# taz.de -- Filmfestspiele mit virtuellen Realitäten: Wie sie aus sich heraust… | |
> Die echte und die virtuelle Welt vermischen sich. Und die legendäre | |
> Schauspielerin Hedy Lamarr ist restauriert im Film „Ekstase“ von 1933 zu | |
> erleben. | |
Bild: Zurück im Kino: Hedy Lamarr | |
Die virtuelle Welt entdeckt die Doppelbelichtung. Was in Film und | |
Fotografie schon früh zum Einsatz kam, wird jetzt auch in der Virtual | |
Reality (VR) zur Mode. Gute Sache, denn die neue Idee besteht nicht darin, | |
ein virtuelles Bild über ein anderes zu legen. Der Witz liegt darin, welche | |
Bilder übereinandergelegt werden. | |
Bei den [1][Filmfestspielen von Venedig] gibt es mit der Sektion Venice VR | |
eine Parallelwelt zum Festival. Auf der winzigen Insel Lazzaretto Vecchio | |
westlich vom Lido lassen sich die jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der | |
medialen Versenkung erkunden. Wobei es eben nicht ausschließlich um die | |
größtmögliche „immersive“ Erfahrung fernab der übrigen Realität gehen … | |
„Tónandi“ heißt die in Zusammenarbeit mit der isländischen Band Sigur R�… | |
und ihrer künstlerischen Leiterin Sarah Hopper entwickelte Arbeit von Mike | |
Tucker und Steve Mangiat. Die Installation verwendet keine handelsüblichen | |
VR-Brillen, bei denen man ein undurchsichtiges Display vor Augen hat, das | |
einem, in Kombination mit Kopfhörern, fremde Welten vorgaukelt. | |
Stattdessen trägt man eine Brille mit Rundumbügel. Der Kopfhörer, der knapp | |
oberhalb der Ohren sitzt, lässt Außengeräusche zu. Durch die Brille sieht | |
man den Raum, in dem man sich gerade aufhält, aber man sieht zusätzlich | |
eben noch weitere Dinge, die gar nicht da sind. | |
## Migrant im Vogelkostüm | |
In weißlich-spukhafter Anmutung tauchen in dieser Installation an | |
verschiedenen Stellen im Raum, je nach Bewegung von Kopf und Körper, | |
leuchtende und tönende, oft pflanzenartige Gebilde auf, die man mit den | |
Händen zusätzlich aktivieren kann. Eine „Mixed Reality“, bei der man die | |
Gegenstände im Raum, die Wände und vor allem die anderen Menschen um einen | |
herum so wahrnimmt wie sonst auch. Statt eines autistischen | |
Totaleinschlusses ergeben sich daraus tatsächlich neue Formen der | |
Interaktion. | |
Auch in „The Key“ von der in den USA lebenden Filmemacherin Céline Tricart | |
wird die Wirklichkeit mit dem Virtuellen kombiniert. Eine Schauspielerin | |
begrüßt anfangs die Besucher in einem spärlich gestalteten Raum, bevor es | |
mit Brille und Kopfhörer weitergeht. Hier ist man in einer Fantasiewelt | |
allerhand Gewalt von Monstern ausgesetzt, sieht die Wände um sich herum | |
stets aufs Neue davonfliegen. Bis man zum Schluss, wieder im Beisein der | |
Schauspielerin, über die Pointe der Arbeit aufgeklärt wird. Eine | |
Installation mit einer Botschaft, die ankommt. | |
Und im Film „Passenger“ von den Australierinnen Isobel Knowles und Van | |
Sowerwine ist man eine Art Migrant im Vogelkostüm. Fährt im Taxi mit einem | |
ebenfalls vogeligen Fahrer vorbei an Häusern, die ihre Form ständig ändern. | |
Besonders schön an dieser Welt ist ihr analoger Ursprung. Hier ist alles | |
aus Pappe gemacht, Auto, Häuser, Straßen. Am Ende hebt man sogar ab. | |
## Dezent angedeutete Orgasmusszene | |
Herkömmliche Doppelbelichtungen schließlich gab es beim Auftakt der Venezia | |
Classici mit „Ekstase“ von Gustav Machatý aus dem Jahr 1933. Der aufwendig | |
restaurierte Film, in dem der spätere Hollywoodstar Hedy Lamarr in einer | |
Nackt- und später in einer dezent angedeuteten Orgasmusszene zu erleben | |
ist, sorgte seinerzeit für einen Skandal – und dafür, dass Lamarrs | |
damaliger Ehemann alles daran setzte, so viele Kopien wie möglich zu kaufen | |
und zu zerstören. Was die Arbeit der Restaurateure vom Národní filmový | |
archiv nicht eben erleichterte. | |
Jetzt sieht man neben genannten Elementen, von denen die Nacktszene vor | |
allem komisch ist, wieder in fast vollständig wiederhergestellter Schönheit | |
das wunderbare Spiel Machatýs mit Schatten, konzentriertem Licht und einer | |
symbolischen Doppelbelichtung, in der die von Hedy Lamarr gespielte Eva, | |
wie es sich für eine Ekstase gehört, aus sich heraustritt. | |
29 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] /76-Filmfestspiele-in-Venedig/!5618036 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
## TAGS | |
Lidokino | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig | |
Hedy Lamarr | |
Kolumne Lidokino | |
Lidokino | |
Lidokino | |
Filmfestival Venedig | |
Lidokino | |
Lidokino | |
Panama Papers | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Filmfestspiele mit historischen Sujets: Das Scheitern eines Künstlers | |
Geschichte spricht: mal brav, mal vielschichtig. Eine Zeitreise durchs 20. | |
Jahrhundert mit Pietro Marcellos Verfilmung von „Martin Eden“. | |
Filmfestspiele mit aktuellen Stoffen: Weiteres Nachdenken freigestellt | |
Steven Soderbergh erklärt die Panama Papers, Olivier Assayas erinnert an | |
die Miami Five und Paolo Sorrentino präsentiert einen neuen Papst. | |
Filmfestspiele mit Émile Zola und Joker: Von Anfang bis Ende begeisternd | |
Dreyfus als Drama, der Superschurke Joker als fragiler Underdog und eine | |
narzisstische Tänzerin als Verführerin bei den Filmfestspielen von Venedig. | |
Filmfestspiele mit Brad und Scarlett: Dem Ich entkommt man nicht | |
Diesmal bei den Filmfestspielen von Venedig: Familienkonflikte mit Brad | |
Pitt im Weltall und mit Scarlett Johansson in Los Angeles. | |
Filmfestspiele mit weiblichen Stars: Verschleppte Entwicklung | |
Die Filmfestspiele von Venedig sind eröffnet. Wir sehen Catherine Deneuve | |
als alternde Diva und Nina Hoss als Pferdetrainerin. | |
76. Filmfestspiele in Venedig: Überall Spione | |
Von der Dreyfusaffäre bis zu den Panama Papers: In Venedig dominiert die | |
Zeitgeschichte. Auch Netflix ist mit drei Produktionen am Start. |