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# taz.de -- Machtkampf in Bolivien: Evo Morales gibt nach
> Boliviens Präsident ruft Neuwahlen aus. Zuvor berichtet die OAS von
> Unregelmäßigkeiten bei der Wahl im Oktober. Die Polizei schließt sich
> Protesten an.
Bild: Polizisten erklären ihren Protest: Cochabamba am Freiag
La Paz taz | Was vor Kurzem noch undenkbar schien, ist am Sonntagmorgen
passiert: Boliviens linksgerichteter Präsident Evo Morales hat Neuwahlen
angekündigt. Zuvor hatte die Organisation Amerikanischer Staaten bei ihrer
Überprüfung der Wahl „klare Manipulationen“ [1][festgestellt]. Sie empfahl
Neuwahlen.
„Ich habe beschlossen, neue nationale Wahlen auszurufen, damit das
bolivianische Volk seine neue Regierung auf demokratischen Weise wählen
kann, unter Einbeziehung neuer politischer Akteure“, sagte Präsident Evo
Morales in einer kurzen Ansprache. Es ist zunächst unklar, was das für
seine Kandidatur bedeutet.
Einen sofortigen Rücktritt, wie es die Opposition auf der Straße gefordert
hatte, schloss Morales allerdings aus. In ersten Reaktionen auf die
Ankündigung der Neuwahlen forderte Oppositionskandidat Carlos Mesa, der bei
den Wahlen am 20. Oktober auf dem zweiten Platz gelandet war, die Proteste
sollten weitergehen, solange nicht klar sei, dass weder Evo Morales noch
sein Vize Alvaro García Linera erneut kandidieren würden. Im Übrigen solle
Morales sofort zurücktreten.
Bei der Wahl am 20. Oktober sah es zunächst so aus, als ob der Wahlsieger
erst in einer Stichwahl zwischen Evo Morales und Herausforderer Carlos Mesa
entschieden würde. Dann wurde die Bekanntgabe von Ergebnissen für einen Tag
unterbrochen – und anschließend bekannt gemacht, Morales habe mit einem
Vorsprung von knapp über zehn Prozentpunkten und [2][mehr als 40 Prozent
der Stimmen die direkte Wiederwahl geschafft]. Seitdem ist Bolivien nicht
mehr zur Ruhe gekommen. Drei Menschen sind gestorben, über 300 wurden
verletzt.
## Nachts demonstrieren die mit, die tagsüber arbeiten
Seit Freitag überschlugen sich dann die Ereignisse. [3][Polizeieinheiten]
in Cochabamba verkündeten den Aufstand, Polizist*innen in mindestens fünf
weiteren Departamentos schlossen sich an.
Auch im Regierungssitz La Paz wurden die Proteste immer lauter. Wer durch
die Straßen geht, sieht an vielen Stellen Graffiti, die Morales einen
Diktator, Lügner, Drogenhändler nennen. In Nachbarschaften haben Menschen
Straßen abgesperrt, auf denen sie protestieren.
Die Kleinbusse des öffentlichen Nahverkehrs, deren Gewerkschaften die
Regierung unterstützen, bewegen sich zwischen den Sperrungen oder müssen
Umwege fahren. In Lokalen und Geschäften in Gegenden, wo gerade niemand
demonstriert, laufen rund um die Uhr Liveübertragungen und Nachrichten.
Nachts demonstrieren die mit, die tagsüber arbeiten. Es sind vor allem
junge Leute, Studierende, Berufstätige um die 30. An den Kreuzungen finden
sie sich zusammen, zünden kleine Feuer an, um sich zu wärmen, rufen Parolen
– und gehen dorthin, wohin sie von anderen Gruppen zur „Unterstützung“
gerufen werden, wenn Regierungstreue ihnen gefährlich werden. Verwandte
schreiben aus anderen Vierteln Hilferufe per WhatsApp.
## Fahrradhelm mit Plastiktüte gegen Schläge
Gabriela Cassa (56) hat zuhause normalerweise ein kleines Geschäft. Jetzt
ist sie seit Tagen Tag und Nacht auf der Straße unterwegs. „Ich mache das
für unsere Jugend, die nicht in einer Diktatur leben soll. Ich möchte, dass
es Frieden und Demokratie gibt.“ Es ist Freitagnacht, sie steht zusammen
mit ihrer Tochter und etwa 50 weiteren Demonstrierenden an einer der
Gassen, die zur Plaza Murillo führen, dem Regierungssitz. Ihre Tochter ist
Ingenieurin und geht tagsüber noch arbeiten. „Sie ernährt mich gerade,
sonst könnte ich das nicht machen. Mein Kochtopf ist schon ganz verbeult
vom vielen Draufschlagen.“
Auf der einen Seite der Metallabsperrung lehnen an den Hauswänden rechts
und links Polizisten in schwarzer Montur und Tränengaskartuschen an der
Weste, auf der anderen Seite steht die Gruppe von Demonstrierenden. Cassa
hat sich wie so viele hier eine Schutzkleidung gebastelt: Sie trägt ihren
Fahrradhelm mit einer Plastiktüte auf dem Kopf gegen Schläge. Anhänger der
Regierung haben sie vor ein paar Tagen am Bein verletzt.
Andere haben Bauhelme auf dem Kopf, Gasmasken, Taucherbrillen,
Stoffmundschutz oder mit Essig getränkte Tücher dabei, um sich gegen
Tränengas zu schützen. Manche haben sich aus Metalltonnen oder Holzplatten
Schutzschilder gebastelt, die sie Rot, Gelb und Grün bemalt haben, den
Farben Boliviens.
Zu diesem Zeitpunkt spricht Präsident Evo Morales von einem Putsch und
davon, dass die Demonstrierenden mit Gewalt einen Umsturz bewirken wollen.
Tatsächlich geht die Gewalt überwiegend von seinen Anhänger*innen aus,
berichten bolivianische Medien und Demonstrierende. Die
MAS-Befürworter*innen kommen mit Stangen und Stöcken, werfen Steine,
Granaten und [4][Dynamit], sagen die Demonstrierenden. Das Dynamit werfen
die berüchtigten „mineros“, Bergarbeiter, die sich vor Kurzem
Gegenprotesten anschlossen.
## „Bruder Polizist, das Volk ist mit dir“
Die Polizei hat der Gewalt bis vor Kurzem wenig entgegengesetzt, sie aber
offenbar aber auch nicht ausgeübt. Am Samstag zeigen Fernsehbilder
Demonstrierende in unmittelbarer Regierungsnähe. Die Polizei ist nicht mehr
da. Demonstrierende besetzen regierungsnahe Fernsehsender.
Der Chef der Streitkräfte, General Willams Kaliman, sagt in einer
zweiminütigen Stellungnahme: „Wir Streitkräfte (…) werden uns niemals geg…
das Volk stellen.“ Die aktuellen Probleme seien in der Politik entstanden,
also müssten sie auch politisch gelöst werden. Fernsehbilder zeigen die
ersten Polizisten, teils vermummt, die bei den Protesten in La Paz
mitmarschieren.
Vor dem Regionalkommando der Polizei im Stadtteil San Pedro haben sich ein
paar Hundert Menschen versammelt, ein rot-gelb-grünes Meer. Für jeden
Polizisten, der durch die Masse ins Gebäude geht, skandieren sie: „Bruder
Polizist, das Volk ist mit dir.“
Helfer reichen Coca-Cola-Flaschen, Dosentomaten und Zigaretten durch das
Gittertor. Polizisten nehmen sie dankbar entgegen. „Keine Fotos von
Gesichtern“, sagt eine Frau von der Vereinigung der Polizisten-Ehefrauen,
die mit einer Gruppe von Polizeipensionisten zu den Wortführern gehört.
„Wir wissen nicht, wie das hier enden wird.“
Das ist tatsächlich auch am Sonntag weiter unklar.
10 Nov 2019
## LINKS
[1] https://www.oas.org/es/centro_noticias/comunicado_prensa.asp?sCodigo=C-100%…
[2] /Praesidentschaftswahl-in-Bolivien/!5635712
[3] /Machtkampf-in-Bolivien/!5639866
[4] /Nach-Praesidentschaftswahl-in-Bolivien/!5633779
## AUTOREN
Katharina Wojczenko
## TAGS
Bolivien
Carlos Mesa
Evo Morales
Wahlen
Wahlbetrug
Organisation Amerikanischer Staaten (OAS)
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Evo Morales
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Protest
Bolivien
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