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# taz.de -- Filmfestspiele mit Monotonie und Lakonie: „Es ist schon wieder Se…
> Große Gegensätze beim Wettbewerb von Venedig. Auf der einen Seite
> ausgedehntes Leid, auf der anderen kurz, knapp und lakonisch: die
> Unendlichkeit.
Bild: Sein Charakter hat im Film „Der bemalte Vogel“ nicht viel zu lachen: …
Venedig taz | Manche Filmfestivaljahrgänge müssen ja damit kämpfen, dass
Regisseure ihre Filme gern etwas länger haben. Was man niemandem vorwerfen
kann. Superheldenspektakel sind dieser Tage kaum noch unter zweieinhalb
Stunden zu haben, da sollte man Autorenfilmern keine Vorschriften machen,
wie ausführlich sie ihre Geschichten erzählen. Zumal für digitale Bilder
keine teuren Filmnegative mehr nötig sind. Die daraus resultierenden Dauern
in einem [1][Festivalprogramm] zu stemmen, ist logistisch jedoch keine
Kleinigkeit.
In Venedig sind die Beiträge im Wettbewerb dieses Jahr nicht übermäßig
lang, in der Regel dauern sie zwei Stunden. Allein der tschechische
Regisseur Václav Marhoul liegt mit „The Painted Bird“ deutlich über dem
Durchschnitt. Knapp drei Stunden lang ist das Leiden eines jüdischen Jungen
in Polen während des Holocausts zu sehen, wie er auf dem Land von einem
Unterschlupf zum nächsten irrt und sich ein Abgrund menschlicher
Schlechtigkeit nach dem anderen für ihn auftut.
Die Handlung – Vorlage ist der Roman „Der bemalte Vogel“ von Jerzy Kosiń…
– ist in Kapitel unterteilt, benannt nach den Personen, die den zunächst
namenlosen Jungen aufnehmen, den der Kinderdarsteller Petr Kotlár mit
erbarmungswürdig flehendem Blick und äußerst wortkarg gibt. Freundlich
begegnet ihm auf seinem Weg kaum ein Mensch, und wer es doch tut, verfolgt
meist eine Absicht, die klar zum Nachteil des Jungen ist.
In kontrastreichem Schwarz-Weiß gedreht, kontrastiert der Film zugleich
seine idyllischen Landschaftsbilder mit zum Teil sehr explizit gehaltenen
Darstellungen von menschlicher Niedertracht. Neben den vorwiegend
tschechischen Darstellern sind als internationale Stars Udo Kier, Stellan
Skarsgård und Harvey Keitel in kleineren Rollen zu erleben. Sie alle machen
ihre Sache gut. Ob es aber notwendig war, diese bei aller Grausamkeit von
der Dramaturgie her doch recht monotone Erzählung so detailliert
auszudehnen, bleibt die Frage. Viele Zuschauer verließen denn auch recht
bald die Pressevorführung.
## Es geht auch kürzer
Man kann die Nöte des Menschen andererseits sehr wohl in aller
Unbarmherzigkeit schildern, ohne sein Publikum im Stil von Marhoul zu
foltern. Und das sogar kurz und knapp. Der schwedische Regisseur Roy
Andersson hat genau das mit seinem, dem kürzesten Wettbewerbsfilm, getan.
„Om det oändliga“ (About Endlessness) dauert 76 Minuten. Und weiß diese
Zeit weit besser zu nutzen.
Wie in seinen Arbeiten zuvor pflegt Andersson seinen markanten Stil mit
weiß geschminkten Darstellergesichtern, ausgeblichenen Farben und festen
Kameraeinstellungen. In den Szenerien, die er zeigt, herrscht viel Stasis
vor. Die meisten Menschen im Bild rühren sich nicht, andere sprechen, wenn
sie sprechen, in der Regel wortkarg. Ein Paar etwa sitzt zu Beginn auf
einer Parkbank, den Blick vom Publikum weg über das Panorama einer Stadt im
Hintergrund gerichtet. Ein Gänseschwarm fliegt über sie hinweg. Die Frau
sagt: „Es ist schon wieder September.“ Er erwidert: „Hm.“
So eine Lakonie muss man mögen. Andersson berührt in seinen grotesken
Anordnungen allerdings stets existenzielle Dinge: Liebe, Todesangst, Neid,
Verzweiflung. Freude gibt es mitunter ebenfalls, in kleinen Dosen. Das
Komische dieser Miniaturen liegt weniger in dem, was passiert, als in dem,
was nicht passiert. Und davon gibt es eine Menge. Wie den Mann, dessen
Wagen liegen geblieben ist und der ratlos seinen Motor untersucht. Für den
Zuschauer ereignet sich nicht viel. Für ihn hingegen, dessen Lauf abrupt
unterbrochen ist, mehr als genug. Ein weiterer Höhepunkt.
5 Sep 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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