# taz.de -- Bolivien nach Morales' Rücktritt: Senatorin wird Interimspräsiden… | |
> Nach der Flucht von Evo Morales ins Exil hat sich die Oppositionelle | |
> Jeanine Áñez zu seiner Nachfolgerin erklärt. Ihr bleiben 90 Tage für | |
> Neuwahlen. | |
Bild: Mit Boliviens Präsidialschärpe: Jeanine Áñez am Dienstag in La Paz | |
LA PAZ taz | Die Senatorin Jeanine Áñez hat am Dienstagabend die | |
Interimspräsidentschaft Boliviens übernommen. Mit einer Bibel in der Hand | |
zog die 52-Jährige in den Palacio Quemado ein. | |
Áñez kündigte an, sie werde so bald wie möglich Neuwahlen ausrufen. Laut | |
[1][Verfassung] ist sie dazu binnen 90 Tagen auch verpflichtet. Sie werde | |
„dem Land die Demokratie zurückgeben“, sagte sie bei einer Ansprache auf | |
dem Balkon des Palacios. Dabei trug sie die Präsidentenschärpe und die | |
Bibel in der Hand. | |
„Die Bolivianer verdienen es, in Freiheit zu leben, in Demokratie, und dass | |
ihnen nie wieder ihre Stimme geraubt wird“, sagte sie in Bezug auf den | |
Wahlbetrug, in dessen Folge Präsident Evo Morales seinen [2][Rücktritt] | |
erklärt hatte. „Diese Bibel ist sehr bedeutsam für uns, unsere Kraft ist | |
Gott, die Macht ist Gott.“ | |
Die Oppositionspolitikerin Áñez (Movimiento Demócrata Social) war bis dahin | |
zweite Vizepräsidentin des Senats. Laut Verfassung musste sie vorübergehend | |
die Amtsgeschäfte übernehmen, weil alle in der Reihenfolge vor ihr | |
stehenden – Präsident, Vizepräsident und die Vorsitzenden der beiden | |
Parlamentskammern – ihren Rücktritt erklärt hatten. | |
## Machtvakuum soll vermieden werden | |
Zuvor hätte der Senat sie am Dienstagnachmittag zur Senatspräsidentin | |
wählen müssen. Doch dafür fehlte das nötige Quorum: Die meisten Senatoren | |
der Morales-treuen MAS-Partei boykottierten die Sitzung. Sie haben im Senat | |
die Mehrheit. Daraufhin erklärte sich Áñez selbst zur Übergangspräsidentin: | |
„Durch die endgültige Abwesenheit des Präsidenten und Vizepräsidenten | |
übernehme ich als Vorsitzende der Senatorenkammer, wie es in der | |
verfassungsmäßigen Ordnung vorgesehen ist, sofort die Präsidentschaft“, | |
sagte die Anwältin aus der Region Beni. | |
Der bisherige Präsident Evo Morales nannte ihre Amtsübernahme auf Twitter | |
den „heimtückischsten und schändlichsten Staatsstreich der Geschichte“. Er | |
befindet sich mittlerweile in [3][Mexiko] und hat dort politisches Asyl | |
erhalten. | |
Verfassungsrechtlich gesehen sei Áñez' Handeln legal, sagt der auf | |
Verfassungsrecht spezialisierte Anwalt Rigoberto Paredes. Es sei nicht | |
nötig, dass das Parlament Morales' Rücktrittserklärung offiziell annehme. | |
Das sieht der Verfassungsartikel 161 eigentlich vor, um einen Rücktritt | |
tatsächlich in Kraft zu setzen. Aber weil die Vertreter von Morales' | |
Bewegung zum Sozialismus (MAS) der Sitzung fernblieben, war das Parlament | |
nicht beschlussfähig. | |
Der Artikel 170 der Verfassung allerdings nennt vier Gründe, die das | |
Präsidenten-Mandat beenden. Auf Morales treffe die „endgültige Abwesenheit�… | |
zu: Er hat schriftlich seinen Rücktritt erklärt, das Land verlassen und | |
Asyl erhalten. Eine – laut Anwalt Paredes in Bolivien bis dahin recht | |
unbekannte – Erklärung des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 2001 legt die | |
präsidiale Nachfolge fest. In der Erklärung steht unter anderem, dass in | |
diesem Fall keine Zustimmung des Kongresses nötig ist. Um ein Machtvakuum | |
zu vermeiden, gilt das Prinzip der Unverzüglichkeit. | |
## Angst vor gewalttätigen Zusammenstößen | |
Die Verfassungserklärung stammt noch aus der Zeit vor der aktuellen | |
Verfassung, was Verfassungsrechtler noch beschäftigen könnte. Allerdings | |
hatte der oberste Gerichtshof noch am Dienstag die Unverzüglichkeit | |
bestätigt – darauf stützt sich Añez. | |
Um später Neuwahlen auszurufen, brauche Áñez keine Mehrheit im Parlament, | |
sagt Anwalt Paredes. Das Verfassungsgericht bestätigte Jeanine Áñez am | |
Dienstagabend als Übergangspräsidentin. | |
Einer der Wortführer der Opposition, der Anführer des Bürgerkomitees der | |
Stadt Santa Cruz, Luis Fernando Camacho, hatte am Morgen seine | |
Anhänger*innen aufgefordert, sich in der Nähe des Parlaments einzufinden, | |
um ihre Unterstützung während der Abstimmung zu zeigen. Camacho hatte kurz | |
nach der Wahl von Santa Cruz aus einen unbefristeten zivilen Streik | |
ausgerufen und den Rücktritt des Präsidenten gefordert. Den Streik will er | |
am Mittwoch bei einer Kundgebung in La Paz für beendet erklären. | |
Auch Morales-Anhänger*innen kamen aus der Nachbarstadt El Alto herab. Die | |
Angst vor gewalttätigen Zusammenstößen wuchs. Die Polizei sperrte den | |
Bereich um das Regierungsviertel in La Paz. Am Nachmittag kreisten | |
Militärflieger über der Stadt. | |
## Gerüchte um Plünderungen | |
Am Dienstagnachmittag öffneten wieder einige Geschäfte und Lokale im | |
Zentrum, die sich am Montag aus Angst vor Plünderungen verbarrikadiert | |
hatten. Die Nachbarschaften hielten ihre Blockaden in den Straßen und ihre | |
Wachen an Wohnanlagen aufrecht. Es kursierten immer wieder Gerüchte über | |
Whatsapp, dass Anhänger*innen von Evo Morales zum Plündern kommen würden. | |
Es waren viele Falschmeldungen darunter. | |
Nach der Proklamation von Jeanine Áñez waren in der Stadt Explosionen zu | |
hören, vermutlich zur Feier gezündete Böller. Im Zentrum verbarrikadierten | |
sich daraufhin wieder einige Läden zur Sicherheit. Nach Angaben der | |
Generalstaatsanwaltschaft sind in den Unruhen nach den Wahlen am 20. | |
Oktober bislang sieben Menschen gestorben. | |
13 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://bolivia.justia.com/nacionales/nueva-constitucion-politica-del-estad… | |
[2] /Evo-Morales-tritt-zurueck/!5639965 | |
[3] /Bolivien-nach-Rueckzug-des-Ex-Praesidenten/!5640796 | |
## AUTOREN | |
Katharina Wojczenko | |
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