# taz.de -- SPD-KandidatIn zur Bundestagswahl: Wo bleibt die Angriffslust? | |
> Norbert Walter-Borjans findet, dass die SPD keinen eigenen | |
> Kanzlerkandidaten braucht. Was für eine unnötige Demutsgeste! | |
Bild: Vor der Ahnengalerie im Kanzlerinnenamt | |
Es gibt bei der SPD immer mehr dieser Momente, in denen man sich fragt: | |
Meinen die das ernst? Oft haben diese Situationen mit kommunikativen | |
Desastern der Marke „gut gemeint“ zu tun, und ein solches hat gerade | |
Norbert Walter-Borjans hingelegt. Walter-Borjans, einer von vier | |
verbliebenen KandidatInnen im Wettkampf um den Parteivorsitz, erklärte im | |
Interview mit Spiegel Online, die SPD sei im Moment nicht in der Position, | |
einen Kanzlerkandidaten aufzustellen. „Ich würde erst mal dafür werben, | |
dass wir einen Spitzenkandidaten aufstellen.“ | |
Also keinen Kandidaten, aber doch einen Kandidaten. Aha. | |
Abgesehen davon, dass dies ein Lehrstück dafür sein dürfte, wie politischer | |
Sprachgebrauch zu Politikverdrossenheit führt: Ist es nicht eine elementare | |
psychologische Erkenntnis, dass jemand, der seiner Partei keine | |
Führungsrolle mehr zutraut, vermutlich weniger damit rechnen darf, selbst | |
zu ihrer Führung gewählt zu werden? Und wie genau sollte das eigentlich | |
aussehen, eine solche Nicht-Kanzler-Kandidatur? Wie soll diese Partei | |
Wähler*innen mobilisieren, wenn die gar nicht genau wissen, mit welchem | |
Anspruch sie sie wählen? | |
Borjans' Vorschlag kommt zu einem schwierigen Zeitpunkt: wenige Tage, bevor | |
über die Grundrente entschieden werden soll, an der sich die [1][Koalition | |
seit Wochen wundreibt]. Und wenige Wochen, nachdem die SPD einmal mehr für | |
Entsetzen gesorgt hatte, als sie dem sogenannten Klimapaket – man möchte | |
sagen: Antiklimapaket – der GroKo zustimmte und massiven Spott bekam, als | |
ihre VertreterInnen sich das auch noch schönzureden versuchten. Dass nun | |
erwartungsgemäß das [2][Lager der Regierungsfans] in der SPD | |
Walter-Borjans' Vorschlag verdammt, lässt die Partei nach außen nicht | |
gerade souverän wirken, sein offenkundiges Bemühen um Ehrlichkeit und | |
Realismus in allen Ehren. | |
Eine Spur zu massivhölzern auch der Zaunpfahl, den Walter-Borjans hier in | |
Richtung Olaf Scholz schwingt, der sehr gern nicht nur SPD-Vorsitzender | |
wäre, sondern auch Kanzler. Scholz, gegen den Walter-Borjans nun in der | |
Vorsitzenden-Stichwahl antritt, hatte sich schon vor einem knappen Jahr als | |
Kanzlerkandidat selbst empfohlen. Das war ebenfalls unpassend, insbesondere | |
deshalb, weil die damals amtierende Vorsitzende Andrea Nahles hieß und | |
nicht Olaf Scholz. Von solchen Aktionen, das war schon damals zu spüren, | |
hält die Basis nicht viel. Und vermutlich auch nicht davon, dass jetzt ein | |
Kandidat, der im Gegensatz zum amtierenden Vizekanzler noch sehr fern ist | |
vom Kanzleramt, diesen anderen Kandidaten ausbremst, indem er einfach das | |
Ziel umsteckt. | |
Walter-Borjans' Äußerung ist Ausdruck einer Partei, die alles oder nichts | |
will, die nicht versteht, dass ihre Zeit als Volkspartei, die bei Wahlen 40 | |
Prozent der Stimmen holt, vorbei ist – dass sie da aber auch nicht die | |
einzige ist. Und anstatt sich ihren Platz zu suchen in einem zunehmend | |
diversen Parteiensystem, kommen dann solche übertriebenen Demutsgesten – | |
die einerseits Selbstaufgabe suggerieren, aber dann doch wieder verdächtig | |
nach taktischem Manöver riechen. | |
Bisher war es freilich immer so, dass eine Spitzenkandidatur für die beiden | |
großen Parteien selbstverständlich KanzlerInnenwille bedeutete, während | |
Spitzenkandidatur bei den kleineren wörtlicher zu nehmen war. Aber in | |
Zeiten, in denen sich all das relativiert, in denen ein Robert Habeck von | |
den Grünen als möglicher nächster Regierungschef gehypt wird und ein | |
[3][Ministerpräsident von der Linkspartei a]ls Retter der Sozialdemokratie | |
gilt, ist eine Partei, die sich selbst zur Zwergin erklärt, ganz schnell | |
weg vom Fenster. Wenn alle anderen einen Schritt nach vorn machen, darf die | |
SPD nicht zwei zurück machen. | |
Dass ausgerechnet Walter-Borjans, den manche schon zum Bernie Sanders der | |
Sozialdemokratie ausgerufen haben, diese Angriffslust fehlt, ist schade. | |
Denn es braucht doch eigentlich jemanden wie ihn und seine Co-Kandidatin | |
Saskia Esken an der Spitze der SPD, um den fatalen „Weiter so“-Spirit zu | |
beenden, den niemand mehr verkörpert als Olaf Scholz. | |
7 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Johanna Roth | |
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