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# taz.de -- Sensationsberichterstattung in Italien: Frei von Skrupeln
> In Italien verbreiten staatliche Medien das Video vom Seilbahnabsturz im
> Mai. Krawalljournalismus ist seit Berlusconi hegemonial geworden.
Bild: Die abgedeckte Unglücksstelle am 26. Mai in Mottarone, Norditalien
Wenigstens warnte der Nachrichtensprecher im italienischen
Staatsfernsehsender RAI: Das nun folgende Video könne die Gefühle
empfindlicher Zuschauer verletzen, teilte er in der News-Sendung am
Mittwochmittag mit. Gleich darauf durfte das Publikum dem
[1][Seilbahnunglück] vom Mottarone in Norditalien beiwohnen, das 14
Menschen den Tod brachte. Die Überwachungskameras der Bergstation filmten
die Kabine auf den letzten Metern, filmten, wie sie sich nach dem Riss des
Seils förmlich aufbäumt, dann zu Tal rast und abstürzt.
Der Informationswert des Videos liegt bei null, denn der genaue Hergang des
Unglücks ist hinreichend bekannt, der Sensationswert – so haben sich wohl
die RAI-Redakteur*innen gesagt – dagegen bei hundert. Und der zählt in
Italien auch in vorgeblich seriösen Medien wie dem Staatssender RAI
deutlich mehr als in anderen Ländern, etwa in der britischen BBC oder den
deutschen Öffentlich-Rechtlichen.
„Witwenschütteln“ nennt man diese unappetitliche Form eines Journalismus,
der auf die Opfer und ihre Angehörigen keine Rücksicht nimmt, sondern ihnen
auf die Pelle rückt, um den Voyeurismus des Publikums zu bedienen. In
Deutschland verrichtet vorneweg die Bild diesen Job – in Italien tun es
dagegen so gut wie alle Medien. Als dort seit Anfang der 80er Jahre die
privaten [2][Berlusconi]-Sender stark wurden, erwies sich deren aggressiver
Nachrichtenjournalismus schnell als hoffähig.
Schlimmer noch: Er wurde hegemonial. Denn Italiens Staatsfernsehen setzte
darauf, die Privaten zu kopieren, um im Wettbewerb um die Einschaltquoten
zu bestehen. In Deutschland geschah seinerzeit exakt das Gegenteil: Die
Privaten, ob RTL oder Sat.1, bemühten sich um den seriösen Anstrich, den
sie von ARD und ZDF abschauten.
Aus allen politischen Lagern hagelt es jetzt harte Schelte für die
[3][RAI], und selbst deren Präsident distanziert sich von jenen
Redakteur*innen, die frei von Skrupeln das Video ausstrahlten. Doch ändern
wird sich nichts, denn niemand brachte den Mut auf, über den Einzelfall
hinaus generell das Modell der Krawallberichterstattung infrage zu stellen.
18 Jun 2021
## LINKS
[1] /Nach-Seilbahnunglueck-in-Italien/!5775211
[2] /Berlusconi-und-Trump--ein-Phaenomen/!5721160
[3] /Beleidigung-italienischer-Journalistin/!5679756
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Italien
Berichterstattung
Privatfernsehen
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk
Silvio Berlusconi
Portugal
Italien
US-Wahl 2024
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