Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mitgliederbefragung in der SPD: Das Duell
> Links oder eher rechts? Olaf Scholz und Klara Geywitz oder Norbert
> Walter-Borjans und Saskia Esken? Die letzte Runde entscheidet.
Bild: Die Sieger: Olaf Scholz, Klara Geywitz, Norbert Walter-Borjans und Saskia…
Berlin/Bochum taz | Am Samstag um 18.15 Uhr verkündet Schatzmeister Dietmar
Nietan im Willy-Brandt-Haus das Ergebnis. Norbert Walter-Borjans (67),
leger gekleidet, steht neben der Bühne, im Pulk der KandidatInnen. Und ist
froh, sehr froh. Er und Saskia Esken sind Zweite – und damit in der
Stichwahl. „Es gab ja eine Fallhöhe“, sagt Walter-Borjans, der ehemalige
Finanzminister in Nordrhein-Westfalen, später.
Sein Landesverband unterstützte ihre Kandidatur, auch Kevin Kühnert und die
meisten Jusos waren auf seiner Seite. In Medien wurde das Team Esken und
Nowabo, so sein Spitzname, als linke Konkurrenz zu Olaf Scholz gehandelt.
Wenn er es nicht geschafft hätte, es wäre ein tiefer Fall gewesen. An
Unterstützung war, zum Verdruss der anderen linken Teams, ja wirklich kein
Mangel.
21,04 Prozent, sagt Schatzmeister Nietan, nur eineinhalb Prozentpunkte
weniger als für Scholz und Geywitz (22,68 Prozent). Esken und
Walter-Borjans hören die Zahlen erst in diesem Moment. Dann geht
Walter-Borjans auf die Bühne und winkt etwas linkisch ins Publikum.
Es ist voll im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale in Berlin. Rund
200 GenossInnen sind da. Seit fünf Uhr morgens haben sie Briefe ausgezählt.
Die Stimmung ist gelöst, das war in letzter Zeit nicht oft so. Meist galt
es ja, schlimme Wahlergebnisse rosarot zu malen. Vizekanzler Olaf Scholz
wird mit Klara Geywitz von einer Fernsehkamera zur nächsten gereicht. Klara
Geywitz ist erleichtert. „Es war nicht so, dass ich nach jeder der 23
Debatten dachte: Klare Sache, wir gewinnen.“ Die Wahl, sagt die
Potsdamerin, „war eine Blackbox.“
Scholz, offener Hemdkragen, kein Schlips, lächelt ausdauernd in alle
Kameras. Fast alle wollen von ihm wissen, wie es mit der Großen Koalition
weitergeht. Scholz lächelt und sagt, dass die SPD für mehr Gerechtigkeit
und Frieden in Europa ist. Seit gut acht Wochen vermeidet er verbissen jede
Antwort auf die Groko-Frage. Dass er dafür ist, in der Regierung zu
bleiben, wissen ohnehin alle. Ein Bekenntnis zur Großen Koalition würde ihm
nichts nutzen, aber vielleicht der Konkurrenz. Also weglächeln. Im
Wahlkampf hieß das mal asymmetrische Demobilisierung.
## Demokratie ist prima, aber teuer
Die zuletzt sechs Bewerberteams haben zur Mitgliederbefragung 23
Regionalkonferenzen mit 20.000 ZuschauerInnen hinter sich, 270.000 Menschen
haben die Livestreams verfolgt. Sechsmal, so die stolze Zahl, habe man in
größere Hallen umziehen müssen. Das gilt bei einer Partei, für die
Wahlniederlagen normal geworden sind und die Mitgliederzahl sinkt, als
großer Erfolg Das Ganze hat 1,2 Million Euro gekostet, für die Stichwahl im
November werden noch ein paar Hunderttausend fällig. Demokratie ist prima,
aber teuer.
Karl Lauerbach ist ohne Fliege, sein Erkennungsmerkmal, gekommen. Er hat
sich von dem etwas snobhaften Zeichen getrennt, es schien ihm auf dem Weg
zum Parteivorsitz hinderlich. „Wir haben viel gelernt“, sagt er. Und: „Wir
sind enttäuscht, aber nicht tief enttäuscht.“ Mit „wir“ meint er sich u…
Nina Scheer, Umweltexpertin, die neben ihm steht und nickt. Anfangs hat
Lauterbach bei den streng getakteten Roadshow-Befragungen zu lange geredet,
auf Kosten von Scheer. Jetzt sei das anders. „Mittlerweile komme ich kaum
noch zu Wort.“ Scheer lacht. Es ist ein bisschen wie nach einer
Klassenfahrt. Es war schön, aber es ist auch schön, dass es vorbei ist. Für
Lauterbach und Scheer ist es mit 14,63 Prozent vorbei, Platz 4.
Boris Pistorius, Innenminister in Niedersachsen, ist nur Fünfter geworden
und lobt vor jeder Kamera die innerparteiliche Demokratie. Gesine Schwan
sagt: „Es ist natürlich nicht gut, Letzter zu werden.“ Aber es tue ihr
nicht leid. Das Publikum der 23 Debatten sei so beschwingt gewesen.
Glückliche Gewinner, tapfere Verlierer. Schwan und Ralf Stegner haben nur
9,63 Prozent bekommen.
Nur gut die Hälfte der SPD-Basis, rund 210.000 GenossInnen, hat sich an der
Abstimmung beteiligt. Bei dem Votum über die Regierungsbeteiligung waren es
noch 76 Prozent. Im Willy-Brandt-Haus versuchte man, das Ergebnis schon
vorab als Erfolg zu verkaufen. Ja-nein-Fragen seien eben attraktiver, als
zwischen sechs Möglichkeiten zu wählen.
Esken und Walter-Borjans hatten als Letzte ihre Kandidatur verkündetet. Sie
galten als Außenseiter. Stegner oder Lauterbach kannte man, sie nicht. „Wir
sind aus der No-Name-Position gekommen“, sagt Saskia Esken. Viele
rätselten, ob die Unterstützung durch Jusos und NRW ihnen wirklich nützen
würde oder ob solche Ansagen verpuffen. Doch offenbar tickt die SPD doch
noch wie früher. Keiner der unterlegenen linken Kandidaten mochte am
Samstagabend ein Fass aufmachen und diesen Einfluss direkt kritisieren –
schon um nicht als schlechter Verlierer zu gelten.
## Mit Wahlempfehlungen halten sich die Verlierer zurück
Und jetzt? Immerhin 40 Prozent haben die unterlegenen eher linken Teams
Lauterbach/Scheer, Michael Roth/Christina Kampmann und Gesine Schwan/Ralf
Stegner gewählt. Eine Schlüsselfrage lautet: Was machen die in der
Stichwahl? Saskia Esken glaubt: „Das Ergebnis zeigt, dass die Fraktion des
‚Weiter so‘ nicht sonderlich stark ist.“ Und: „Wir haben ein sehr groß…
Potenzial.“ Esken hofft, dass sich die Unterlegenen zu Wahlempfehlungen für
sie und Walter-Borjans durchringen werden. „Dafür ist es noch zu früh, aber
es wäre schön.“
Also Wahlempfehlungen gegen Scholz? Gesine Schwan schüttelt am Samstagabend
den Kopf. Auch Lauterbach will davon nichts wissen. Das sei „Sache der
Basis“. Bei ihm und Scheer sei ja eh klar, wem sie politisch näherstehen.
Szenenwechsel, Dortmund, Nordrhein-Westfalen. Der SPD geht es in ihrem
früheren Stammland mies. In Umfragen liegt sie bei 20 Prozent – und eine
Machtperspektive ist auch langfristig nicht in Sicht. Die Grünen liebäugeln
mit der CDU. Selbst ihre früher unbezwingbare Hochburg, das Ruhrgebiet,
scheinen die Sozialdemokraten verloren zu haben. Bei der Europawahl siegten
die Grünen selbst in Dortmund, das einst als Herzkammer der
Sozialdemokratie galt.
Um wieder zurück auf das Spielfeld zu kommen, setzt die SPD in NRW auf
einen deutlich sozialeren Kurs – „Rot pur“ genannt. Die SPD zwischen Rhein
und Ruhr hat kürzlich beschlossen, dass Hartz IV – für Alleinstehende
aktuell 424 Euro monatlich – durch eine sanktionsfreie Grundsicherung von
mindestens 570 Euro ersetzt werden soll. Zu „Rot pur“ passt Scholz’
moderates Regieren in Berlin mit der Union so wie der BVB zu Schalke 04 –
überhaupt nicht.
Nadja Lüders ist Generalsekretärin der SPD in Nordrhein-Westfalen, trotz
Krise stammt noch immer ein Viertel der rund 426.000 SPD-Mitglieder aus
ihrem Bundesland. Lüders sympathisiert mit dem früheren
Landesfinanzminister Walter-Borjans, der seit dem Deal mit den Steuer-CDs
und der resoluten Verfolgung von Steuerhinterziehern den Ruf des Robin Hood
der Steuerzahler hat. „Die beiden stehen weitaus deutlicher für die neue
Parteilinie der NRW-SPD als Scholz und Geywitz“, sagt sie. Aber Lüders
warnt auch davor, das Team Scholz und Geywitz vorschnell abzuschreiben. Zu
glauben, dass jene 40 Prozent, die für die unterlegenen eher linke Teams
votierten, „jetzt alle Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken wählen, ist
eine Milchmädchenrechnung“.
Ins gleiche Horn bläst der SPD Fraktionschef im Landtag, Thomas Kutschaty.
Er hofft auf den Sieg der beiden als Bestätigung für den neuen NRW-Kurs:
Walter-Borjans und Esken stünden für „ein schnelles Aus für Hartz IV, keine
faulen Kompromisse bei der Grundrente, also keine Bedürftigkeitsprüfung,
mehr Investitionen in Infrastruktur“.
Kutschaty greift Scholz direkt an. „Die Schwarze Null ist keine Monstranz“,
sagte er. Viel wichtiger sei es, der nächsten Generation einen
„beherrschbaren Klimawandel, eine intakte Umwelt und solide Arbeitsplätze
zu hinterlassen“, findet er. Das ist eine frontale Attacke auf den
Finanzministers und Vizekanzler, der gusseisern die Schwarze Null
verteidigt. Und Kutschaty warnt vor einem Sieg von Scholz, der dann
Parteivorsitzender und Vizekanzler in Personalunion wäre: „Es kann nicht
Aufgabe unserer Parteiführung sein, die Beschlüsse der Großen Koalition zu
verkaufen.“
Die Große Koalition mit der Union sieht der Spitzengenosse skeptisch. Zwar
sei die Wahl zwischen Scholz/Geywitz und Walter-Borjans/Esken formal keine
Entscheidung über die Groko – aber natürlich werde sie „Einfluss auf den
Fortbestand der Regierung in Berlin haben“, sagt Kutschaty.
Verlassen kann sich Kutschaty dabei auf die Unterstützung der Jusos nicht
nur in NRW. Deren Landesvorsitzende Jessica Rosenthal will von Warnungen,
dass der Partei im Fall von Neuwahlen nach einem Ende der GroKo ein
erneuter Absturz drohe, nichts hören. „Mit der Angstmache vor einem
Wahlkampf muss Schluss sein“, sagt die 27-Jährige. Mit dem „sozial
gerechten“ Kurswechsel in NRW sei die SPD schon heute „eine andere Partei
als vor einem Jahr“ – und diesen Wechsel wolle der Landesverband auch auf
dem Bundesparteitag im Dezember in Berlin durchsetzen. „So aufgestellt,
müssen wir keine Angst vor Neuwahlen haben“, glaubt Rosenthal.
## Was geschieht, wenn …
Allerdings: Es gibt an Rhein und Ruhr auch andere Stimmen. Der frühere
Kanzlerkandidat Martin Schulz hält Neuwahlen für gefährlich. Und auch
SPD-Landesparteichef Sebastian Hartmann, der mit Kutschaty um die Macht in
der SPD-NRW rangelt, ist vorsichtig. Der Parteitag im Dezember müsse „eine
objektive Bestandsaufnahme“ dessen leisten, was die Groko „in den kommenden
zwei Jahren noch umsetzen kann“. Tabula rasa klingt anders. Eine Niederlage
bei Neuwahlen würde auch die SPD an der Ruhr hart treffen, so Hartmanns
Befürchtung.
Was passiert, wenn die SPD aus der Groko austritt? Schnelle Neuwahlen
würden die SPD eher unvorbereitet treffen. Wer ins Rennen gehen würde, wenn
Walter-Borjans und Esken im Willy-Brandt-Haus regieren, ist offen. Ein
weiteres Problem für die linke Alternative: Esken ist Expertin für
Digitales, Walter-Borjans für Finanzpolitik. Doch wenn sie die SPD führen,
müssen sie Generalisten sein. Der Nachweis, dass sie das können, steht noch
aus.
Saskia Esken träumt von einer Lage wie Anfang 2017, als die SPD mit Martin
Schulz in Umfragen bei 30 Prozent lag. Aber damals gab es ein Momentum.
Merkel-Müdigkeit breitete sich aus. Schulz galt als irgendwie neu und stand
doch für etwas: Europa. Jetzt würde die SPD eher als wankelmütig gelten und
wohl verantwortlich für eine eventuelle Neuwahl sein.
Klar ist: Die Stichwahl wird anders als das Debattenmarathon, bei dem es,
schon durch das Format bedingt, kaum zu direkten Konfrontationen und Streit
kam. Was nun folgt, ist ein Duell. Links gegen rechts, Rot pur oder Merkels
Juniorpartner. Esken sieht die Gefahr. „Wir sollten nicht persönlich
aufeinander losgehen und auch unsere Unterstützer darauf verpflichten“,
sagt sie. Es wird dennoch ein Kampf mit härteren Bandagen werden.
27 Oct 2019
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Andreas Wyputta
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Norbert Walter-Borjans
SPD
Olaf Scholz
Grundrente
Kanzlerkandidatur
Große Koalition
Klara Geywitz
SPD
SPD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kampf um den SPD-Vorsitz: Der Mann aus der Mitte
Norbert Walter-Borjans will die SPD nach links führen. Sanft, nicht abrupt.
Die scharfe Attacke ist ihm eher fremd. Ein Porträt.
SPD-KandidatIn zur Bundestagswahl: Wo bleibt die Angriffslust?
Norbert Walter-Borjans findet, dass die SPD keinen eigenen
Kanzlerkandidaten braucht. Was für eine unnötige Demutsgeste!
Halbzeitbilanz der Großen Koalition: „Es bleibt noch viel zu tun“
Die Große Koalition legt ihre Halbzeitbilanz vor. Sie schreibt auf, was sie
schon geschafft hat und was noch zu tun ist. Eine tatsächliche Bewertung
liefert sie nicht.
Abstimmung über SPD-Vorsitz: Die Legende von der linken Basis
Die Groko-Frage ist für die Stichwahl zum SPD-Vorsitz im November wichtig,
aber keineswegs alles. Die SPD-Basis hat mittiger abgestimmt als vermutet.
Zukunft der GroKo: Kleinkram-Koalition
Was mit der GroKo passiert, hängt aktuell nicht von inhaltlichen
Beschlüssen ab. Entscheidend ist eher die Stimmungslage der SPD-Basis.
Harmonischer Wahlkampf in München: Und alle sind für Willy
Nur noch noch sechs Kandidatenteams sind übrig und die Basis hat das Wort.
Die SPD hat in Eintracht ihren Wahlkampf um ihre Vorsitzenden beendet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.