach der geltenden Regelung darf einem hirntoten Menschen nur
dann ein Spenderorgan entnommen werden, wenn er oder sie einen
Organspendeausweis bei sich trägt oder die nächsten Angehörigen wissen oder
vermuten, dass der oder die Hirntote einer Spende zugestimmt hätte.
Mit der doppelten Widerspruchslösung im Spahn-Entwurf würde diese bisherige
Regelung umgedreht: Nur ein Widerspruch würde im Fall des festgestellten
Hirntodes die Ärzte davon abhalten, Spenderorgane zu entnehmen. Dazu soll
ein „Widerspruchsregister“ erstellt werden, in dem man sich zu Lebzeiten
registrieren lassen kann, wenn man die eigenen Organe nicht spenden will.
Gibt es keinen Eintrag, werden die nächsten Angehörigen gefragt, ob ihnen
ein der Organentnahme „entgegenstehender Wille“ des Verstorbenen „bekannt…
sei oder ihnen schriftlich vorliege, heißt es im Gesetzentwurf. Dies
bedeutet, dass es schon reicht, irgendwann mal den Angehörigen gegenüber
geäußert zu haben, dass man nicht SpenderIn sein will oder einfach einen
Zettel mit einer Ablehnung im Portemonnaie zu haben. Schon gilt man nicht
mehr als mögliche SpenderIn, sofern die Angehörigen diese Information
weitertragen.
## Gespräch beim Hausarzt
Die alternative Lösung ist der Entwurf einer Abgeordnetengruppe um
Grünen-Chefin Annalena Baerbock und die Linke-Vorsitzende Katja Kipping.
Sie lehnen die Widerspruchslösung ab und schlagen stattdessen eine
„Entscheidungslösung“ vor. Dabei sollen die BürgerInnen regelmäßig, etwa
von ihren Hausärzten oder wenn sie einen Ausweis beantragen, über die
Organspende informiert und dazu ermuntert werden. Bei Behörden kann man
sich als OrganspenderIn registrieren lassen.
Vor der Abstimmung geht der Blick ins Ausland, in die Länder, die bereits
eine Widerspruchslösung haben, um deren Folgen abzuschätzen, falls sich der
Spahn-Entwurf durchsetzt. In Österreich etwa gilt bereits seit vielen
Jahren eine Widerspruchsregelung. Nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung
aber haben ein „Nein“ im Widerspruchsregister festhalten lassen.
In der Praxis würden in Österreich im Falle des Hirntodes stets noch die
Angehörigen nach einer ihnen bekannten Ablehnung der Organspende durch den
Verstorbenen befragt, sagte der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel,
der taz. In etwa 20 Prozent der Fälle eines Hirntodes lehnten die
Angehörigen in Österreich eine mögliche Organentnahme ab, so Rahmel. Dann
kommt es auch zu keiner Organspende.
## Mit 15 Prozent Widerspruch gerechnet
In den Niederlanden, wo in diesem Jahr eine Widerspruchsregelung in Kraft
tritt und ein Register existiert, seien dort etwa 13 Prozent der
Bevölkerung als Widersprechende eingetragen, berichtet Rahmel, der auch
viele Jahre Medizinischer Direktor bei Eurotransplant war.
In Spanien, wo gleichfalls eine Widerspruchsregelung gilt, gibt es gar kein
Widerspruchsregister, in das man sich zu Lebzeiten eintragen lassen kann.
Dort äußern die Angehörigen bei der ärztlichen Befragung, ob ihnen die
Ablehnung einer Spende durch den Verstorbenen bekannt sei. Die
Ablehnungsquote in Spanien liege bei etwa 15 Prozent, berichtet Rahmel. Bei
dem für Deutschland geplanten Entscheidungsregister geht Rahmel von einer
Widerspruchsrate von etwa 15 Prozent aus.
Die hohen Spenderraten in den Ländern mit Widerspruchsregelungen hätten
auch mit der Infrastruktur im dortigen Krankenhauswesen und der
„Spendenkultur“ zu tun, erklärte Rahmel.
Denn Organspenden sind eine komplexe Angelegenheit. Spenden können in
Deutschland nur Menschen, bei denen der Hirntod festgestellt wurde, aber
das Kreislaufsystem noch aufrechterhalten werden kann. Dies ist ein sehr
seltener Fall, nur circa ein Prozent der Verstorbenen wird überhaupt als
hirntot diagnostiziert und kommt somit als SpenderIn infrage. Die
Vorstellung, dass mit der Widerspruchslösung automatisch Zehntausende von
Toten zu OrganspenderInnen würden, entspricht also nicht der medizinischen
Realität.
## Hirntod-Diagnostik ist aufwendig
Die Diagnostik des Hirntodes ist aufwendig, mehrere Ärzte sind daran
beteiligt. Um mehr Krankenhäuser für die Organspende zu gewinnen und zu
sensibilisieren, war es daher wichtig, dass die personellen und
finanziellen Bedingungen der Transplantationsmedizin in den Krankenhäusern
durch ein Gesetz im vergangenen Jahr verbessert wurden.
Dieses Gesetz zeigte auch schon Wirkung: 2019 hätten die Krankenhäuser
erfreulicherweise mehr potenzielle OrganspenderInnen gemeldet als zuvor,
hieß es bei der DSO. Werden Hirntote gemeldet, müssen aber erst noch Ärzte
feststellen, ob der oder die Hirntote überhaupt über gesunde Organe
verfügen, die transplantiert werden können.
Aufgrund der komplizierten medizinischen Anforderungen erwarten Experten
keine explosionsartige Steigerung bei Transplantationen, sollte die
Widerspruchslösung kommen. „Eine Widerspruchslösung kann nur ein Baustein
sein für eine positive Entwicklung“, sagte Rahmel.9000 Schwerkranke in
Deutschland warten derzeit auf ein Spenderorgan.
13 Jan 2020
## LINKS
[1] http://www.transplant-observatory.org/download/newsletter-transplant-2019/
[2] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw26-de-organspende-6463…
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Organspende
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