Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Beziehung der Italiener zum Essen: Pasta lieben, Pasta leben
> Ob beim genussvollen Biss ins Cornetto oder beim Streit über Nudelsaucen:
> Essen ist in Italien nie bloße Nahrungsaufnahme. Es ist Leidenschaft!
Bild: Eine besondere Beziehung: Nudelverkäufer im Neapel der 1950er-Jahre
Wenn die Eltern meiner italienischen Freundin Anna aus Sardinien zu Besuch
nach Berlin kommen, dann kann es schon mal sein, dass sie im Handgepäck
einen frischen Meeresfang auf Eis transportieren wie andere Leute
Nackenkissen. Ein anderes Mal hatten sie alle Zutaten dabei, um Culurgiones
zuzubereiten, die dann für die nächsten Monate Annas Eisfach füllten.
Culurgiones, das sind sardische Kartoffelravioli. Denn welcher Italiener
vertraut schon auf deutsche Kartoffeln?
Das mit dem Essen und den Italienern ist eine sehr spezielle Beziehung. Ja,
klar, es gibt nicht „die Italiener“, no Border, no Nation usw. Aber können
wir zumindest, was das italienische Essen angeht, den Gedanken von
Nationalkultur und regionalen Traditionen aufrechterhalten? Caponata
schmeckt eben [1][in Sizilien am besten]. Das kann nicht nur mit der
Qualität der Zutaten zu tun haben. Es muss auch irgendwas in der Luft
liegen. Wer sich eine Flasche des Weißweins mitgebracht hat, der auf der
Piazza immer so gut schmeckte, und sich zu Hause dann wundert, wo der
Geschmack hin ist, der weiß das.
Die kollektive Anbetung des Essens wirkt. Zu Volksfesten in kleinen
sardischen Bergdörfern reisen die Menschen in unzähligen Reisebussen an –
nur um zu essen. Aus Fenstern werden Pastagerichte verkauft, und es
brutzeln Dutzende Spanferkel auf Feuerstellen, doppelt so groß wie die
Wohnungen, die man in Berlin nun für viel Geld an Studenten vermietet.
In Apulien verkaufen alte Männer am Straßenrand aus ihrem Fiat Panda heraus
wild gesammeltes Gemüse, das in Deutschland kaum einer kennt, die
Puntarelle etwa, eine Mischung aus Spargel und Chicoree, auch Vulkanspargel
genannt. Überall blühen Artischocken, zack, einpacken!, und wenn man nach
dem Weg zur nächsten Tankstelle fragt, wird man in einen Schuppen geführt
und denkt kurz an Auftragsmorde, soll aber nur das selbstgemachte Olivenöl
der Familie kosten. Und kaufen.
## Wenn sich die Pistaziencreme an den Gaumen legt
Man sollte einmal im Leben gesehen haben, wie eine Nonna genüsslich an
einem Eis leckt. Oder in einer sizilianischen Pasticceria Gebäck kaufen,
sich einladen lassen, etwas zu kosten, und die leuchtenden Augen der
Inhaberin sehen, wenn man genüsslich stöhnt, während sich die
Pistaziencreme an den Gaumen legt. So viel Liebe im Blick sucht man
selbst bei den eigenen Eltern meist vergeblich.
Der Stellenwert des italienischen Essens spiegelt sich auch in der Sprache
wider: Das Verb „sentire“ kann man mit fühlen übersetzen, aber auch mit
hören, riechen und schmecken. Wenn Italiener sich treffen, haben sie keine
Angst vor Emotionen, und sie sprechen lieber ausgiebig darüber, was sie in
den letzten Tagen alles gegessen haben, als über das Wetter zum Beispiel.
Es ist entzückend, mit welcher Genauigkeit und Leidenschaft sich erwachsene
Männer über die Beschaffenheit von Pizzateig und die Struktur von
Mozzarella austauschen können.
„Perché agli italiani piace parlare del cibo“ – warum Italiener gerne ü…
Essen reden – heißt auch ein Buch der Historikerin Elena Kostioukovitch, in
der sie der Landeskultur über die Betrachtung der regional sehr
unterschiedlichen Speisen näher kommt. Im Buch erfährt man zum Beispiel,
dass Mussolini Magenprobleme hatte und der Pasta übel nachredete, nur um
die Abhängigkeit von Weizenimporten zu verringern, und das allein beweist
ja eigentlich schon die Unglaubwürdigkeit von Faschisten. In der
Unterhaltung über Essen kann eben auch die Geschichte des Landes verhandelt
werden.
Und ein Gespräch über Wein und Käse hat schnell die Schlagkraft einer
politischen Debatte. Es gibt diese Szene im Film „Sabato Domenica e
Lunedi“, wo Sophia Loren in einer Fleischerei in einem Handgemenge endet,
weil sich die anwesenden Kundinnen darüber streiten, wie ein Ragù
zubereitet wird. Ob man das Fleisch mit Zwiebeln anbrät oder ohne, welches
Fleisch man nimmt, Rippchen oder nicht?
Italiener nutzen gerne Kraftausdrücke bei der Verteidigung von Essen. Es
geht auch viel um Leben und Tod, wenn darüber debattiert wird, ob man
Lasagne mit Ricotta oder Bechamel zubereitet. Auf dem Twitter-Account
[2][italians mad at food] werden Kommentare von Italienern gesammelt, die
sich über Essen aufregen. „Che cazzo!!??? There’s no tomato’s in bologne…
you porco Americano!!!!!“, liest man da. Und wie man Bacon für Carbonara
verwenden könne oder noch schlimmer Sahne!!?? Olivenöl in Cacio e Pepe?
Incredibile! Am allerschlimmsten: Ananas auf Pizza.
## Große Gefühle für Gemelli und Girandole
Ich habe mal meinen Sohn gefragt, welches Lebensmittel ihm am meisten
leidtut, und er sagte: Nudeln. Bei ihm liegt es daran, dass er sich zu 75
Prozent von Nudeln ernährt, doch kann zumindest jeder Italiener seine
Gefühle nachvollziehen. Denn die überkommen ihn ebenfalls. Wenn jemand
Spaghetti durchbricht. Oder sie in kaltes Wasser schmeißt. Oder wenn ohne
Erbarmen eine bestimmte Nudelform von der falschen Sauce bedeckt ist.
Diese Gefühle sind ja auch verständlich, nimmt das Essen im Leben der
Italiener doch einen beträchtlichen Teil des Tages ein. Es wird zwar nur im
Stehen gefrühstückt, ein süßes Cornetto an der Bar, ein Cappuccino, aber
allen anderen Mahlzeiten wird sehr viel Zeit eingeräumt. Es gibt mehrere
Gänge, die natürlich geteilt werden. Primi oder Secondi Piatti, nichts
müssen Kellner in Italien öfter erklären als die Reihenfolge der Gänge und
wie viele man bestellen muss, um satt zu werden. Aber was heißt schon satt.
Wer im Italienurlaub nicht zunimmt, macht etwas grundlegend falsch.
Und wer in italienischen Familien zum Abendbrot eingeladen ist, erfährt die
Versorgung eines 5-Sterne-Hotels. Mit Pasta, mit Fleisch, mit Salat, mit
Keksen und Kuchen. Es heißt, man solle zu solchen Einladungen eine Flasche
Wein mitbringen, man solle etwas zu spät kommen, aber man müsse das Essen
loben, es sei denn, man will den Koch beleidigen, und ja: nicht zu viel
Parmesan. Und nein: Die Spaghetti werden nicht mit dem Löffel gegessen.
Aber das wirklich Beeindruckende kommt zum Schluss. Nach dem Digestif wird
kein Wein mehr nachgeschenkt. Basta. Kein billiges Besaufen.
Wenn meine Freundin Anna zu Hause in Italien zu Besuch ist und ihrer Mutter
mit einem vorangeschmetterten „Mamma“ am Telefon erklärt, dass sie am Abend
leider nicht zum gemeinsamen Essen kommen wird, kann das ähnliche
Gefühlsverletzungen auslösen, wie im Restaurant den Rand der Pizza liegen
zu lassen. Und da liegt wohl auch einer der Gründe, wieso das Essen in
Italien einen so hohen Stellenwert hat: Gegessen wird in der Familie, und
aus der kommt man so schnell nicht raus.
24 Nov 2019
## LINKS
[1] /Volkskueche-in-Palermo/!5335455
[2] https://twitter.com/ItalianComments
## AUTOREN
Laura Ewert
## TAGS
Italien
Essen
italienisches Essen
Nudeln
italienische Küche
Reiseland Italien
Schwerpunkt Coronavirus
Gastronomie
Kasachstan
Toskana
Pflanzen essen
Reiseland Italien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte über „Pizza Hawaii“: Buon appetito?
Der berühmte Pizzabäcker Gino Sorbillo hat eines der kulinarischen
Grundgesetze Italiens gebrochen – und bietet nun Pizza mit Ananas an. Gut
so?
Mozzarella aus Kampanien: Schneeweißchen und Büffeltod
Der Büffelmozzarella aus der Nähe Neapels ist bekannt und überaus beliebt.
Doch bei näherer Betrachtung kann er einem im Halse stecken bleiben.
Glossar zu Covid-19: Das große Corona-ABC
Der durch ein Virus in Verruf geratene Name „Corona“ existiert schon lange
und hat viele Bedeutungen: ein Rehabilitations-Glossar.
Der Obstdöner von WonderWaffel: Soße, Topping, Schnickedöns
Die Waffel ist das heilendste Gericht der Welt. Bei WonderWaffel verkauft
man sie als „Obstdöner“ mit viel Chichi. Ein Besuch.
Kasachisches Essen: Ziemlich nah am Paradies
Unsere Autorin stammt aus Kasachstan, oft vermisst sie das Essen ihrer
Mutter. Eine Reise nach Karaganda wird zum kulinarischen
Erweckungserlebnis.
Zu Besuch bei der Fattoria La Vialla: Satt in Olivenöl eingelegte Sehnsucht
Der Lieblings-Lebensmittelhändler der Toskanafraktion wird dieses Jahr 40.
Sein Erfolgsrezept? Qualität – und ein perfektes Marketing.
Kolumne Pflanzen essen: Viva la dolce vita vegana!
Italiens Küche bietet immer mehr Optionen jenseits der labbrigen
Brokkolibeilage. Ein kleiner veganer Streifzug durch die Toskana und
Umbrien.
Volksküche in Palermo: Muscheln, Milz und Muezzin
Bei einer Streetfood Tour durch die Märkte von Palermo kann man unbekannte
Genüsse der sizilianischen Küche entdecken.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.