# taz.de -- Regisseure über Doku „Dicktatorship“: „Der Macho steckt in u… | |
> Der Film „Dicktatorship“ zeigt die testosterongesteuerte Gesellschaft | |
> Italiens. Sie produziert Politiker wie Salvini, sagen die beiden | |
> Regisseure. | |
Bild: Die Filmemacher Luca Ragazzi und Gustav Hofer, hier vor Gegenwartsarchite… | |
Luca und Gustav sitzen in der Küche ihrer römischen Wohnung und lesen | |
Zeitung. Luca lobt die deutsche Kanzlerin. „Eine Frau mit Eiern in der | |
Hose“, sagt er. Da fällt Gustav über ihn her. Der blöde Spruch zeige, was | |
er wirklich sei: ein unverbesserlicher „maschilista“, ein Macho. So beginnt | |
der Film und die Reise der beiden in die italienische Welt der Salvinis, | |
Berlusconis und Phallus-Partys einerseits und die Welt der Frauendemos und | |
Männergruppen andererseits. Es ist eine Art Roadmovie auf der Suche nach | |
den Wurzeln des Machismus und möglicher Gegenmittel. Ragazzi und Hofer | |
führen Regie und stellen gleichzeitig sich selbst dar. | |
[1][Dieses Format – ein Mix aus Michael Moore] und Alice im Wunderland – | |
hat sich schon bei ihren letzten Filmen bewährt. „Suddenly, Last Winter“ | |
über das Leben als schwules Paar wurde 2008 auf der Berlinale gezeigt. | |
„Italy: Love it or leave it“ über die Abwanderung der jungen Generation aus | |
Italien war 2011 einer der meistgezeigten italienischen Festivalfilme. Und | |
„What Is Left“ thematisiert die Suche nach dem, was von linken Idealen | |
übrig geblieben ist. | |
taz: Herr Hofer, Herr Ragazzi, Ihr Film „Dicktatorship“ erzählt von zweien, | |
die ausziehen, um den Machismus zu bekämpfen. Dabei zeigen Sie viel Alltag | |
in Italien. Hätte es auch ein anderes Land sein können? | |
Luca Ragazzi: Das wäre schwieriger gewesen. In Italien versteckt sich der | |
Machismus nicht. Er ist allgegenwärtig und offensichtlich, laut und grell. | |
Es stört auch niemand, sich dazu zu bekennen. Die Leute nehmen kein Blatt | |
vor den Mund, wenn sie reden, auch vor laufender Kamera. Ich denke, | |
Deutsche, Engländer oder auch Franzosen sind zurückhaltender. | |
Gustav Hofer: Aber der Machismus existiert in anderen Ländern genauso, nur | |
dezenter verpackt. Wie in Deutschland. Dort gibt es zwar eine Kanzlerin, | |
aber die Zahl der weiblichen Abgeordneten ist im aktuellen Bundestag wieder | |
gesunken. Von Italien aus gesehen wirkt Deutschland wie das Paradies der | |
Gendergleichstellung, aber beim näheren Hinsehen tun sich viele Probleme | |
auf. | |
Dennoch scheint das Thema Macho auf den ersten Blick typisch italienisch zu | |
sein. Im Film heißt es: 20 Jahre Mussolini und 20 Jahre Berlusconi haben | |
Italien geprägt. Danach konnte ein Mega-Macho wie Salvini an die Regierung | |
kommen. Wer hat ihn gewählt? | |
Hofer: Das Typische an der italienischen Gesellschaft ist, dass es | |
Veränderungen hier schwerer haben als anderswo. Man möchte, dass alles so | |
bleibt, wie es war, und Neues wird mit großer Skepsis betrachtet. | |
Veränderungen machen vielen Menschen Angst. Deshalb hören sie auf Typen wie | |
Berlusconi und Salvini. Sie stehen für ein Italien, wie es einmal war – mit | |
halbnackten Fernsehsternchen, Pasta, Mama, Heiligen, Huren und Fußball. Das | |
gefällt vielen, vor allem Männern. | |
Ragazzi: Auch Trump steht für ein Amerika, wo der harte Mann noch etwas | |
galt. Aber in Italien kommt noch der Mythos von der Virilität, der | |
Manneskraft des Latin Lovers dazu. Er muss muskulös und behaart sein und | |
mit der Faust auf den Tisch schlagen. Das ist ein Überbleibsel des | |
Faschismus, der in Italien nie wirklich aus dem Leben und der Politik | |
verschwunden ist. | |
Das Wahlverhalten hat aber auch etwas damit zu tun, dass die italienische | |
Bevölkerung überaltert ist. Und die Älteren haben immer mehr Angst vor | |
Neuem als die Jüngeren. Viele gut ausgebildete Junge wandern aus. | |
Hofer: Aber die, die bleiben, wollen etwas ändern. Bei den Demos der | |
feministischen Bewegung NonUnaDiMeno oder den Protesten gegen den | |
erzkonservativen Familienkongress in Verona sieht man viele 20-Jährige, vor | |
allem junge Frauen. Die meisten sind Studentinnen und haben eine berufliche | |
Karriere vor sich, sie sind in vielen Bereichen besser als ihre männlichen | |
Altersgenossen. Die haben das Problem, dass sie den Frauen oft nicht folgen | |
können und sich anpassen müssen. Aber dennoch werden statistisch gesehen | |
wahrscheinlich ihre männlichen Kollegen Karriere machen und nicht sie. | |
Das ist das Kernthema Ihres Films: Die Männer müssen sich ändern. | |
Ragazzi: Ja, der Macho steckt in uns. Im Film interviewen wir dazu | |
Intellektuelle und Wissenschaftler, auch den Soziologen Stefano Ciccone, | |
der die Männergruppe Maschile Plurale gegründet hat. Er sagt, dass die | |
Männer aus dieser vertrackten Situation nur herauskommen können, wenn sie | |
einen geringen Teil ihrer Privilegien abgeben. Dafür könnten sie um ein | |
Vielfaches besser leben, mit weniger Selbstzweifeln, mehr Freiheit, raus | |
aus dem Käfig der programmierten Männlichkeit, die vielen selbst gar nicht | |
mehr passt. Wir wollen zeigen, dass dies funktioniert. | |
Trotz alledem haben es viele gleichgeschlechtliche Paare immer noch schwer | |
in Italien, oder sehen Sie das anders? | |
Hofer: Es hat sich schon etwas geändert. Es gibt eine Zeit vor und eine | |
nach der World Gay Pride von 2000, die in Rom trotz großen Widerstands | |
organisiert wurde. Immerhin fand die Pride während des „Heiligen Jahres“ | |
statt. Das war der Wendepunkt. Seitdem ist die Visibilität und Akzeptanz | |
von Schwulen und Lesben in Italien absolut gestiegen – denn das Thema wurde | |
enttabuisiert. Vorher haben sich viele geschämt, Anzeige zu erstatten, wenn | |
sie angegriffen wurden. Das hat sich geändert. Ähnlich wie bei den Frauen, | |
die häusliche Gewalt jetzt viel öfter anzeigen. Bis 1981 galt dies in | |
Italien noch als Kavaliersdelikt und wurde rechtlich nicht geahndet. | |
Das könnte an der immer noch übermächtigen, traditionell frauenfeindlichen | |
katholischen Kultur liegen. Die wird im Film aber wenig thematisiert. | |
Warum? | |
Hofer: Vorgesehen war eigentlich ein Interview mit einer Nonne, die erst | |
sehr offen war und dann vor der Kamera nicht mehr viel sagen wollte. Aber | |
wir haben das Thema dann doch aufgegriffen und Interviews beim Kongress der | |
Partei Das Volk der Familie in Rom gemacht. Die O-Töne sprechen für sich. | |
Die Pressesprecherin gibt zum Besten, dass der Mann der Tisch sei und die | |
Frau die Beine, die ihn stützen und dass man dies akzeptieren soll, weil es | |
in der Bibel stehe. Dann gibt es auch noch die Szene, wo Berlusconi auf | |
einem Riesenbildschirm, der symbolisch vor dem Petersdom steht, seine | |
Gesprächspartnerin im Fernsehen mit sexistischen Bemerkungen vorführt. Das | |
ist für mich typisch Italien. | |
Beim Dreh haben Sie sich offensichtlich selbst amüsiert in der Rolle des | |
Feministen und des gutmütigen Machos. Der Film gibt kritische Infos auf | |
unterhaltsame Weise, ähnlich wie die Dokus von Michael Moore. Würden Sie | |
das Infotainment nennen? | |
Ragazzi: Wir bezeichnen unsere Art von Film als kreativen Dokumentarfilm, | |
um uns vom beobachtenden Dokfilm abzugrenzen. Bei uns gibt es Animation und | |
offensichtlich gestellte Szenen. Michael Moore ist sicherlich eine | |
Referenz, da auch er sich selbst in die Geschichte einbringt. Auch wir | |
beide schlüpfen in Rollen. Trotzdem sehen wir uns als Dokumentarfilmer, | |
wir wollen dokumentieren, wie Italien heute aussieht. Dabei geht es uns | |
nicht um exotische Themen, sondern wir wollen der Realität nahekommen und | |
setzen dabei kreative Mittel ein. Italien ist ein Land, das viel hergibt, | |
da muss man nicht viel erfinden. | |
27 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Michaela Namuth | |
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