| # taz.de -- Generationskomödie „Alles was du willst“: Wann endete der Zwei… | |
| > In der Komödie „Alles was du willst“ trifft die Jugend Italiens auf einen | |
| > Senioren. Das ist auf zärtliche Weise komisch und unaufdringlich klug. | |
| Bild: Sie nähern einander schrittweise an: Giorgio (Giuliano Montaldo) und Ale… | |
| Wer in Italien dieser Tage gut ausgebildet und jung ist, sieht notgedrungen | |
| meist zu, dass er das Land verlässt, um anderswo Arbeit zu finden. | |
| Alessandro (Andrea Carpenzano) und seine Freunde sind zwar jung, doch die | |
| Ausbildung haben sie erst einmal beiseitegeschoben. Wenn man stattdessen | |
| [1][den ganzen Tag im Café sitzen] und den Frauen nachschauen kann, | |
| erscheint das Studium ja auch nicht so furchtbar zwingend. | |
| Als Alessandro dann nach einer Rangelei für eine Nacht im Gefängnis landet | |
| – vorher hatte ihm einer der Prügelkontrahenten noch ein Tütchen mit Drogen | |
| in die Jacke geschmuggelt –, ist es für seinen Vater vorbei mit der Geduld. | |
| Er stellt den Sohn vor die Alternative: Entweder nimmt er einen Job an oder | |
| er muss von zu Hause ausziehen. Alessandro willigt mit äußerst geringer | |
| Begeisterung ein. Fortan begleitet er nachmittags Giorgio (Giuliano | |
| Montaldo), einen 85-jährigen Alzheimerkranken, macht Spaziergänge mit ihm, | |
| redet mit ihm. | |
| „Alles was du willst“ ist der dritte Spielfilm des italienischen | |
| Drehbuchautors Franceso Bruni als Regisseur. Schon in seinem Regiedebüt | |
| „Scialla! (Stai sereno)“ von 2011 hatte er die Geschichte einer | |
| intergenerationellen Begegnung erzählt. In „Alles was du willst“ ist | |
| Giorgio dabei nicht bloß deutlich älter als seine neue Bekanntschaft und | |
| durch die Krankheit manchmal etwas verwirrt, er scheint insgesamt einer | |
| völlig anderen Welt zu entstammen. Anders als Alessandros proletarisches | |
| Umfeld ist Giorgio ein Dichter, der sich durch einen anderen Blick und vor | |
| allem durch eine bemerkenswerte Unvoreingenommenheit auszeichnet. | |
| So stört es Giorgio keinesfalls, wenn Alessandros Freunde plötzlich samt | |
| Konsole auftauchen, um sich im Wohnzimmer mit Computerspielen die | |
| Langeweile zu vertreiben. Und wenn das Spiel zufällig die Simulation einer | |
| klassischen Fußballpartie von 1947 ist, weiß Giorgio die versammelten | |
| jungen Männer durch genaue Kenntnis der Mannschaftsaufstellung zu | |
| überraschen. | |
| Überhaupt setzt „Alles was du willst“ weniger auf dankbare | |
| Schenkelklopfkomik als auf das Spiel mit der Unzuverlässigkeit der | |
| Erinnerung nicht allein bei senilen Menschen: Wo Giorgio lediglich mit | |
| seinem Kurzzeitgedächtnis Schwierigkeiten hat, gibt es bei den Jüngeren | |
| anderen Nachholbedarf. | |
| ## Ein häusliches Graffito | |
| So entdeckt Alessandro in einem Zimmer von Giorgio an den Wänden ein | |
| Gedicht, das dieser flächendeckend in die Tapete geritzt hat. Darin finden | |
| sich zahlreiche Verweise auf den Zweiten Weltkrieg. Als Alessandro seinen | |
| Freunden das häusliche Graffito zeigt, fragt einer von ihnen: „Bis wann | |
| ging noch mal der Zweite Weltkrieg?“ | |
| Der Zweite Weltkrieg spukt im Übrigen noch höchst lebendig durch Giorgios | |
| Bewusstsein. Dessen Erinnerungen an Kindheitserlebnisse in den letzten | |
| Kriegstagen inszeniert Bruni dabei mit einem sehr schlichten | |
| Verfremdungseffekt: Aus Alessandro und seinen Freunden werden mit einem | |
| Schnitt plötzlich Soldaten der Alliierten, einfach dadurch, dass Bruni | |
| dieselben Darsteller in Uniformen steckt, während die Umgebung ansonsten | |
| unverändert bleibt. | |
| Dass der anfangs bockige Alessandro und der freundlich strenge Giorgio sich | |
| im Verlauf der Handlung annähern, ist eine der erwartbaren Entwicklungen | |
| der Geschichte. Diese Entwicklung gestalten Andrea Carpenzano und Giuliano | |
| Montaldo in erster Linie über sprachliche Gegensätze. Wo Carpenzanos | |
| Alessandro ein umgangssprachliches Römisch spricht und seine Begeisterung | |
| für die Schönheiten der Natur schon mal mit einem juvenilen „Fico!“, spri… | |
| „cool“, kommentiert, formuliert Montaldos Giorgio mit sehr gewählten | |
| Worten, ohne jedoch elitär oder überheblich zu wirken. | |
| ## Das plump Doofe elegant umschifft | |
| Auch diese Konfrontation von Sprachen nutzt Bruni für Komik, die das plump | |
| Doofe elegant umschifft. Ebenso wie das Potenzial zur Eskalation. In vielen | |
| italienischen Filmen sind Jugendliche heutzutage ja gern als angehende | |
| Kriminelle zu erleben, die mitunter zur Waffe greifen und nicht selten | |
| ebenso zu Tode kommen. Hier reden sie ähnlich und haben ein ähnliches | |
| Erscheinungsbild wie ihre gewalttätigen Filmzeitgenossen, stellen sich dann | |
| allerdings in erster Linie als Opfer ihrer Lage heraus, die gleichwohl | |
| nicht den kriminellen Weg einschlagen. | |
| Frauen spielen in diesem Film keine großen Rollen. Dafür sind sie | |
| andererseits diejenigen, die Alessandro überhaupt erst zu bestimmten Dingen | |
| ermächtigen. Claudia (Donatella Finocchiaro), die Mutter eines seiner | |
| Freunde, zu der sich Alessandro hingezogen fühlt, stellt ihm etwa ihren | |
| Wagen für einen Ausflug zur Verfügung. Und Zoe (Carolina Pavone), die | |
| Bedienung in Alessandros Stammcafé, erklärt ihm in der Unibibliothek erst | |
| einmal, wie ein Katalog funktioniert. Auch das ein Anfang. | |
| 5 Dec 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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