| # taz.de -- Filmfestspiele mit historischen Sujets: Das Scheitern eines Künstl… | |
| > Geschichte spricht: mal brav, mal vielschichtig. Eine Zeitreise durchs | |
| > 20. Jahrhundert mit Pietro Marcellos Verfilmung von „Martin Eden“. | |
| Bild: Regisseur Pietro Marcello (r.) mit zwei seiner SchauspielerInnen, Luca Ma… | |
| Venedig taz | Geschichte. Dass man sie auf vielerlei Arten erzählen kann, | |
| muss immer mal wieder in Erinnerung gerufen werden. Denn im Film wird sie | |
| oft nach Schema F erzählt: viele Kostüme, ein wenig persönliches Drama der | |
| Beteiligten und nach Möglichkeit, was bei Geschichtsthemen oft der Fall | |
| ist, heftiges Schlachtengetümmel dazu. | |
| Der australische Regisseur David Michôd hat sich für seine außer Konkurrenz | |
| gezeigte Verfilmung des Werdegangs von König Heinrich V. bei Shakespeares | |
| „Lancaster-Tetralogie“ und bei der oben genannten Checkliste bedient. Er | |
| lässt den jungen Hal, der keine Ambitionen auf die Thronfolge hat, gegen | |
| seinen Vater, Heinrich IV., aufmucken, stattdessen lieber mit Falstaff | |
| abhängen und schließlich doch die Krone akzeptieren. Mit allem, was das mit | |
| sich bringt. | |
| Das guckt sich weitgehend brav, aber dank starker Darsteller wie Joel | |
| Edgerton als Sir John Falstaff – mit leicht abgerundeten Ecken und Kanten – | |
| oder einem einnehmend knorrig undurchsichtigen Sean Harris als Heinrichs | |
| Berater Michael Williams vermeidet Michôd das Aufkommen von Muffigkeit. Als | |
| kleinen Scherz am Rande darf man Robert Pattinson dabei zusehen und -hören, | |
| wie er in der Rolle des Dauphin mit französischem Akzent gegen Heinrich V. | |
| im Besonderen und das Englische als Sprache im Allgemeinen polemisiert. | |
| Eine völlig andere Vorgehensweise im Umgang mit historischen Sujets hat der | |
| italienische Regisseur Pietro Marcello für seinen Wettbewerbsbeitrag | |
| „Martin Eden“ gewählt. Marcello, der zuletzt mit „Bella e perduta“ von… | |
| ein märchenhaft-schwermütiges Porträt des heutigen Italiens geliefert | |
| hatte, erkundet in „Martin Eden“ das Scheitern eines Künstlers nicht an der | |
| Kunst, sondern an den Verhältnissen. | |
| Vor 110 Jahren ist die Vorlage erschienen: Jack Londons Buch „Martin Eden“, | |
| ein zum Teil autobiographischer Künstlerroman über einen Arbeiter ohne | |
| Bildung, der sich aus Liebe zu einer Studentin aus der Oberschicht | |
| entschließt, Schriftsteller zu werden und diesen Weg gegen alle Widerstände | |
| weitergeht. 1914 machte Hobart Bosworth daraus einen Stummfilm, 1979 drehte | |
| der Italiener Giacomo Battiato für das ZDF einen vierteiligen Fernsehfilm | |
| nach Londons Roman. All diese Schichten des Stoffs und seiner Adaptionen | |
| scheint Marcello in seiner Fassung berücksichtigt zu haben. | |
| ## Im Soundtrack italienische „Schlager“ | |
| So sieht man bei ihm scheinbar ohne Zusammenhang mit dem Rest des Films | |
| zwischen die eigentliche Handlung hineingeschnittene vereinzelte | |
| sepiafarbene Stummfilmbilder, etwa das eines sinkenden Segelschiffs, dann | |
| verblichene Aufnahmen Neapels in den sechziger oder siebziger Jahren. In | |
| diese Zeit hat Marcello auch die Ausstattung des Films verlegt, obwohl die | |
| Handlung zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt. Dazu hört man im Soundtrack | |
| diverse italienische „Schlager“, die seltsam anrühren. | |
| Überhaupt rührt diese Erzählung stark an. Wie ein einfacher, zugleich | |
| hellwacher und begeisterungsfähiger Mann zunächst durch seine Klasse daran | |
| scheitert, seinen Wunsch zu erfüllen, Schriftsteller zu werden. Und später, | |
| als sich der Erfolg wider Erwarten doch eingestellt hat, mit seinem Leben | |
| als bewunderter und wohlhabender Dichter nicht fertig wird. | |
| Dass diese Erzählung bei Marcello so gut gelingt, liegt nicht allein an der | |
| vielschichtigen Inszenierung, in der gegen Ende des Films auch das | |
| Aufkommen des italienischen Faschismus angedeutet wird. Vor allem liegt es | |
| am überragenden Spiel von Luca Marinelli, dessen Martin Eden so freundlich | |
| staunend lächeln kann wie ein Junge, der gerade die Welt entdeckt, der im | |
| nächsten Augenblick jedoch ebenso fest zuschlagen kann und, wenn er sich | |
| abgelehnt oder missverstanden fühlt, auch verbal auszuteilen versteht. | |
| Joaquin Phoenix hat einen ernsthaften Konkurrenten für den besten | |
| Darsteller bekommen. | |
| 4 Sep 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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