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# taz.de -- Künstliche Intelligenz und Musik: Der Geist ist aus der Flasche
> Künstliche Intelligenz beschränkt sich nicht auf Waffensysteme und
> selbstfahrende Autos. Nun beschäftigt sich die Politik auch mit KI in der
> Musik.
Bild: KI oder K.I.Z? Dem Jungen gefällts!
Wer im Internet nach dem Musiker Charles Bolt sucht, wird bei Spotify
fündig. Bei diesem Streamingdienst hat Bolts rührselige Piano Muzak
Hunderttausende HörerInnen. Allerdings ist Bolt genauso wenig lebendig wie
sein Kollege Heinz Goldblatt. Hinter diesen beiden Phantomen stecken keine
Künstler, ihre Songs wurden von einer Künstlichen Intelligenz (KI)
komponiert.
Juckt das die HörerInnen überhaupt? Und wer hat Bolt und Goldblatt
programmiert? Klar ist nur, dass sich das Modell rentiert, zumal
[1][Spotify] keinerlei Tantiemen an Urheberrechtsgesellschaften wie die
Gema abführen muss. Nur rückt Spotify weder Erlöszahlen raus noch sonstige
Informationen.
Die fehlende Transparenz monierte der Frankfurter Autor Holger Volland bei
einem Hearing am Mittwoch in Berlin. Er und andere Technikexperten waren
von der Grünen-Bundestagsfraktion zum Thema „(Un)kreative KI – Künstliche
Intelligenz in Musik und Kunst“ geladen. Ob selbstfahrende Autos, autonome
Waffensysteme oder Patientendaten, auf vielen Feldern wird KI-Technologie
erprobt oder kommt bereits zum Einsatz.
Seit Längerem herrscht Goldgräberstimmung in der Computerbranche. Mit der
[2][raschen Folge technischer Innovationen kann der Gesetzgeber] kaum
Schritt halten. Dabei wirft Big Data nicht nur regulatorische, sondern auch
jede Menge ethische Fragen auf: Wie weit sind Risiken überhaupt
abschätzbar? Wird die Gesellschaft durch den Einfluss von KI
entmenschlicht? Haben Maschinen ein Gewissen?
Fragen zu Wissenschaft, Ökonomie und Rechtsprechung versucht im Bundestag
seit 2018 eine Enquetekommission zu klären. Kultur wird dabei eher
vernachlässigt, wie Anna Christmann, Sprecherin für Innovations- und
Technologiepolitik der grünen Bundestagsfraktion und Obfrau in der
Enquete-Kommission KI, am Mittwoch einleitend erklärte. Zusammen mit ihrem
Kollegen [3][Erhard Grundl], dem kulturpolitischen Sprecher der
Bundestagsfraktion, wolle sie das ändern. Vor seiner Zeit als Abgeordneter
arbeitete Grundl als Vertreter der (unabhängigen) Musikindustrie. Er sei
von der Nachricht alarmiert, dass der Branchenmulti Warner kürzlich eine KI
für Ambientmusik entwickelt habe, sagte Grundl.
Wenigstens bringt KI auf dem Gebiet der Kultur keine Menschenleben beim
Einsatz in Gefahr. Und doch klingt die Automatisierung von Kreativität zu
verlockend, als dass man von ihr lassen könnte. Während Holger Volland das
undurchsichtige Geschäftsmodell bei algorithmisch kreierter Gebrauchsmusik
kritisierte, romantisierten das Berliner Künstlerduo Florian Dohmann und
Roman Lipski „die unendlichen Möglichkeiten von KI“: Lipski setzt beim
Malen eine von Dohmann entworfene KI namens digital muse ein, die seine
Gemälde um Linien, Farben und Schraffuren enhanced (erweitert). KI habe ihm
bei der Abstraktion geholfen, erklärte Lipski, klang aber eher treuherzig
als bilderstürmerisch. Er wolle mit KI seine Angst vor der weißen Leinwand
überwinden, gestand er ein und bat die Anwesenden, sich dem Thema KI als
Tool im kreativen Prozess stärker zu öffnen.
Verteufeln bringt ja nichts, der KI-Geist ist längst aus der Flasche.
Demgegenüber trat der Softwareentwickler Matthias Strobel (Bundesverband
Musiktechnologie) für eine Kennzeichnungspflicht ein und sprach davon, dass
wer Technik nutzbringend einsetzen will, die Materialien an einem
KI-Prozess auflisten solle. Er mahnte an, dass die Politik Innovationen am
Musikstandort Deutschland stärker würdigen müsse, sonst passiert es wie mit
dem digitalen Musikformat MP3, das zwar am Fraunhofer-Institut erfunden
wurde, aber von ausländischen Akteuren auf dem Markt durchgesetzt wurde.
All das war der [4][Schriftstellerin und Grafikerin Kathrin Passig] zu
einseitig. Sie kritisierte den Männerüberhang des Panels („ausgerechnet bei
den Grünen“) und sprach davon, dass dafür gesorgt werden müsse, Frauen als
Programmiererinnen stärker zu fördern. Pauschal ordnete sie Creative
Commons, also urheberfreie Kunstwerke, als Werkzeuge ein, die die Welt zu
einem besseren Ort machen würden. Zustimmung beim Thema Frauen bekam sie
übrigens von der Gema, deren Mitarbeiterin Annette Jäger bekannt gab, dass
gerade mal 14 Prozent ihrer Mitglieder weiblich seien.
Zu kurz kamen am Mittwoch ästhetische Prämissen, die mit dem Einsatz von KI
in der Musik verbunden sind: Die angekündigte Referentin [5][Holly Herndon]
fehlte. Das letzte mit einer KI entstandene Album „Proto“ der US-Musikerin
ächzt unter dem konzeptionellen Ansatz. Der Gesprächsbedarf ist groß, ein
Anfang wurde am Mittwoch gemacht.
14 Nov 2019
## LINKS
[1] /Studie-zu-Spotify-Geschaeftspraktiken/!5613333
[2] /Observatorium-fuer-kuenstliche-Intelligenz/!5642047
[3] /Bundestagsabgeordneter-zu-gruener-Politik/!5487917
[4] /Vorlesung-zu-Feuilleton-Internet-und-Bots/!5607582
[5] /Elektronik--Album-von-Holly-Herndon/!5594773
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Grüne
Musik
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
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Schwerpunkt Urheberrecht
zeitgenössische Kunst
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