# taz.de -- Bayerische KI-Strategie: Pack ma's | |
> Bayern richtet 100 neue Lehrstühle für künstliche Intelligenz ein – und | |
> sorgt damit für Euphorie an bayerischen Hochschulen. | |
Bild: Ein Maschinenbauer entwickelt an der TU München einen Roboter zum Unkrau… | |
BERLIN taz | Markus Söder will ein intelligenteres Bayern. Rund 360 | |
Millionen Euro sollen den Freistaat zum deutschen Zentrum für künstliche | |
Intelligenz (KI) machen. Der Ministerpräsident will 100 KI-Lehrstühle | |
einrichten, 50 Stellen sind bereits verteilt, nach München, Würzburg, | |
Ingolstadt und Erlangen. Um die andere Hälfte können sich die 17 bayrischen | |
Hochschulen und 11 Universitäten bis Ende Februar bewerben. Söder spricht | |
von einer „bayrischen KI-Fabrik“. | |
Und nicht zu Unrecht: Bundesweit gibt es nur 143 Lehrstühle, an denen zu | |
künstlicher Intelligenz geforscht wird. Im Rahmen eines [1][eigenes | |
KI-Förderprogramms] will auch der Bund 100 neue Lehrstühle schaffen. | |
„Bayern macht so viel wie der Bund insgesamt“, heißt es deshalb in der | |
Regierungserklärung. Und: „Wir kleckern nicht, wir klotzen.“ Auch Länder | |
wie Niedersachsen und Baden-Württemberg investieren in eigene KI-Forschung, | |
Berlin will mit einem neuen Kompetenzzentrum [2][KI-Hauptstadt] werden. | |
Aber was ist überhaupt künstliche Intelligenz? | |
Vorab: Die „eine“ künstliche Intelligenz existiert nicht. Der Begriff | |
bezeichnet vielmehr ein großes Teilgebiet der Informatik, dessen Ziel es | |
ist, menschliche Intelligenz nachzuahmen. Man spricht also immer dann von | |
KI, wenn sich Computer wie Menschen verhalten sollen. KI unterstützt uns | |
bereits jetzt an vielen Stellen unseres Alltags – und meist merken wir es | |
nicht einmal. Autos können Verkehrsschilder erfassen und Geschwindigkeiten | |
dementsprechend anpassen. Und sie werden besser, je mehr Schilder sie | |
sichten. | |
Grund dafür ist das maschinelle Lernen, ein Verfahren, bei dem ein Computer | |
mit einer großen Menge Daten gefüttert wird. Zeigt man ihm beispielsweise | |
tagein, tagaus beschriftete Tierfotos, wird er lernen, auch auf | |
unbeschrifteten Bildern Katzen zu erkennen. Und zwar ohne dass | |
EntwicklerInnen ihm die Merkmale „vier Pfoten“, „scharfe Krallen“, | |
„Schnurrhaare“ und „spitze Ohren“ vorgeben. Wichtig ist aber: Auch wenn… | |
Computer zum gleichen Ergebnis wie der Mensch kommt („Dieses Foto zeigt | |
eine Katze“), selbst denken oder gar fühlen kann er nicht. Er versteht | |
nicht, was er tut. Der Computer hat kein Bewusstsein. | |
## Frankenstein und Golem | |
Auch in anderen Fachbereichen verspricht KI Großes: Computer, die Krebs | |
noch vor Auftreten der ersten Symptome erkennen oder Aktienkurse | |
vorhersagen, wenn man ihnen nur genug Informationen gibt. Doch so weit ist | |
die Forschung nicht. „KI hatte schon immer die Faszination von Frankenstein | |
und Golem, dass wir künstliche Wesen erschaffen“, sagt Ute Schmid. „Da | |
hängt eine Art Mythos dran. In der echten Forschung stößt man schnell auf | |
Ernüchterung. Wir bauen keine Terminator.“ | |
Schmid ist eine der Professorinnen, die sich mit ihrer Universität Bamberg | |
um Söders Lehrstühle bewirbt. „Wir sind zuversichtlich“, erklärt sie. �… | |
Stellen werden auf Hochschulen und Universitäten gleichermaßen verteilt. | |
Niemand wird leer ausgehen.“ In Bamberg ist sie ist die einzige | |
Professorin, die zu maschinellem Lernen lehrt. „Ich würde mich freuen, eine | |
Kollegin oder einen Kollegen zu bekommen.“ In den letzten Jahren habe die | |
Zahl der Studierenden stark zugenommen. „Statt 40 Studierende unterrichte | |
ich jetzt 200. Die müssen Übungsaufgaben machen, die haben Fragen, ich muss | |
Klausuren korrigieren.“ | |
Söders KI-Plan sieht dennoch [3][13.244 neue Studienplätze] für Informatik | |
und künstliche Intelligenz vor. Grund für die zunehmende Beliebtheit seien | |
vor allem die Erfolge, die die Forschung in den letzten Jahren erzielen | |
konnte, sagt Schmid. Nachdem ein Computer 1997 erstmals einen Menschen im | |
Schachspiel besiegt hatte, galt das Brettspiel Go als nächste Hürde der KI. | |
2016 meldeten EntwicklerInnen auch hier [4][den Sieg der Maschine]. „Wir | |
entwickeln Methoden, die über die standardmäßige Programmierung | |
hinausgehen“, fasst Schmid zusammen. Anwendung fänden diese in nahezu allen | |
Bereichen. „Manche Masterstudierende setzen maschinelles Lernen ein, um | |
Produktionsprozesse energiesparender zu gestalten.“ | |
## Bei KI ist Ethik wichtig | |
Es sei aber auch wichtig, bereits zu Beginn des Studiums über Ethik und | |
gesellschaftliche Verantwortung als EntwicklerInnen zu sprechen. „Stellen | |
Sie sich vor, Sie arbeiten für eine Versicherung. Und sollen heimlich | |
mithilfe von maschinellem Lernen ermitteln, welche Personen später | |
wahrscheinlich eine teure Krankheit kriegen und deshalb bereits jetzt | |
höhere Beiträge zahlen müssen.“ Der Einsatz von künstlicher Intelligenz | |
könne durchaus wohltätig sein und Menschen in vielen Bereichen helfen. | |
„KI kann aber auch zum Nachteil vieler und zum Vorteil weniger eingesetzt | |
werden. Es ist wichtig, dass wir Lehrstühle nicht nur technokratisch | |
besetzen, sondern auch solche Aspekte abdecken.“ In seiner | |
Regierungserklärung hatte auch Söder bekannt gegeben, dass an den | |
Lehrstühlen auch zur Ethik der künstlichen Intelligenz geforscht werden | |
solle. Schmid fürchtet, dass sich zu wenig qualifizierte Personen auf die | |
ausgeschriebenen Stellen bewerben könnten. „Ich kenne Leute, die vor drei | |
Jahren noch sagten: ‚Ach, du machst was mit KI, das funktioniert doch eh | |
nicht.‘ Die schreiben jetzt auf ihrer Website, sie seien KI-Experten.“ | |
Künstliche Intelligenz ist zum Trendthema geworden. Alle wollen mitreden. | |
Doch KI ist keine Erfindung der letzten Jahre: Schon im Sommer 1956 trafen | |
sich InformatikerInnen am amerikanischen Dartmouth College zu einem | |
sechswöchigen Workshop. Das „Dartmouth Summer Research Project on | |
Artificial Intelligence“, auch „Dartmouth Conference“ genannt, gilt heute | |
als Geburtsstunde der künstlichen Intelligenz. Hierzulande beschäftigt man | |
sich seit Mitte der 1970er Jahre mit KI. | |
Das [5][autonome Fahren] zum Beispiel, bei dem Autos nahezu ohne Einwirken | |
des Fahrenden über die Straßen gleiten, wurde stark von der Forschung in | |
Deutschland geprägt. Als große KI-Nationen gelten dennoch [6][die USA und | |
China]. Daniel Krupka, Geschäftsführer der Gesellschaft für Informatik, | |
findet das aber nicht schlimm. „Man muss das differenzierter sehen. | |
Natürlich kennen wir die Summen, die da investiert werden. Aber das kann | |
man nicht gleichsetzen.“ Aufgrund von Bevölkerungszahlen und Größe müsse | |
man eher ganz Europa mit den USA und China vergleichen. | |
## Auch der Bund investiert | |
„Im Bereich der Grundlagenforschung sind wir Deutschen sehr gut. Man sieht | |
ja, wie gefragt die Experten sind, die hierzulande ausgebildet werden.“ Im | |
internationalen Vergleich der Anzahl wissenschaftlicher Publikationen steht | |
Deutschland auf Platz 5, hinter China, USA, Japan und Großbritannien. | |
Dennoch: In Europa werden mehr wissenschaftliche Arbeiten zu KI | |
veröffentlicht als in China oder den USA. „Wo es hakt, ist die Anwendung, | |
daraus ein Geschäft zu machen.“ In den USA stehe Unternehmen allein durch | |
die Marktwirtschaft mehr Investitionskapital zur Verfügung, in [7][China | |
greife der Staat unterstützend] ein. | |
Auch die Bundesregierung will in künstliche Intelligenz investieren. Im | |
November 2018 präsentierte sie ihre KI-Strategie „AI made in Germany“ (AI | |
steht für den englischen Begriff „Artificial Intelligence“). Deutschland | |
und Europa sollen so zu einem führenden KI-Standort werden. Das Papier | |
sieht unter anderem die Entwicklung von Kompetenzzentren, wissenschaftliche | |
Nachwuchsförderung und Unterstützung bei Existenzgründungen vor. | |
Bis 2025 will der Bund [8][etwa 3 Milliarden Euro] für die Umsetzung zur | |
Verfügung stellen. „Dass es diese Strategie gibt und dem Thema Bedeutung | |
beigemessen wird, ist ein wichtiger Schritt“, lobt Krupka. „Aber man kann | |
auch vieles kritisieren. Wenn man den Haushalt genauer betrachtet, ist es | |
tatsächlich nur eine Milliarde neues Geld, der Rest wurde da gewissermaßen | |
reindefiniert. Das war alles schon vorher bewilligt.“ | |
Der Informatiker bemängelt auch das strategische Narrativ. „Es ist mehr ein | |
Konglomerat an Einzelmaßnahmen. Mir fehlt eine Vision, eine strategische | |
Klammer um das Ganze. Wer Strategie draufschreibt, sollte auch konkrete | |
Ziele formulieren.“ Es brauche Meilensteine, um die Ergebnisse prüfbar zu | |
machen. „Zu sagen: ‚Wir wollen die Besten auf diesem Gebiet sein‘ ist noch | |
lange keine Strategie.“ | |
## Stellen sollen 2023 besetzt sein | |
Bereits jetzt habe die Bundesregierung Probleme, die geplanten 100 | |
Professuren zu besetzen. „Der Kampf um die Köpfe ist schon entbrannt. Auch | |
Apple und Google suchen in Bayern Experten. Und die können im Zweifelsfall | |
mit ganz anderen Gehältern am Markt reüssieren, als es der Freistaat kann.“ | |
Doch zunächst müssen die 50 noch offenen KI-Professuren verteilt werden. | |
Das ist Aufgabe einer 18-köpfigen Expertenkommission. Bis April soll die | |
Auswahl feststehen, 2023 sollen alle Professuren eingerichtet sein. Nach | |
Angaben des bayrischen Wissenschaftsministeriums sind die Stellen als | |
Dauerstellen vorgesehen. | |
Sie müssen trotzdem mit jedem Haushalt neu verabschiedet werden. Eine neue | |
Regierung könnte also Stellen wieder streichen. Das sei jedoch | |
unwahrscheinlich, sagt ein Sprecher. „Von uns aus sind die Stellen | |
dauerhaft vorgesehen.“ | |
18 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Foerderung-neuer-Technologie/!5518286 | |
[2] /Kuenstliche-Intelligenz-fuer-Berlin/!5657321 | |
[3] https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2020/01/studienplaetze.pdf | |
[4] /Computer-besiegt-Mensch/!5273797 | |
[5] /E-Mobilitaet-und-Autonomes-Fahren/!5622463 | |
[6] /Kommentar-Ethische-Leitlinien-zu-KI/!5584738 | |
[7] /Kuenstliche-Intelligenz-in-China/!5551309 | |
[8] /Digitalstrategie-der-Bundesregierung/!5551163 | |
## AUTOREN | |
Sara Wess | |
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