| # taz.de -- Musik und Digitalisierung: Wer kassiert für die Musik? | |
| > Beim Berliner Diskurs-Festival „Right the Right“ im Haus der Kulturen der | |
| > Welt ging es in Panels, Vorträgen und Konzerten um das Thema | |
| > Urheberrecht. | |
| Bild: Mitch&Mitch reisen per Anhalter durch diverse Pop-Galaxien | |
| Wie wäre es, das Pferd von hinten aufzuzäumen? Umgekehrt heißt „Every | |
| Breath you take“ dann „Ekat uoy htaerb yreve“ und klingt gleich viel | |
| kryptischer. Dazu später mehr. Jedenfalls stellte das viertägige Festival | |
| „Right the Right“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt die Frage der | |
| Reversion, alles sollte umgekrempelt werden, wenn es dabei hilft, die | |
| Debatte um Copyrights voranzubringen. | |
| In Vorträgen, Panels und Konzerten wurden Gegner:Innen und | |
| Befürworter:Innen von Urheberrecht und Gemeinwohl zusammengebracht. | |
| Copyright ist im Zeitalter der Digitalisierung ein hot topic. Einerseits, | |
| weil nur noch wenige Musikschaffende von ihren Tantiemen, also der | |
| Rechteverwertung ihrer Werke, leben können. Andererseits, weil | |
| Internationales Recht durch mehrdeutige Auslegungen und willkürliche | |
| Absprachen an seine Grenzen stößt. Und drittens, weil es im | |
| Datenkapitalismus vor allem um Content geht und die Abschöpfung von | |
| Nutzer:Innen-Daten und die Frage nach der musikalischen Qualität | |
| nachranging ist. Im erbitterten Machtkampf zwischen Musikindustrie und | |
| Internetkonzernen haben Künstler:Innen nichts zu melden. | |
| In ihrem Vortrag „Reimagining Copyrights“ zeigte die australische | |
| Copyright-Expertin Kim Weatherall am Samstag alternative Verwertungsmodelle | |
| auf. Die Juraprofessorin der Universität Sydney plädierte für ein Splitting | |
| des bestehenden Urheberrechts zwischen Investoren und Kunstschaffenden, um | |
| finanzielle Interessen von Kreativarbeit zu entkoppeln und die Belange der | |
| Künstler zu stärken. Für einen gewissen Zeitraum sollen Investoren für ihre | |
| Förderung an Künstlertantiemen beteiligt sein. Da Kreativität besser | |
| geschultert werden müsse, schlug Weatherall eine radikale Fristenänderung | |
| vor: Urheberrecht an Werken solle bereits nach zehn Jahren verwirken und | |
| jeweils neu verhandelbar sein, um dann in einer zweiten Phase | |
| vollumfänglich den Künstlern zugeschlagen zu werden. | |
| Das ungleiche Kräfteverhältnis im „Plattform-Zeitalter“ müsse dringend | |
| reformiert werden, sagte Weatherall. Das öffentliche Interesse an Kultur | |
| wiege mehr als die Technologisierung kultureller Praktiken, die die großen | |
| Internetkonzerne unter Geheimhaltung vorantreiben. Hier müsse regulatorisch | |
| eingegriffen werden. Angesichts der fehlenden Transparenz von | |
| Internetdiensten wie Spotify, definierte die Australierin deren | |
| „Blackbox-Geschäftsgebaren“ als Überfluss-Kapitalismus (overabundance | |
| capitalism). Man müsse sich gegen das Fluten aller Medienkanäle mit guter | |
| Musik wehren. | |
| Wie gut Verständigung zwischen Copyright-Gegner:Innen und Befürworter:Innen | |
| klingen kann, bewies wenig später die polnisch-brasilianische Kollaboration | |
| von Mitch&Mitch (kontra) mit Kassin (pro) in der Aula des HKW. Die | |
| Instrumentalcombo aus Warschau spielte erstmals mit dem | |
| Multiinstrumentalisten aus Rio De Janeiro. Hinter den sieben Musikern | |
| tickten auf einer Leinwand drei Zähler, neben den Namen Mitch&Mitch und | |
| Kassin war auch der von Superstar Sting eingeblendet. Darunter blinkte | |
| jeweils die gerade eingespielte Summe der Tantiemen in Dollar auf. Während | |
| Stings Summe rasant anwuchs, mehrten sich die der live Spielenden eher | |
| mühsam. | |
| ## Traumwandlerisches Basszupfen | |
| Der Musik konnte das nichts anhaben: Während Mitch&Mitch per Anhalter durch | |
| diverse Pop-Galaxien rasten, aber dabei gar nicht östlich progressiv-rockig | |
| klangen, sondern eher westlich-verspielt, wie Doppelgänger des | |
| französischen Filmkomponisten François de Roubaix, stand der verschmitzt | |
| grinsende Carioca Kassin als Fels in der Bühnenmitte, mit seiner dicken | |
| Hornbrille an den schlauen Det von den Mainzelmännchen erinnernd. Etwas | |
| hektisch klang die Instrumentalversion von Kassins „O Anestista“ vom | |
| letztjährigen Album „Relax“. Mitch&Mitch gingen sehr uptempo zu Werke und | |
| Kassin versuchte, mit traumwandlerischem Basszupfen und spärlichen | |
| Gitarrenlicks dagegenzuhalten. | |
| Erst zum Finale wurde runtergebremst und„Every Breath you take“ komplett | |
| rückwärts gespielt. Stings Zahlrädchen stand plötzlich wieder auf Null, | |
| Mitch&Mitch und Kassin hatten jeweils 60 Dollar verdient, das Publikum | |
| jubelte frenetisch. | |
| 24 Nov 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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