# taz.de -- Literaturnobelpreis für Peter Handke: Eine unzivilisierte Wahl | |
> Der Nobelpreis für Peter Handke ist ein Schlag ins Gesicht Betroffener | |
> der Massaker in Bosnien – und aller, die an Menschenrechte und Fakten | |
> glauben. | |
Bild: Sein Gesamtwerk ist nicht das Vorzüglichste in idealer Richtung: Schrift… | |
Nein, die meisten Menschen sind keine Bewohner des Elfenbeinturms. Peter | |
Handke mag da wohnen und schreiben. So manche Vertreter des Kulturbetriebs | |
auch, doch die meisten wohnen da nicht. Und wollen das auch gar nicht. | |
Der Nobelpreis für Peter Handke ist ein Schlag ins Gesicht, nicht nur für | |
die Betroffenen der Massaker in Bosnien. Es ist ein Schlag ins Gesicht all | |
jener, die an Menschenrechte und Fakten glauben. Es geht beim Nobelpreis | |
nicht nur darum, ob Handke Prosa schreiben kann, die preiswürdig ist. Es | |
geht darum, ob sein Werk als Ganzes den Nobelpreis verdient. Der Nobelpreis | |
wird laut Satzung jenen zuteil „die […] der Menschheit den größten Nutzen | |
geleistet haben“. In der Literatur heißt das: jenen, die „das Vorzüglichs… | |
in idealer Richtung geschaffen haben“. | |
Man muss im Fall von Handke nicht [1][Werk und Person trennen], um | |
festzustellen: Sein Gesamtwerk ist nicht das Vorzüglichste in idealer | |
Richtung. Mit dem Jugoslawienkrieg trat auch in seine Texte die | |
Geschichtsleugnung und Unbelehrbarkeit, für die er als Person umstritten | |
ist. In „Unter Tränen fragend“, erschienen im Jahr 2000 bei Suhrkamp, | |
strickt er literarisch mit an dem Narrativ, Serbien sei Opfer einer | |
Weltverschwörung gewesen. Die Nato habe Krieg um des Krieges willen | |
geführt. | |
Lange vor Donald Trump attackierte Handke in seinen Texten die Medien als | |
Verbreiter von Fake News. Bei einem öffentlichen Auftritt in Serbien | |
erzählte er, wie „Unter Tränen fragend“ entstand. Er sagte dort, er habe … | |
geschrieben, weil er keine Antwort darauf habe, weshalb Serbien bombardiert | |
wurde und den Menschen dort dieses Leid zuteil wurde. | |
Natürlich kann man als Pazifist grundsätzlich jeden militärischen Eingriff | |
verurteilen. Aber man kann dann nicht gleichzeitig über einen Genozid | |
schweigen. Ein Genozid, der zugleich ein Versagen der Weltgemeinschaft war | |
und dessen Erinnerung eine Pflicht ist. Der Genozid in Srebrenica 1995 war | |
das grausamste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das Europa nach dem | |
Zweiten Weltkrieg zuließ. | |
Ein Massaker an Tausenden von Muslimen, die bis heute keine würdigen Orte | |
des Erinnerns an den Genozid haben. Sie wurden nicht nur von Europa im | |
Stich gelassen, als sie ermordet wurden. Bis heute ist das Erinnern an ihr | |
Leid bedroht von Gleichgültigkeit, nationalistischen Narrativen und einem | |
damit einhergehenden Revisionismus. | |
Handke schrieb Texte, in denen er die Täter als Opfer des Westens | |
beschreibt. Sollen wir ab jetzt hochrechen, ab wie viel Prozent | |
Geschichtsleugnung im Werk ein Autors so ein Nobelpreis noch in Ordnung | |
geht? Handke wird diesen Nobelpreis entgegennehmen. Da nur lebende | |
Autorinnen und Autoren ihn erhalten, wird er auch als Person geehrt. Es ist | |
dieselbe Person, die am Grab von Slobodan Milošević eine von vielen nur als | |
„merkwürdig“ beschriebene Rede hielt, in der er sagte, wie nahe er einem | |
angeklagten Kriegsverbrecher stehe. Dieselbe Person, die bereit war, als | |
Entlastungszeuge für den Kriegsverbrecher Milošević vor dem Internationalen | |
Gerichtshof in Den Haag auszusagen. | |
## Trauer um Jugoslawien | |
Meinen jene, die Werk und Person nun trennen möchten, dass die Opfer des | |
Genozids das auch sollen ? Haben sie das gesamte Werk im Blick? Gab es | |
keine Preisträger für das Jahr 2019, die man hätte auswählen können, ohne | |
die Verhöhnung der Opfer? Handke habe sich „verirrt“, nehmen ihn nun manche | |
gegen harte Kritik in Schutz. Er habe um Jugoslawien getrauert. | |
Nach Bosnien hat er sich aber nie verirrt, weil er auf der „falschen Seite“ | |
sein wollte, wie er selbst sagte. Das trotzige Kind spielt den weltfremden | |
Dichter und ein Publikum zieht sich daran hoch. Kaum ein Autor samt Fans | |
repräsentieren die Gleichgültigkeit des Westens gegenüber dem Genozid in | |
Bosnien so sehr wie Handke. | |
Die Schriftstellervereinigung Pen International hat diese Nobelpreis- | |
Entscheidung abgelehnt: sprachlos mache sie. Weltstars der Literatur nennen | |
die Wahl beschämend. Beschämender ist auch das Schweigen von Teilen des | |
deutschsprachigen Kulturbetriebs, der sich nun in selbstverliebten | |
Ausführungen über Handkes sprachliche Sensibilität verliert. Scham wäre | |
eine zivilisierte Reaktion auf so eine Entscheidung. Unzivilisiert hingegen | |
ist die Gleichgültigkeit und der Jubel derer, die in der Entscheidung für | |
Handkes Werk einen Sieg gegen die „politische Korrektheit“ sehen. | |
In derselben Nacht noch fordern die „Mütter von Srebrenica“, man möge | |
Handke den Nobelpreis aberkennen. Wenn Teile des Kulturbetriebs das für | |
einen Sieg gegen die politische Korrektheit halten, dann schlittert gerade | |
mit der Schwedischen Akademie ein Kulturbetrieb in die Krise, der noch | |
nicht verstanden hat, dass Kultur nicht nur für die Bewohner des | |
Elfenbeinturms geschaffen wird. | |
13 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jagoda Marinić | |
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