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# taz.de -- Boliviens Interimspräsidentin: Mit Wut und Bibel
> Nach der Flucht von Ex-Präsident Morales nach Mexiko übernimmt Jeanine
> Añez die Regierungsgeschäfte. Das gespaltene Land wird sie kaum einen.
Bild: Äußerlich das exakte Gegenbild zu Evo Morales: Jeanine Añez
Berlin taz | Sie ist 52, sie war Anwältin, bevor sie Politikerin wurde, und
sie ist seit Dienstag übergangsweise Präsidentin von Bolivien.
Das jedenfalls hat die Senatorin Jeanine Añez unter Berufung auf die
Abfolgeregelungen der bolivianischen Verfassung selbst erklärt in der
Sitzung des Senats in La Paz. Ihre Aufgabe laut Verfassung: Das Land führen
bis zu Neuwahlen im Laufe von 90 Tagen.
Mit der Verfassung müsste sich Añez auskennen: Sie gehörte von 2006 bis
2008 zur Verfassunggebenden Versammlung, die den Entwurf ausarbeitete. Die
Wahl in das Gremium war gleichzeitig ihr Einstieg in die Politik. Nach der
Verabschiedung der Verfassung wurde sie als Senatorin eines
Oppositionsbündnisses für die Provinz Beni, ihre Heimatregion, in den Senat
gewählt.
Añez ist keine neutrale Figur, und schon gar keine, die ein zutiefst
gespaltenes Land einen könnte. In einem ersten Interview mit dem
spanischsprachigen Kanal von CNN beschimpft sie den zurückgetretenen
Präsidenten Evo Morales als „Feigling“, weil er sich [1][nach Mexiko
abgesetzt] hat. Morales generiere sich mit seinem Asylantrag als Opfer,
aber er sei aus freien Stücken gegangen, um sich der Verantwortung zu
entziehen.
## Machthungrige Sozialisten
Den Mexikanern wünscht sie, offenbar gemünzt auf ihren gemäßigt linken
Präsidenten Andrés Manuel López Obrador, dass sie nicht die selbe Tragödie
erleiden müssten wie Bolivien – denn so seien sie, die Sozialisten: Sie
kämen mit demokratischen Mitteln an die Macht, um sich dann dort
festzusetzen und alles kaputtzumachen.
In den Wochen seit der Wahl vom 20. Oktober hat sie offen und laut den
religiös-rassistischen Millionär und Volkstribun Luis Fernando Camacho aus
Santa Cruz unterstützt, den „bolivianischen Bolsonaro“, wie ihn die
britische BBC kürzlich betitelte.
Der hatte sich nur eine Stunde nach Morales' Rücktrittserklärung mit einer
Bibel in der Hand in den Präsidentenpalast begeben und erklärt, ab jetzt
sei das Heilige Buch zurück. Auch Añez trug ostentativ eine riesige Bibel
vor sich her, als sie am Dienstag vom Parlamentssitz in den
Präsidentenpalast wechselte.
Äußerlich ist sie das exakte Gegenbild zu Evo Morales: Dort der indigene
frühere Cocabauer, der auch gern in traditioneller Kleidung die
Amtsgeschäfte erledigte, hier die blonde weiße Frau, die sich im
Fitness-Studio um ihren Körper kümmert und gern morgens eine Stunde joggen
geht. Mit dem konservativen kolumbianischen Politiker Héctor Hincapié hat
sie einen Sohn und eine Tochter, beide erwachsen.
## Derbe auf Twitter
Auf Twitter – ihr Account hatte bis Dienstag nicht sehr viele Follower, die
meisten ihrer fast 10.000 Tweets seit 2012 gerade einmal fünf Likes oder
auch gar keine – pflegt sie eine derbe Sprache. Morales war für sie mal
„Dieb“, mal „Verbrecher“, mal auch einfach nur Idiot.
Sollte sie in ihrer Rolle als Übergangspräsidentin ein Interesse daran
haben, auch Morales' Partei MAS zur Mitarbeit an der Wiederherstellung
demokratischer Verhältnisse zu bewegen, müsste sich ihr Auftreten deutlich
ändern.
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## LINKS
[1] /Bolivien-nach-Rueckzug-des-Ex-Praesidenten/!5640796
## AUTOREN
Bernd Pickert
## TAGS
Evo Morales
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Demokratie
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