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# taz.de -- Boliviens neue Übergangsregierung: Das Anti-Morales-Kabinett
> Nach Evo Morales' Rücktritt hat Jeanine Áñez ihre neue Regierung
> vorgestellt. Es ist eine rein weiße, von Rechten geprägte
> Führungsmannschaft.
Bild: Interimspräsidentin Jeanine Áñez spricht am Mittwoch zu Polizisten vor…
Berlin taz | Boliviens neue De-facto-Präsidentin Jeanine Áñez hat große
Teile ihres Kabinetts benannt. Zunächst wurden am Mittwoch elf
Minister*innen vereidigt, weitere sollen am Donnerstag folgen. Áñez selbst
betonte, es handele sich um eine Expertenregierung mit striktem
Übergangscharakter bis zu den innerhalb von knapp drei Monaten
einzuberufenden Neuwahlen.
Doch ein Blick auf die Riege derer, die jetzt regieren wollen, bestätigt
diese Aussage nicht: Es ist ein Kabinett ohne Indigene, eine rein weiße,
von Rechten aus dem Tiefland geprägte Regierung von radikalen Gegner*innen
der Vorgänger-Regierung von Evo Morales, der am Sonntag nur drei Wochen
nach seiner umstrittenen Wiederwahl zurückgetreten war und nun in Mexiko im
Exil ist.
Und obwohl Luis Fernando Camacho, der rechte evangelikale Unternehmer aus
Santa Cruz, der sich in den letzten Wochen als Volkstribun gegen Morales
auf die nationale Bühne gedrängt hat, dem Kabinett selbst nicht angehört,
trägt es doch seine Handschrift. Camachos persönlicher Anwalt Jerjes
Justiniano wurde Präsidialamtsminister.
Besonders hervor sticht der neue Innenminister Arturo Murillo, 55. Der
bisherige Senator, der wie Áñez dem Oppositionsbündnis Unidad Democrática
angehört, kündigte unmittelbar nach seiner Vereidigung an, die „Jagd“ auf
Morales' Präsidialamtsminister Juan Ramón Quintana und auf den Bruder des
zurückgetretenen Vizepräsidenten Alvaro Garcia Linera, Raúl García Linera,
zu eröffnen.
„Warum ist das eine Jagd? Er ist ein Tier, das Leute in unserem Land
umbringt, und das werden wir nicht zulassen“, sagte Murillo. Wer zum
Aufstand aufrufe, werde mit aller Härte verfolgt werden.
## Bewaffnete auf der Straße
Áñez hat sich zuvor der Loyalität von Streitkräften und Polizei versichert
und einige Führungspersonen ausgetauscht. In La Paz und anderen Städten
sind bewaffnete Kräfte auf den Straßen. Unter Anhänger*innen von Evo
Morales geht die Angst vor Verfolgung um.
Während neben der US-amerikanischen vor allem lateinamerikanische
Rechtsregierungen wie die von Brasilien, Argentinien und Kolumbien – und
der selbsternannte Interimspräsident von Venezuela, Juan Guaidó –
inzwischen Áñez als Übergangspräsidentin anerkannt haben, erklären sowohl
Abgeordnete der Bewegung zum Sozialismus (MAS) als auch Morales die
Amtsübernahme von Áñez für verfassungswidrig.
In einem [1][Interview] mit der spanischen Zeitung El País beklagte Morales
erneut, Opfer eines Putsches geworden zu sein, und erklärte, solange das
Parlament seinen Rücktritt nicht formal angenommen habe, sei er
verfassungsrechtlich gesehen weiterhin Präsident. Er sei bereit, nach
Bolivien zurückzukehren – nicht um zu regieren oder bei Neuwahlen erneut
als Kandidat anzutreten, sondern um bei der Befriedung des Landes durch
Dialog zu helfen.
## Gericht argumentiert mit Machtvakuum
Am Mittwoch trafen sich im Parlament erstmals seit Morales' Rücktritt die
Abgeordneten der MAS, die in beiden Kammern über eine Zweidrittelmehrheit
verfügen. Sie waren am Montag und Dienstag den Sitzungen ferngeblieben, so
dass das Parlament über die Annahme der Rücktrittserklärungen der Regierung
nicht hatte abstimmen können.
Das oberste Gericht hatte am Dienstag entschieden, dass durch die Abreise
von Präsident und Vize nach Mexiko ein Machtvakuum entstanden sei, das
sofort gefüllt werden müsse. Deshalb segnete es die Amtsübernahme durch
Áñez ab. De facto ist Áñez damit neue Staatschefin, obwohl das rechtlich
zumindest fragwürdig erscheint.
Am Mittwoch versuchte die bisherige Senatspräsidentin Adriana Salvatierra
(MAS), in den Senat zu gelangen. Sie wurde von der Polizei daran gehindert.
Salvatierra, die am Wochenende ebenfalls ihren Rücktritt erklärt hatte,
verurteilte das Vorgehen. Auch über ihren Rücktritt habe die Kammer nicht
abgestimmt, insofern sei sie weiterhin Senatorin und gewählte
Senatspräsidentin. Damit stünde sie in der Abfolge über Áñez, die als
zweite Vizepräsidentin das Amt der Präsidentin übernommen hatte.
14 Nov 2019
## LINKS
[1] https://elpais.com/internacional/2019/11/13/mexico/1573681987_047241.html?f…
## AUTOREN
Bernd Pickert
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