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# taz.de -- Literaturnobelpreis für Peter Handke: Der Wundersame
> Der Nobelpreis für Literatur 2019 geht an Peter Handke. Politisch mag er
> fragwürdig sein, literaturgeschichtlich wird sein Werk überdauern.
Bild: Schuf welthaltige Werke: der österreichische Schriftsteller Peter Handke
Wie die Entscheidung für Bob Dylan vor drei Jahren wirkt die diesjährige
für Peter Handke irgendwie überfällig. Fast eine Art Erleichterung ist
spürbar. Überall, wo ich mich bei Literaturkennern meiner Generation in den
letzten Jahren umgehört habe, war es eine Art Konsens, dass man unter den
gegenwärtigen deutschsprachigen Schriftstellern am plausibelsten Peter
Handke den Status eines Schriftstellers von weltliterarischem Rang
zuerkennen mochte – wozu seine politische Umstrittenheit in einem Gegensatz
stand, den man bedauerlich fand.
Die Bedeutung seines Werks wird – von allen literarischen
Qualitätskriterien abgesehen – schon durch dessen ungewöhnliche
Welthaltigkeit nahegelegt. Sein Schreiben ist in Alaska, Paris, New York
und auf ausgedehnten Weltreisen ebenso glaubwürdig zu Hause wie auf dem
Salzburger Mönchsberg, in den unaufgeräumten Wohnungen eines
alleinerziehenden Vaters oder in der Sommerhitze verlassener Provinzwinkel
des ehemaligen Jugoslawien.
Dass sein Werk literaturgeschichtlich überdauern wird, traut man Handke
auch deshalb zu, weil er sich nach der experimentellen Verspieltheit seiner
ersten Bücher und den popliteratischen Anfängen seit der Tetralogie
„Langsame Heimkehr“ entschlossen den „großen“ literarischen Themen und
Verfahren zugewandt hat – während sich der Neonaturalismus der gehobenen
Unterhaltungs- und Belehrungsliteratur, die den internationalen Buchmarkt
beherrschen, davon längst abwendet hat. „Noch einmal für Thukydides“ – …
Titel dieses Prosabands wäre ein ganz guter Arbeitstitel für diese
Bewegung.
## Weltliterarischer Rang
Der Literaturhistoriker Heinz Schlaffer hat 2002 in einem kleinen, damals
viel diskutierten Buch nachvollziehbar gemacht, dass die „Kurze Geschichte
der deutschen Literatur“ nur zweimal – zur Zeit Goethes und zur Zeit Kafkas
– deshalb weltliterarischen Rang beanspruchen konnte, weil sie am Abgrund
schon fragwürdig gewordener, aber noch wirkmächtiger religiöser
Weltdeutungen und Weltbilder entlangwanderte – an der Abbruchkante des
deutschen Pietismus im 18. und der jüdischen Orthodoxie im frühen 20.
Jahrhundert.
Mit dieser Denkfigur bekommt man, glaube ich, die popliteratischen Anfänge
Handkes und den literaturhistorischen Geltungsanspruch seines Werks zu
fassen. Neben seinen politisch fragwürdigen Einmischungen in den
Jugoslawien-Konflikt lautete der gängige Einwand gegen Handke stets, dass
Handke im Kern ein religiöser Schriftsteller sei (sehr typisch und auf
hohem gedanklichen Niveau formuliert im „Literarischen Quartett“ zu „Mein
Jahr in der Niemandsbucht“ am 15. Dezember 1994, das auf YouTube greifbar
ist). Man muss diesen Einwand nur in eine Beschreibung verwandeln, damit er
im Licht der Schlaffer’schen Einsicht die Sache tatsächlich trifft.
Bob Dylan hat in seiner „religiösen Phase“ der achtziger Jahre nur eine in
der Achtundsechziger-Bewegung längst bereitliegende Empfänglichkeit für
naturreligiöse und andere freischwebend spirituelle Sensibilitäten ins
Künstlerische gewendet. Peter Handke wäre dann – mit einer solchen These
wäre die heutige Entscheidung zu rechtfertigen – eine Art Goethe oder Kafka
jener seit den späten sechziger Jahren durch die Kulturgeschichte
reisenden, freischwebenden religiösen Empfänglichkeit. Sie versorgt sein
Schreiben mit seiner in jedem Satz spürbaren, personal beglaubigten
Dringlichkeit. Und sie löst deren religiösen Geltungsanspruch zugleich in
die Unverbindlichkeit der Kunst auf. Man spürt die Kraft dessen, was einmal
Naturreligion war, und darf sie zugleich dem Gelingen einer künstlerischen
Anstrengung zurechnen.
Denn es gibt, seit W. G. Sebald tot ist, kaum einen zeitgenössischen
Schriftsteller mehr, der so gewissen- und ernsthaft darauf besteht, dass
jeder Satz und sogar jedes Wort „einfach und neuartig zugleich“ beschreibt,
worum es ihm geht (wie Handke selbst in einem frühen Interview seinen
Ehrgeiz beschrieben hat). In der (wenn auch manchmal um den Preis der
Wunderlichkeit) staunenswert oft gelingenden, überraschenden Einfachheit
liegt der Qualitätsunterschied zu seinen Zeitgenossen, die den männlichen
der zwei Nobelpreisträger_innen von 2019 wohl tatsächlich zu dem einzigen
Schriftsteller seiner Generation macht, dem weltliterischer Rang
nachzusagen wäre.
10 Oct 2019
## AUTOREN
Stephan Wackwitz
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Weltliteratur
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Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
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