# taz.de -- Berlusconi und Trump – ein Phänomen: Der Trumpusconi-Mythos | |
> Präsident Trump könnte bald Geschichte sein. Nicht aber der Trumpismus. | |
> Das lehrt uns das Beispiel seines bekanntesten politischen Vorläufers. | |
Bild: Fußballfans mit Trumpusconi-Masken im August 2019 in Moskau | |
Ich kann mich an jenen Morgen noch sehr gut erinnern. Ich wachte auf, | |
schaltete den Fernseher ein und stellte fest, dass entgegen aller | |
Erwartungen ein großmäuliger, politisch unerfahrener, dennoch sehr kühner | |
Ex-Immobilienmogul mit einer ausgeprägten Medienpräsenz (und einer ebenso | |
ausgeprägten Verachtung für Frauen) plötzlich ein wichtiger | |
Entscheidungsträger der Weltpolitik geworden war. Ich war sprachlos. Wie | |
konnte das geschehen?, fragte ich mich. Wie konnten wir den Aufstieg dieser | |
skurrilen Witzfigur mit ihren dubiosen Bekanntschaften und abenteuerlichen | |
Affären nicht aufhalten – oder zumindest vorhersehen? Lange konnte ich | |
darüber jedoch nicht grübeln. Ich musste in die Schule. Ich war 15 und | |
lebte noch in Italien. Es war 1994. Und das Gesicht, das mich aus allen | |
Bildschirmen anlächelte, war das von Silvio Berlusconi. | |
Viele Italiener:innen mussten sich an jenen Tag erinnern, als [1][Donald | |
Trump] 2016 vor einer jubelnden Menge im Manhattan Hilton auftrat. „Ich war | |
mein ganzes Leben Unternehmer“, sagte der frisch gekrönte Kandidat – und | |
schien dabei Berlusconis Worte bei seiner ersten Siegesrede 1994 direkt zu | |
zitieren. | |
Die Ähnlichkeiten zwischen den zwei Figuren sind frappierend. Wie der | |
italienische Medienunternehmer ist Trump ein politischer Outsider. Und | |
genau wie [2][Berlusconi] wusste er diese Rolle geschickt zu nutzen. Sowohl | |
Berlusconi als auch Trump haben behauptet, sie seien ins politische | |
Schlachtfeld gezogen, um gegen die korrupte Elite zu kämpfen. Deshalb | |
würden sie gnadenlos verfolgt – von politischen Gegnern, Richtern, dem FBI, | |
dem „Deep State“. In ihrer Selbsterzählung kommen sie einem wie eine Art | |
Messias vor. | |
Und wie jeder gute Messias kündigten beide Leader den Anbruch einer neuen | |
Ära an, in der die komplexen Dynamiken und Rituale der repräsentativen | |
Demokratie Vergangenheit sein würden; einer Zeit, in der es keine | |
Politiker:innen und Wähler:innen mehr gibt, sondern nur den Leader und | |
sein Volk. | |
In einer Demokratie muss man verhandeln können, Kompromisse finden. Nicht | |
aber in der „Trumpusconi“-Demokratie. Diese ist in erster Linie ein | |
Wettbewerb. Nicht umsonst benutzen beide gerne Metaphern aus dem Sport | |
(vorzugsweise Fußball oder Golf): Es gibt Winner und es gibt Loser. Und sie | |
gewinnen. Immer. | |
Tatsächlich scheint Trumpusconi von einer Aura der Unbesiegbarkeit umhüllt. | |
Normale Politiker können aufsteigen und stürzen, sie können sich blamieren, | |
scheitern – und sich bei Bedarf in die Unternehmensberatung zurückziehen. | |
Nicht aber Trumpusconi. Er kann in mehr als 30 Gerichtsverfahren verwickelt | |
werden. Er kann im Zentrum einer FBI-Ermittlung stehen und sich einem | |
Amtsenthebungsverfahren unterziehen müssen. Am Ende steht er immer noch da | |
mit einem breiten Lächeln – und stabilen Umfragewerten. | |
Trumpusconi scheint unverwundbar. So verpassten italienische und US-Medien | |
unabhängig voneinander dem ehemaligen Regierungschef wie dem aktuellen | |
US-Präsidenten den gleichen Spitznamen: Berlusconi war der „Teflon-Ritter“, | |
Trump ist der „Teflon-Präsident“. Skandale, Blamagen, eklatante | |
Misserfolge: Alles perlt an ihnen ab. | |
Na ja, nicht alles. Vor neun Jahren trat der „Teflon-Ritter“ zum letzten | |
Mal als Regierungschef vor die Kameras, um seinen Rücktritt anzukündigen. | |
Was weder die Opposition noch die Richter vollbrachten, schaffte die | |
Finanzkrise. Das zeigt: Wie alle mythischen Helden ist Trumpusconi | |
zumindest an einer Stelle verwundbar. Es ist nicht die Ferse und auch nicht | |
die Schulter. Nein. Trumpusconi ist nur verwundbar, wenn er nicht im | |
Mittelpunkt der Berichterstattung steht, sondern als Nebendarsteller | |
zusehen muss, wie sich um ihn herum eine Krise entfaltet, über die er keine | |
Kontrolle hat – sei es die Eurokrise oder die Coronakrise. | |
Das würde dafür sprechen, dass auch Trump bald seine Teflon-Schicht | |
verlieren wird. Doch wenn es etwas gibt, das wir aus Berlusconis Story | |
lernen können, ist es dies, dass der populistische Leader immer dann am | |
stärksten ist, wenn man ihn unterschätzt. Bevor er 2011 zum letzten Mal | |
abdanken musste, wurde der „Teflon-Ritter“ etliche Male von den Medien als | |
„finito“ erklärt – zum ersten Mal, als seine erste Regierung nach nicht … | |
neun Monaten zusammenbrach. Fünf Jahre später feierte er einen noch | |
größeren Wahlsieg. Dann wieder 2006, als ihn Romano Prodi zum zweiten Mal | |
schlug. Zwei Jahre später war er wieder an der Macht. | |
Was ist Berlusconis Geheimnis? Der Starpolitologe Giovanni Sartori hat sich | |
in den letzten Jahren seines Lebens intensiv mit dieser Frage beschäftigt. | |
Schon vor Beginn seiner politischen Laufbahn, schrieb Sartori, schaffte es | |
der Medienmogul und Politentertainer, aus einer Zuschauerschaft eine | |
Wählerschaft zu machen, die seine Abneigung gegenüber dem Staat, den | |
Gesetzen und den Regeln des politischen Fairplay teilt. | |
Diese Wählerschaft machte sich dann vom Leader unabhängig. Sie unterstützte | |
zunächst den Aufstieg der neuen Anti-Establishment-„Fünf Sterne Bewegung“ | |
und feierte später den Erfolg des Rechtsaußen-National-Populisten Matteo | |
Salvini. Seit einigen Jahren steckt Berlusconi nun in der verhassten Rolle | |
des Nebendarstellers fest. Trotzdem: Der „Berlusconismus“ ist lebendiger | |
denn je. | |
Dies ist wahrscheinlich die wichtigste Lehre, die wir aus dem | |
Trumpusconi-Mythos ziehen können. Zwar ist unmöglich vorherzusehen, was | |
passieren wird, wenn Donald Trump abgewählt wird. Unabhängig davon wird der | |
„Trumpismus“ aber weiterleben. Die starke Polarisierung der Gesellschaft, | |
der Hass, der Rassismus, die bewaffneten Milizen und rechtsextremen | |
Gruppen: All diese Dinge werden nicht verschwinden. Sie werden die | |
Gesellschaft nachhaltig prägen. Bis zum nächsten Trumpusconi. | |
1 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Fabio Ghelli | |
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