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# taz.de -- Evo Morales tritt zurück: Freude trifft Gewalt in Bolivien
> Präsident Morales hat nach wochenlangen Protesten überraschend seinen
> Rücktritt verkündet. Doch auf Freude folgt eine Welle von Gewalt.
Bild: Er trete zurück, damit wieder Frieden im Land einkehre: Evo Morales
LA PAZ taz | Als die Nachricht vom obersten Wahltribunal an der Plaza
Avaroa eintrifft, geht ein Aufschrei durch die Menge. „¡Viva la
democracia!, es lebe die Demokratie!“ und „¡Sí, se pudo! Ja, wir haben es
geschafft“, skandieren die Menschen. Sie jubeln, fallen sich in die Arme.
Inmitten der rot-gelb-grünen Menge küssen sich Juan Carlos Zamora (31) und
Vanesa Gallardo (31) eng umschlungen. „Wir sind so glücklich wegen der
Demokratie“, sagt er. „Meine Frau und ich werden eine Familie gründen und
unsere Kinder in einem freien Land aufziehen können!“ Vanesa ist schwanger.
Evo Morales' Rücktrittsankündigung kam so überraschend wie vieles am
Sonntag. Gegen sechs Uhr morgens informierte die Organisation
Amerikanischer Staaten, dass sie bei der [1][Überprüfung der Ergebnisse der
Präsidentschaftswahl vom 20. Oktober „klare Manipulationen“ festgestellt]
hatte, und empfahl Neuwahlen. Morales kündigte zunächst Neuwahlen an,
schloss einen Rücktritt aber aus.
Daraufhin verkündeten die Oppositionsführer, Morales' zweitplatzierter
Wahlgegner Carlos Mesa und der Bürgeranführer Luis Fernando Camacho aus der
größten Stadt Santa Cruz, die Proteste würden bis zu seinem Rücktritt
weitergehen. Die obersten Chefs von Polizei und Streitkräften forderten
ebenfalls Morales' Rücktritt. Das mag der entscheidende Punkt gewesen sein.
Per Ansprache aus Chimoré, der Bastion der Kokabauern in der Region
Cochabamaba, kündigte Morales seinen Rücktritt an.
[2][Er trete zurück, damit wieder Frieden im Land einkehre], sagte er. Doch
er blieb nicht bei versöhnlichen Tönen, sondern warf der Opposition erneut
vor, einen Putsch gegen ihn angezettelt zu haben. Er wolle nicht, dass es
neue gewaltsame Zusammenstöße gebe und weitere seiner Anhänger angegriffen
und gequält würden. Brasiliens Ex-Präsident Lula da Silva sowie Venezuelas
Präsident Nicolás Maduro sprachen Morales ihr [3][Beileid wegen des
„Staatsstreichs“ aus].
## Eine Welle von Rücktritten
Tatsächlich war die Gewalt bis zum Samstag nahezu ausschließlich von seinen
eigenen Anhänger*innen ausgegangen, die mit Stangen, Stöcken, Steinen und
Sprengkörpern auf die Demonstrierenden losgegangen waren. Auch
Vizepräsident Álvaro García Linera und Senatspräsidentin Adriana
Salvatierra legten ihre Ämter nieder. Es folgte eine Welle an Rücktritten
von Minister*innen und weiteren führenden Politiker*innen der
Regierungspartei.
Derweil feierten die Menschen in den Straßen von La Paz den „Sieg der
Demokratie“ mit Autokorsi, einem Meer von Fahnen und Gesängen. Väter trugen
ihre Kinder auf den Schultern, Familien gingen Hand in Hand, Jugendliche
und Senior*innen lachten über das ganze Gesicht.
„Ich bin tief bewegt und unendlich dankbar“, sagte Oppositionsführer Carlos
Mesa umringt von der Menge bei einer kurzen Ansprache am Parque
Universitario. „Dieses Volk hat Amerika und der Welt gezeigt, wie man eine
Diktatur besiegt: mit Frieden, Engagement und demokratischer Überzeugung.
Mit Jungen, Frauen, dem ganzen Volk, in 21 Tagen.“
In die Freude mischen sich auch nachdenkliche Töne. Es sei ein wichtiger,
aber auch ein trauriger Tag, sagt der Musiker und Lebensmittelverkäufer
Juan Carlos Gonzalez Vargas (48). „Ich bin nicht dafür, dass Evo Morales
bleibt. Aber ich hätte mir gewünscht, dass er auf andere Weise geht.“
## Morales hat viel für Bolivien getan
Dass er seine Niederlage eingestehe, keinen Wahlbetrug begehe und
vielleicht später noch mal kandidiere. „Er hat sehr viel für unser Land
getan hat. Man muss anerkennen, dass Bolivien beim Wachstum eines der
besten Länder Lateinamerikas ist. Ich werde ihn auch vermissen, weil er die
Menschen vom Land einbezogen hat.“
Da sei der Schmerz über die Toten bei den Protesten, sagte Virginia (62),
die mit ihrem Mann durch die Straßen zog. Sie selbst habe nur an zwei
Bürgerversammlungen teilgenommen. „Ich danke den jungen Leuten, die das
hier bewirkt haben. Sie haben immer gerufen, dass sie nicht müde werden.
Und so war es“, sagt sie. „Wir wissen, dass uns für die Demokratie harte
Zeiten erwarten. Eine Gruppe von Leuten muss sich an die Spitze stellen,
damit das hier weitergeht.“
Tatsächlich ist längst nicht Ruhe eingekehrt in Bolivien. Präsident Evo
Morales muss den Rücktritt noch schriftlich erklären, damit er offiziell
wird. Manche befürchten, dass er doch noch zurückkehrt. Es ist unklar, wo
er sich aufhält. Am Sonntagabend twitterte er, dass die Behörden ihn
festsetzen wollten. Zudem hätten gewalttätige Banden sein Haus gestürmt.
Doch Polizeichef Yuri Calderon bestritt, dass ein Haftbefehl gegen Morales
ergangen sei.
Festgenommen wurden jedoch fast 40 Beamte des Wahltribunals, das für
Unregelmäßigkeiten bei der umstrittenen Wahl vom 20. Oktober verantwortlich
sein soll, darunter auch die Vorsitzende Maria Eugenia Choque. Sie hatte
ihren Rücktritt erklärt. Nach Angaben des mexikanischen Außenministers
Marcelo Ebrard haben 20 Mitglieder der bolivianischen Regierung und der
Justiz in der Botschaft in La Paz Asyl beantragt. Sein Land werde auch
Morales Asyl anbieten, wenn er es suche, sagte Ebrard.
## Anhänger von Morales wüten
Mit Einbruch der Dunkelheit begannen Anhänger*innen der MAS-Partei von
Morales mit Plünderungen, Angriffen auf Zivilist*innen und Angriffen auf
Privateigentum in mehreren Städten, [4][berichtet die Zeitung Página Siete
auf ihrem Onlineauftritt]. Am meisten wüteten sie in La Paz und der
Nachbarstadt El Alto, einer Hochburg der Morales-Anhänger. Es traf Firmen,
Seilbahnstationen, das Rathaus und Privathäuser von Oppositionspolitikern.
In La Paz zündeten sie städtische Stadtbusse an und das Haus des Rektors
der Universität UMSA, Waldo Albarracín. Auch zwei TV-Sender mussten wegen
Drohungen von „masistas“ schließen. Binnen weniger Stunden ist die Angst
zurückgekehrt.
11 Nov 2019
## LINKS
[1] https://www.oas.org/es/centro_noticias/comunicado_prensa.asp?sCodigo=C-100%…
[2] /Nach-Praesidentschaftswahl-in-Bolivien/!5637858
[3] https://larepublica.pe/mundo/2019/11/10/evo-morales-renuncia-en-bolivia-ult…
[4] https://www.paginasiete.bo/nacional/2019/11/10/el-mas-siembra-caos-terror-e…
## AUTOREN
Katharina Wojczenko
## TAGS
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