| # taz.de -- Filmfestpiele mit fließenden Realitäten: Kino in der Schwebe | |
| > Regisseur Ye Lou zieht die Zuschauer*innen in ein chinesisches | |
| > Agentenspiel. Ein dänischer Psycho-Film bringt sie in die geschlossene | |
| > Anstalt. | |
| Bild: Vor der Vorstellung von „Lan Xin Da Ju Yuan“: Schauspielerin Gong Li … | |
| Während [1][China außenpolitisch] derzeit insbesondere durch die Proteste | |
| in Hongkong in Erscheinung tritt, kann man bei den Filmfestspielen in | |
| Venedig ein wenig von der Geschichte Chinas, genauer Schanghais im Zweiten | |
| Weltkrieg, erfahren. „Lan xin da ju yuan“ (Saturday Fiction) nennt der in | |
| Schanghai geborene [2][Regisseur Ye Lou] seinen Wettbewerbsfilm, der im | |
| Jahr 1941 spielt. Die Stadt ist 1937 von den Japanern erobert worden und | |
| seitdem besetzt. Chinesischer Geheimdienst und Alliierte arbeiten zusammen | |
| gegen die Japaner. Woran genau, weiß man zunächst nicht so recht. | |
| Star-Schauspielerin Jean Lu kehrt aus dem Exil nach Schanghai zurück. Wo | |
| sie auftaucht, wird sie von Pressefotografen umringt. Am Lyceum-Theater | |
| erwartet man sie für eine Produktion unter dessen Direktor Tan Na. Der hat | |
| zudem eine Liebesbeziehung zu ihr. Gong Li spielt diese Jean Lu als | |
| würdevoll unnahbare Frau, rätselhaft, in sich gekehrt, der taiwanesische | |
| Darsteller Mark Chao als freundlich-besorgter Tan Na. Und sie ergeben ein | |
| großartiges Paar. | |
| Zwischen die beiden schiebt sich jedoch bald etwas ganz anderes. Jean Lu | |
| hat neben ihrer Verpflichtung am Theater nämlich noch einen Auftrag für die | |
| Alliierten zu erledigen. Regisseur Ye Lou lässt die Dinge dabei im | |
| Ungewissen, der Blick des Publikums gleitet mit der Kamera übergangslos von | |
| einer Theaterprobe zu einem konspirativen Treffen und wieder zurück, nie | |
| ist man sich ganz sicher, auf welcher Ebene das Gezeigte gerade spielt – | |
| oder auf wie vielen gleichzeitig. Als dann das Stichwort „Hawaii“ fällt, | |
| begreift man, dass man den Tagen unmittelbar vor dem Angriff auf Pearl | |
| Harbor 1941 beigewohnt hat. | |
| In historisch passendem Schwarz-Weiß gehalten, zeichnet Ye Lou so ein | |
| Porträt seiner Stadt, auch wenn diese nur in Ausschnitten zu sehen ist. | |
| Wobei er keinen Geheimagentenfilm im herkömmlichen Sinn gedreht hat, denn | |
| ebenso sehr wie um die Spionageaktivitäten in der Stadt geht es in | |
| „Saturday Fiction“ um das Theater dieser Zeit. Dazwischen kann man sich | |
| wunderbar verlieren. Überblick ist im Kino schließlich kein Muss. | |
| ## Träumen in der Psychiatrie | |
| Den verliert man auch in „Psykosia“, dem Spielfilmdebüt der dänischen | |
| Regisseurin Marie Grahtø. Trine Dyrholm ist darin als Psychiaterin Dr. | |
| Klein in einer geschlossenen Anstalt zu erleben. Sie erhält Unterstützung | |
| von der Suizidforscherin Viktoria, die sich einer besonders gefährdeten | |
| Patientin widmen soll. | |
| Die schwedische Schauspielerin Lisa Carlehed gibt diese Viktoria als | |
| zugeknöpfte Wissenschaftlerin, die sich einer unberechenbar impulsiven Frau | |
| als zu behandelndem Fall gegenüber sieht. Rasch zeigt sich aber, dass | |
| Viktoria mit dem Thema ihrer Arbeit einen intimeren Umgang pflegt als rein | |
| akademische Forschung. | |
| Die Realität kommt darüber mehr und mehr ins Fließen, in Bildern, deren | |
| Farben und absurde Arrangements an Traumsequenzen denken lassen. Wessen | |
| Traum das ist, erfährt man erst zum Ende. Bis dahin hält Grahtø dieses | |
| Flirren stilsicher in der Schwebe. Und wirft die beunruhigende Frage auf, | |
| ob Selbstmord, wie es beim Psychoanalytiker Jacques Lacan heißt, | |
| tatsächlich der einzige „erfolgreiche Akt“ ist. | |
| 6 Sep 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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