# taz.de -- Multikonzern im öffentlichen Raum: Amazon macht dicht | |
> Eine Forscherin wird am Firmenstandort Winsen des Geländes verwiesen. | |
> Doch wo das Privatgrundstück aufhört und öffentlicher Boden beginnt, ist | |
> unklar. | |
Bild: Viele der Saisonarbeiter*innen sind Migrant*innen | |
WINSEN taz | Für globale Multikonzerne wie Amazon, Siemens oder Google | |
können banale Dinge wie Bushaltestellen zum Problem werden. In ihren | |
Logistikzentren arbeiten oft Tausende Menschen im Schichtbetrieb – endet | |
eine Schicht, müssen die Mitarbeiter*innen irgendwie nach Hause kommen oder | |
mindestens zum nächsten Bahnhof. | |
Den teils schon überlasteten kommunalen Verkehrsbetrieben will man ungern | |
Tausende zusätzliche Fahrgäste zumuten – sofern sie die entlegenen | |
Gewerbegebiete überhaupt anfahren. In San Francisco chartern die | |
Hightech-Unternehmen eigene luxuriöse Busse, um ihre Mitarbeiter*innen ins | |
Silicon Valley zu bringen. | |
In Winsen an der Luhe geht es [1][nicht ganz so glamourös zu]. Dafür muss | |
sich der Versandriese Amazon nun wegen einer Bushaltestelle mit einer | |
Wissenschaftlerin streiten. Sabrina Apicella, Sozialwissenschaftlerin an | |
der Leuphana-Universität Lüneburg, wollte Anfang November mit zwei | |
Kolleginnen Fragebögen an der Bushaltestelle vor dem Logistikzentrum | |
verteilen. Das passte Amazon offenbar nicht. | |
„Eine Mitarbeiterin kam auf uns zu und untersagte uns, weiter Fragebögen zu | |
verteilen“, schildert Apicella. Sie habe sie und ihre Kolleginnen des | |
Geländes verwiesen – und ihnen untersagt, die Buslinie zu nutzen. | |
## Wem gehört die Bushaltestelle? | |
Aber mit welchem Recht kann Amazon jemandem verbieten, den öffentlichen | |
Nahverkehr zu benutzen? Schließlich ist eine Bushaltestelle öffentlicher | |
Grund. Sollte sie zumindest. Im Fall von Amazon ist das nicht ganz | |
eindeutig. | |
Die Linie 4705 verkehrt ausschließlich zwischen den Stationen Bahnhof | |
Ashausen, Bahnhof Winsen und Winsen Amazon. Damit gilt sie als Werkverkehr | |
und darf nicht von Stadt und Landkreis bezuschusst werden. Denn das wäre | |
eine versteckte Subvention, ein Verstoß gegen die Wettbewerbsfreiheit | |
innerhalb der EU. Die Linie wird deshalb zwar von der Kraftverkehr GmbH | |
(KVG), dem kommunalen Busunternehmen, betrieben, bezahlt wird sie aber von | |
Amazon. Und von den Mitarbeiter*innen, durch ihre Tickets für den Hamburger | |
Verkehrsverbung (HVV), dem die KVG angehört. Allerdings startet die Linie | |
ja am Bahnhof, also auf öffentlichem Grund. Also doch ein Entgegenkommen | |
der Stadt an Amazon. | |
Auch mit der Haltestelle direkt am Logistikzentrum ist es kompliziert: Sie | |
liegt auf dem umzäunten, privaten Betriebsgelände, ist aber eine | |
öffentliche Haltestelle, eingerichtet von der KVG. Wer hat dort das | |
Hausrecht? Das können Stadt und Landkreis nicht zweifelsfrei sagen. | |
„Die Haltestellen an den Bahnhöfen sind öffentlich, aber die am | |
Logistikzentrum befindet sich auf dem Firmengelände und ist damit | |
logischerweise keine öffentliche Haltestelle“, sagt der Sprecher der | |
Grünen-Stadtratsfraktion, Bernd Meyer. „Da die Haltestelle auf dem | |
Betriebsgelände ist, hat Amazon das Hausrecht“, sagt KVG-Sprecher Oliver | |
Blau. „Die Haltestelle gehört der KVG“, sagt hingegen die Sprecherin des | |
Landkreises, Katja Bendig. „Die Haltestelle ist auf dem Firmengelände und | |
wir erlauben den Fahrgästen selbstverständlich das zweckgebundene Ein- und | |
Aussteigen oder Warten“, sagt der Amazon-Sprecher Michael Schneider. | |
Für Apicella ist die Lage alles andere als unklar: „Es ist für mich keine | |
Frage, ob eine vom HVV ausgewiesene Buslinie und die dazugehörige | |
Bushaltestelle öffentlich sind – ich wäre nicht darauf gekommen, für eine | |
Umfrage an einer Bushaltestelle um Erlaubnis zu bitten“, sagt sie. Ihr | |
Verdacht: „Amazon möchte nicht, dass ohne sein Einverständnis geforscht | |
wird.“ | |
Nachdem sie des Geländes verwiesen worden war, habe sie Kontakt mit dem | |
Management von Amazon aufgenommen. Das Management habe den Fragebogen sehen | |
wollen. Sie habe ihn vorgelegt, danach habe Funkstille geherrscht – bis zu | |
einer Anfrage der taz an den Versandhändler. Kurz darauf bekam die | |
Wissenschaftlerin die Antwort: Man könne „ausnahmsweise einer begrenzten | |
Nutzung der Bushaltestelle auf unserem Firmengelände für Ihre | |
Forschungstätigkeiten zustimmen“. Sie könne sich zwei bis drei Zeitslots | |
von bis zu zwei Stunden aussuchen. | |
Die Frage, was öffentlich ist und was privat und was dort jeweils erlaubt | |
ist, ist im Zusammenhang mit dem Unternehmen schon mehrfach aufgetaucht. Im | |
Streit etwa, ob Arbeitnehmer*innen auf einem Firmenparkplatz in Pforzheim | |
streiken dürfen, musste ein Gericht zwischen dem Hausrecht des Arbeitgebers | |
und dem Streikrecht der Arbeitnehmer*innen abwägen. Das | |
Bundesarbeitsgericht entschied im November 2018 zugunsten der Streikenden. | |
Zudem ist Amazon [2][nicht gerade für gute Arbeitsbedingungen bekannt]. | |
Jeder Arbeitsschritt werde überwacht, kritisieren Mitarbeiter*innen immer | |
wieder. Viele Arbeitsverhältnisse seien befristet. Der Konzern lehnt | |
Tarifverträge ab. | |
Unter anderem das macht Amazon auch als Forschungsobjekt interessant. „Es | |
kommen zahlreiche Themen von öffentlichem Interesse zusammen“, sagt | |
Apicella: „Migration und Saisonarbeit, der Einsatz von Technologie und | |
Software“ seien nur ein paar Beispiele. | |
Mit ihren Fragebögen versucht die Wissenschaftlerin herauszufinden, wie es | |
den vielen Saisonarbeiter*innen ergeht, die Amazon in der Vorweihnachtszeit | |
beschäftigt. Viele von ihnen sind Migrant*innen. Amazon habe gezielt in | |
Geflüchteten-Unterkünften um Arbeitskräfte geworben. Für den Konzern könnte | |
das praktisch sein: Als eine der verwundbarsten Gruppen auf dem | |
Arbeitsmarkt dürften sie sich nicht so schnell beschweren wie andere. | |
18 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Kolumne-Fremd-und-befremdlich/!5606997 | |
[2] https://www.verdi.de/themen/geld-tarif/amazon/++co++217910b4-68ca-11e4-a52a… | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
## TAGS | |
Amazon | |
Arbeitsrecht | |
Öffentlicher Raum | |
Kapitalismus | |
Amazon | |
Arbeitsbedingungen | |
Verdi | |
Urbanität | |
künstliche Intelligenz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Subunternehmen One Motion Logistic: Schlimmer als Amazon | |
Der Logistikriese selbst beschäftigt keine Fahrer*innen, um Pakete | |
auszuliefern, sondern ein Subunternehmen. Dort seien die Bedingungen | |
miserabel. | |
Arbeitsbedingungen bei Amazon: Fatale Überwachung | |
Der Druck auf die Mitarbeiter*innen im Amazon-Zentrum Winsen ist hoch. Da | |
kann es schon mal zu Unfällen kommen wie im Fall von Marc S. | |
Leistungskontrollen bei Onlinehändler: Zalando überwacht Beschäftigte | |
Mit einer Software sollen Angestellte des Internetunternehmens sich | |
gegenseitig bewerten. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert das scharf. | |
Sammelband „Technopolis“: Geplünderte Urbanität | |
Wie verändern sich Kapitalismus und Städte? Das kann man gut im Silicon | |
Valley rund um IT-Giganten wie Apple, Facebook und Google beobachten. | |
Künstliche Intelligenz und Musik: Der Geist ist aus der Flasche | |
Künstliche Intelligenz beschränkt sich nicht auf Waffensysteme und | |
selbstfahrende Autos. Nun beschäftigt sich die Politik auch mit KI in der | |
Musik. | |
Trotz Protesten bei US-Tech-Konzernen: Weiter mit den Ölschleudern | |
Trotz Protesten von Mitarbeitern und Umweltschützern: Google, Amazon & Co | |
wollen weiter mit der Ölindustrie zusammenarbeiten. |