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# taz.de -- Charmantes Theater in Dresden: Einen missbrauchten Platz weihen
> Peter Handkes Stück „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“ wird …
> Dresden aufgeführt. Es ist eine Bürgerbühnenantwort auf Pegida.
Bild: „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“. Clown statt Pegida au…
Die schnell bräunenden Sachsen hatten es einst sehr eilig mit der
Umbenennung ihres schönsten Dresdner Platzes. Nur einen reichlichen Monat
nach der „Machtergreifung“ hieß der grandiose Theaterplatz vor der
Semperoper im März 1933 schon „Adolf-Hitler-Platz“. Im Januar 1998 hielt
hier die NPD ihre erste große Kundgebung in Sachsen ab, begleitet vom
Protestgeläut der Glocken der gegenüberliegenden Hofkirche. Und Ende 2014
nahm Pegida den Theaterplatz in Beschlag.
Aber hier standen im November 1989 auch schon einmal Zehntausende zur
Dresdner Künstlerdemo, hier brannte an einem der Dresdner
Zerstörungsgedenktage im Februar ein riesiges Kreuz aus Tausenden Kerzen.
Und hier steht das Denkmal für den wohl schöngeistigsten sächsischen König
Johann, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts unter dem Pseudonym
„Philalethes“ als Dante-Übersetzer bekannt wurde.
Mit der ihr eigenen Schlitzohrigkeit hat die Bürgerbühne des Dresdner
Staatsschauspiels nun 120 Darsteller mobilisiert, diesen Platz den schönen
Geistern neu zu „weihen“. Peter Handkes „Die Stunde da wir nichts
voneinander wußten“ dient als Vorlage für einen fantasievollen Bilderbogen
der Liebenswürdigkeiten. Der Platz entspricht Handkes Intentionen, ist
konkret und doch auswechselbar. Regisseur Uli Jäckle, ein an der
Bürgerbühne bei Landschaftstheatern in der Sächsischen Schweiz erprobter
Spezialist für Open-Air-Spektakel, geht aber über die
Strickmusteranweisungen des Autors weit hinaus.
Anders als eine hermetisierende Bühne, bleibt der Dresdner Theaterplatz
offen. Eine bewusste Einladung an Passanten, die aber nur selten fruchtet,
etwa wenn sie ein über den Platz rasender nackter Mann erschreckt. So
scheinbar zufällig wie die Raumkonstellation beginnt auch die Szene.
Bekanntermaßen verzichtet Peter Handke auf Worte, setzt allein auf
Bildsprache und Interaktion. Wie in Fellini-Filmen erscheint ein Reigen
skurriler Gestalten, die so wärmend nachvollziehbar Facetten eines
funkelnden Lebens schillern lassen.
## Kinderakrobaten, ein Papageno und ein Führerchen
Touristen, Kinderakrobaten, schrullige Senioren, die Schönen in glühendem
Rot, irrende Kellner, ein ratloser Papageno, barocke Gestalten, spanisch
anmutende goldene Ritter, gar ein Schiff der Träume, „Elbflorenz“, kreuzen
in dichter, manchmal zu schneller Folge den Platz. Oft bleiben sie im
schönen Wollen, im unvollendeten Ansatz stecken wie ein kleines Orchester
oder ein Führerchen mit Minischnauzer, das schließlich aufgibt, sich der
Uniform entledigt, seine Eintrittskarte zückt und in der Oper verschwindet.
Solche Spitzen werden chaplinesk verpackt, dröhnen nicht als kämpferische
Entgegnung über den missbrauchten Platz. Etwa wenn sich ein
Frauke-Petry-Typ mit zwei AfD-Fahnen verstolpert, woraufhin ihr Muslime
aufhelfen. Ein Dreifachluther in Plastik darf auch nicht fehlen. Eigener
Deutung bleibt es überlassen, wenn eine Nonne mit Riesenspielzeugelefant
ihren Gebetsteppich ausrollt oder andere das Pflaster küssen.
Ganz auf Akustikfetzen mit Pegida- und „Haut ab“-Rufen verzichtet Jäckle
doch nicht. Wenn diese zahllosen Individualisten gegen Ende zu einer Art
Volk zusammenwachsen, dann als Fahrradkorso oder in einer reizenden
Choreografie zu Satchmo-Swing. Sie wissen am Ende der Stunde doch mehr
voneinander, fühlt man. Charmanter und herzlicher kann man diesen Platz gar
nicht umwidmen. Endlich verbinden sich mit ihm wieder freundliche
Assoziationen, plauderten die Premierengäste am Sonntagabend erleichtert.
Pegida schien es zu ahnen und wich am Montagabend auf den benachbarten
Postplatz aus.
14 Jun 2017
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Schwerpunkt Pegida
Peter Handke
Weltliteratur
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Oper
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German Angst
Populismus
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