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# taz.de -- Reform des Literaturnobelpreis-Komitees: Alles sauber in Stockholm?
> Die beiden Literaturnobelpreise sind vergeben. Die Diskussion über die
> Schwedische Akademie und über die Vergabe aber beginnt gerade erst.
Bild: Gar keine reine Rentnerveranstaltung mehr dieses Jahr: Stockholm, 10. Okt…
Es war eigentlich wie immer am zweiten Donnerstag im Oktober im großen Saal
der alten Börse in Stockholm. Punkt 13 Uhr öffnet sich die weiße Flügeltür,
vor der die Weltpresse wartet, ein Mann tritt vor die Kameras und verkündet
[1][den Träger] oder [2][die Trägerin] des Literaturnobelpreises.
Mit Mats Malm, dem neuen Mann im Amt des „ständigen Sekretärs“ der
Schwedischen Akademie war auch die „alte“ Ordnung bei dieser Präsentation
wiederhergestellt: Die 2015 als erste Frau in der Akademiegeschichte zum
„Sekretär“ gewählte Sara Danius hatte gerade einmal an drei
Oktoberdonnerstagen die Gelegenheit dazu bekommen, ihres Amtes zu walten.
Doch dann wurde der Jahrgang 2019 etwas anders als sonst. Die
PreisträgerInnen wurden nicht vom Akademiesekretär, sondern von fünf
Mitgliedern des Nobelkomitees näher vorgestellt. Eines Komitees, das
ebenfalls ganz anders aussah als früher. Nach dem Skandaljahr 2018, in dem
auch die Literaturpreisvergabe ausgefallen war, hatte die Nobelstiftung die
Schwedische Akademie faktisch entmachtet, was die Auswahl der
PreisträgerInnen angeht.
Ein neunköpfiges Komitee, in dem fünf „externe Sachverständige“ die
Mehrheit haben, hatte der Akademie die Namen präsentiert und die durfte sie
dann abnicken. Und dieses Komitee war nicht ausschließlich eine
Rentnerversammlung wie meistens in der Vergangenheit: Zwei
Literaturkritikerinnen, 32 und 27 Jahre alt, senkten den Altersdurchschnitt
kräftig.
## Warum nicht Margaret Atwood oder Jamaica Kincaid?
Welche Rolle die „Externen“ bei der Auswahl der PreisträgerInnen in diesem
Vergabekomitee gespielt haben, darüber darf jetzt noch 50 Jahre spekuliert
werden – erst dann werden die Protokolle öffentlich gemacht. Recht
behielten jedenfalls die Auguren in den Feuilletons, die die Wahl von
zumindest einer Frau erwartet hatten, zu denen aber die als Favoritinnen
gehandelten Margaret Atwood und Jamaica Kincaid nicht gehören würden, weil
die etwas tun könnten, was die Akademie absolut nicht riskieren wollte: Den
Preis womöglich ablehnen.
Erstere „weil sie nicht unbedingt die Rolle als Marionette im PR-Bemühen
der Akademie spielen möchte, diese wieder reinzuwaschen“, vermutet
beispielsweise Svenska Dagbladet. Und Letztere hatte sich in einem
TV-Interview öffentlich über den Nobelpreis mokiert und vorgeschlagen:
„Gebt ihn doch einfach allen denen, die ihn unbedingt haben wollen. Ich
will ihn nicht haben.“
Ganz offensichtlich sah die Akademie auch Veranlassung, sich vor einer
möglichen Absage abzusichern. Üblicherweise wissen die PreisträgerInnen bis
zur öffentlichen Bekanntgabe nichts von ihrer Ehrung. Konkret darauf
angesprochen, ob man das in diesem Jahr auch so halten werde oder sich
vielleicht rückversichere, dass der Preis auch tatsächlich akzeptiert
würde, verweigerte Anders Olsson, Vorsitzender des Nobelkomitees, eine
Antwort: „Ich will mich dazu nicht äußern.“ Nun wurde klar, dass Olga
Tokarczuk und Peter Handke tatsächlich vorab kontaktiert worden waren.
„Beide haben zugesagt, zur Preisverleihung zu kommen“, wusste Mats Malm
jedenfalls bereits bei der Präsentation zu berichten.
Erste schwedische Kommentare sprechen über eine jedenfalls vom
literarischen Ausgangspunkt her unangreifbare Wahl, auch wenn Handke
politisch recht umstritten sei. Wobei sich aber beispielsweise die
Kritikerin Jenny Aschenbrenner wundert: „Wieder zwei Europäer, obwohl
dieser Erdteil in der Geschichte des Nobelpreises sowieso überrepräsentiert
ist? Man übergeht damit einen regelrechten Tsunami an extrem wichtiger
Literatur, die postkoloniale Erfahrungen verarbeitet, etwa repräsentiert
durch Maryse Condé oder Jamaica Kincaid, die ja auch als Favoriten
gehandelt worden waren.“
Wird das gegenwärtig nur bis 2020 beschlossene Modell mit den „externen
Sachverständigen“ fortgeführt werden? Lars Heikensten, Direktor der
Nobelstiftung ist dafür: „Auch bei allen anderen Nobelpreisen bedient man
sich solcher Sachverständiger.“
Anders Olsson zweifelt: Es könne da ein Problem mit der Geheimhaltung geben
und wichtig sei auch, die Besorgnis der Befangenheit ausschliessen zu
können. Anders als die auf Lebenszeit gewählten Akademiemitglieder würden
die „Externen“ nur jeweils für zwei Jahre gewählt und die Gefahr, dass
Namen von PreisträgerInnen vorab leaken könnten, wachse.
Spekulationen darüber, welche Informationen da tatsächlich vorab geflossen
sein könnten, erwachten tatsächlich umgehend. Ein Mitglied des
Nobelkomitees ist regelmäßige Chronikverfasserin und Literaturkritikerin
bei der Tageszeitung Dagens Nyheter, die zum Bonnier-Medienkonzern gehört.
Was natürlich absolut nichts bedeuten muss, aber jedenfalls hatte diese
Zeitung am letzten Samstag Olga Tokarczuk auf der Titelseite ihres
Kulturteils und veröffentlichte ein dreiseitiges Interview mit ihr.
Und Ende September hatte der Bonnier-Verlag, der im übrigen auch Peter
Handke verlegt, die bisher bei einem schwedischen Kleinverlag liegenden
Rechte für die Herausgabe aller Bücher von Tokarczuk übernommen. „So eine
gute Nase für Preise“ und „was für ein Zufall“ lauteten erste sarkastis…
Kommentare.
10 Oct 2019
## LINKS
[1] /Literaturnobelpreis-fuer-Peter-Handke/!5632592
[2] /Literaturnobelpreis-fuer-Olga-Tokarczuk/!5628930
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Schwedische Akademie
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