# taz.de -- Subunternehmen One Motion Logistic: Schlimmer als Amazon | |
> Der Logistikriese selbst beschäftigt keine Fahrer*innen, um Pakete | |
> auszuliefern, sondern ein Subunternehmen. Dort seien die Bedingungen | |
> miserabel. | |
Bild: Auto abstellen, Paket zustellen, schnell weiter – die Tagestouren sind … | |
HAMBURG taz | In der Konzernspitze ist Bewegung. Anfang Februar gab der | |
zweitreichste Mensch der Welt, Amazon-Gründer Jeff Bezos, seinen | |
[1][Rückzug als Vorstandsvorsitzender] bekannt. Während Wirtschaftsblätter | |
vom Ende einer Ära berichteten, ist klar, woran sich nichts ändern wird: an | |
den schlechten Arbeitsbedingungen für Tausende Paketpacker*innen, | |
Sortierer*innen und Auslieferer*innen im Dienste des Konzerns. | |
Über [2][Lohndumping oder Überwachung am Arbeitsplatz] bei dem Megakonzern | |
wird regelmäßig berichtet, aber selbst bei Amazon ist noch Luft nach unten: | |
Etwa für ein Subunternehmen, das zwischen Amazon und den Fahrer*innen | |
steht, die die Pakete an die Haustür bringen. Der Logistikriese selbst | |
beschäftigt keine Fahrer*innen, sondern greift bei der Auslieferung | |
entweder auf DHL, Hermes und Co. zurück oder auf zahlreiche | |
Transport-Subunternehmen. | |
Eines davon ist „One Motion Logistic“, eine europaweit agierende Firma aus | |
Großbritannien. 69 angestellte Fahrer*innen holen die Pakete morgens | |
beim Hamburger Amazon-Verteilzentrum Veddel ab und bringen sie an die | |
Haustüren. Laut den Schilderungen mehrerer Beschäftigter sind die | |
Bedingungen dort noch schlechter als im Arbeitsverhältnis mit Amazon | |
selbst. | |
Francisco Montes (Name geändert) arbeitet seit sieben Monaten für One | |
Motion und kann eigentlich nicht mehr. „Ich arbeite schon wie verrückt, | |
aber dauernd wird der Druck noch weiter erhöht“, sagt er. Anfangs musste er | |
auf einer Tour, für die One Motion acht Arbeitsstunden veranschlagt, rund | |
130 Pakete zustellen. Jetzt sind es meist 230 oder 250. „Das ist | |
[3][unmöglich in acht Stunden]“, sagt Montes. „Bei den Wetterverhältnissen | |
ist es außerdem gefährlich. Unter dem Zeitdruck kannst du nicht vorsichtig | |
sein.“ | |
## Abzüge statt Bonuszahlungen | |
Überstunden bezahle One Motion nicht, sagt Montes. Wer absehen könne, dass | |
er die Paketlieferung nicht in der vorgesehenen Zeit abschließen kann, | |
könne in einer Chatgruppe nach Hilfe fragen – aber die bleibe fast immer | |
aus, sagt Montes. | |
Der gelernte Ingenieur will zurück nach Panama, wo er geboren ist und sein | |
Studium absolviert hat, bevor er nach Spanien kam und dort die Anzeige von | |
One Motion sah: „Unser wachsendes Team sucht Fahrer für Paketlieferungen, | |
Vollzeit, Teilzeit, Flexibler Urlaub und Freizeit, Gehalt 9,35€/ Stunde | |
plus Leistungsprämien“ – so wirbt das Unternehmen auch auf Facebook. „Von | |
den Prämien habe ich in den sieben Monaten nie etwas gesehen“, sagt Montes. | |
„Im Gegenteil – ständig ziehen sie dir etwas vom Lohn ab.“ | |
Benzin etwa oder Autoreparaturen. Wer einen Unfall hat und einen Schaden am | |
Lieferfahrzeug verursacht, egal wie klein die Schramme oder Delle ist, dem | |
zieht One Motion pauschal 700 Euro ab. Emilio Reyes (Name geändert) bekam | |
deshalb im Januar nur 580 Euro für seine Vollzeitstelle ausgezahlt – das | |
Unternehmen hatte ihm 700 Euro für eine Schramme und 120 Euro für | |
übertriebenen Benzinverbrauch abgezogen. | |
Das Telefonat mit der taz nimmt Reyes per Kopfhörer an, während er Pakete | |
im Akkord ausliefert. „Ja, hallo, danke, bitte“, sagt er zwischendurch zu | |
wildfremden Menschen, ohne das Gespräch zu unterbrechen. Etwa alle fünf | |
Minuten ist er an einer anderen Haustür. „Wovon soll ich diesen Monat mein | |
Essen bezahlen?“, fragt Reyes. Von den Bonuszahlungen, die One Motion den | |
Arbeiter*innen in Aussicht stellt, habe auch er nie einen Cent gesehen. | |
Aus einer von One Motion gestellten Unterkunft sei der Spanier nach zwei | |
Wochen ausgezogen. Unzumutbar sei es dort gewesen – vier Personen in einem | |
Raum, alle Raucher. Als er in ein Zimmer mit sieben Personen umziehen | |
sollte, sei er ausgezogen. Im Januar war das – wie man in der Pandemie | |
überhaupt auf Massenunterbringung setzen könne, sei ihm schleierhaft. | |
Nach der miserablen Lohnzahlung habe er sich bei einem | |
One-Motion-Vorgesetzten beschwert – für die Reparatur der Schramme schulde | |
ihm der Konzern mindestens 450 Euro, da sie niemals 700 Euro gekostet haben | |
könne, und die 120 Euro Benzin habe er sicher nicht verfahren. 1.000 | |
Kilometer monatlich dürfen die Fahrer*innen verfahren, auf ihren Routen | |
zwischen den Lieferadressen, Arbeitsplatz und Heimweg oder auch auf einem | |
Abstecher zum Supermarkt. „1.000 Kilometer verfährst du nicht in der Stadt, | |
das ist unmöglich“, sagt Reyes. Sein Vorgesetzter habe ihm geantwortet, man | |
werde den Benzinstand und seine Arbeitszeiten überprüfen. Reyes bezweifelt, | |
dass er das Geld jemals zu sehen bekommt. | |
Gegenüber der taz sagt Grahame Letts, Betriebsleiter bei One Motion, | |
selbstverständlich bekäme jeder Fahrer die Reparaturkosten für Schäden am | |
Auto zurück, wenn sie über dem veranschlagten Betrag lägen: „Das | |
Wohlbefinden unserer Angestellten ist uns extrem wichtig.“ Die Vorwürfe | |
weist Letts von sich: „Sie treffen nicht zu und spiegeln nicht den Respekt | |
und die guten Arbeits- und Unterbringungsbedingungen, unter denen unsere | |
Fahrer für uns unterwegs sind.“ | |
Die von der Firma organisierte Unterbringung sei lediglich als Angebot zu | |
verstehen und sähe höchstens drei Schlafmöglichkeiten pro Raum vor. Aktuell | |
werde dieses Angebot in Hamburg von niemandem beansprucht. | |
„Acht von zehn Worten, die aus dem Mund eines One Motion-Verantwortlichen | |
kommen, sind gelogen“, schreibt ein ehemaliger Mitarbeiter in einer | |
Whatsapp-Gruppe, in der sich Angestellte austauschen. Auf Englisch und | |
Bulgarisch listet er zehn Vorwürfe an das Unternehmen auf, darunter falsche | |
Gehaltsversprechen, unbezahlte Überstunden und ungerechtfertigte | |
Lohnabzüge. Die meisten Fahrer*innen kommen aus Bulgarien, Rumänien oder | |
spanischsprachigen Ländern. Deutsche Kolleg*innen haben Reyes und | |
Montes, soweit sie wissen, nicht. | |
Und was sagt Amazon zu den Vorwürfen gegenüber seinem Subunternehmen? „Wir | |
gucken uns die Betriebe, mit denen wir zusammen arbeiten, genau an“, | |
antwortet der Unternehmenssprecher Michael Schneider. „Wir denken nicht, | |
dass diese Vorwürfe zutreffend sind oder die Wirklichkeit für Tausende | |
Menschen widerspiegeln, die bei kleinen und mittelständischen | |
Lieferunternehmen beschäftigt sind.“ Aber man werde die Vorwürfe prüfen und | |
gegebenenfalls einschreiten. | |
Auf seiner Homepage wirbt Amazon dafür, selbst ein Unternehmen zu gründen, | |
das für den Logistikgiganten ausliefert. Mit lediglich 15.000 Euro | |
Startkapital erwarte Interessierte die Aussicht auf 60.000 bis 140.000 Euro | |
Gewinn pro Jahr. Zwar erfordere es „eine starke Führung und jede Menge | |
Fleiß“, denn die tägliche Versorgung einer Vielzahl von Kunden sei nicht | |
immer einfach. Aber: „Das Lächeln, das Sie dafür erhalten, ist es wert.“ | |
18 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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