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# taz.de -- Drohbriefe gegen Politiker: Hasspost mit tausend Absendern
> Nach Morddrohungen erfährt der CDU-Mann Mike Mohring breite Solidarität.
> Er ist indes kein Einzelfall. Ermittler finden gegen den Hass kein
> Mittel.
Bild: Will sich nicht einschüchtern lassen: Mike Mohring
BERLIN taz | Sie stehe jetzt „auf der Todesliste“, solange sie nicht
endlich die Geflüchteten „im Meer ersaufen“ lasse, hieß es im Schreiben an
Kapitänin Carola Rackete. Man werde „euch abschlachten und eure
Gebetshäuser niederbrennen“, wurde Aiman Mazyek und Josef Schuster, den
Präsidenten des Zentralrats der Muslime beziehungsweise der Juden
geschrieben. Und an Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier hieß es, auch
er stehe auf der „Abschussliste“: „Walter Lübcke war nicht der letzte
Politiker, sondern der erste.“
Es ist eine infame Serie. Seit Monaten erreichen solche E-Mails Politiker
und zivilgesellschaftliche Vertreter. Absender: ein selbsternanntes
„Staatsstreichorchester“. Andere Schreiben sind von einer „Wehrmacht“ o…
„Nationalsozialistische Offensive“ unterzeichnet. Nun traf es auch Mike
Mohring.
Am Samstag erreichte den Thüringer CDU-Spitzenkandidaten eine Mail des
„Staatsstreichorchesters“. Er solle bis Sonntag, 12 Uhr, mit einem Tweet
seinen Wahlkampf einstellen, sonst werde man ihn „niederstechen“, mit einer
Autobombe attackieren oder mit einem Attentat. Und Mohring reagierte. Er
machte die Drohung öffentlich, in einem Video. „Wir dürfen keinen Platz
lassen für Hass, für Gewalt, für Aggressionen, für Morddrohungen“, sagt er
dort. Thüringen müsse hier zusammenstehen. „Die Zuversicht muss gewinnen.“
## „Tretet denen entgegen!“
Seitdem erfährt Mohring eine Welle der Solidarität. Die Linken-Landeschefin
Susanne Hennig-Wellsow erklärte dem CDU-Mann „an diesem Punkt unsere volle
Unterstützung“. SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Tiefensee sagte, man dürfe die
Verrohung nicht hinnehmen. „Widersprecht, tretet denen entgegen!“ Und
Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) erklärte: „Demokraten stehen aktiv
zusammen und lassen nicht zu, dass die Demokratie durch Einschüchterung
zerstört wird.“
Da war es allerdings erst wenige Tage her, [1][dass auch Ramelow selbst
massiv bedroht wurde, ebenso Grünen-Chef Robert Habeck], gerade in
Thüringen auf Wahlkampftour. Am Freitag hatte die Polizei deshalb zwei
Männer durchsucht, bei einem Schusswaffen entdeckt. Zudem berichtete am
Montag auch der Thüringer Grünen-Fraktionschef Dirk Adams, er habe eine
rechte Morddrohung bekommen. Neu sei das nicht, hieß es aus seiner Partei.
Einen ganzen Aktenordner füllten solche Zuschriften inzwischen. Die jetzige
Mail habe Adams daher auch nicht ernst genommen.
Die Bedrohungen sind inzwischen Alltag für Politiker und öffentlich
Engagierte in diesem Land. Regelmäßig werden sie mit Hassbotschaften
überzogen. Holger Münch, der Chef des Bundeskriminalamts, [2][spricht von
einem demokratiegefährdenden Ausmaß]. Und nach dem Mord am
Regierungspräsidenten Walter Lübcke in Hessen ist die Verunsicherung der
Betroffenen noch größer: Nun ist wieder klar, wie schnell aus Worten auch
Taten werden können.
## Mohring will sich nicht einschüchtern lassen
Mike Mohring ist am Montag dennoch wieder im Wahlkampfeinsatz. „Wir dürfen
uns nicht einschüchtern lassen“, sagt er der taz. Er habe die Bedrohung
ganz bewusst öffentlich gemacht, als Zeichen. „Es geht nicht um mich, ich
bin kein Einzelfall. Es geht um unsere Demokratie. Es dürfen nicht die
gewinnen, die Hass schüren.“ Die breite Solidarität sei dabei „total
wichtig“, so Mohring. „Die Betroffenen müssen wissen, dass sie nicht
alleinstehen.“
Die Täter indes machen weiter – auch weil die Ermittlungsbehörden bisher
kaum einen Weg finden, den Drohschreiben etwas entgegenzusetzen.
Tatsächlich kommen sie von einer schier unüberschaubaren Zahl an Absendern.
Manche schreiben unverhohlen unter Klarnamen, viele andere aber anonym,
oder wie das „Staatsstreichorchester“ in verschlüsselten Mails aus dem
Darknet. In einigen Fällen kamen Bombendrohungen an Rathäuser oder Gerichte
dazu, in anderen sollten 100 Millionen Euro in Bitcoin erpresst werden.
Dazu steigen Trittbrettfahrer mit ein. Auch nach der jetzigen Mail an
Mohring tauchte eine zweite des „Staatsstreichorchesters“ auf, in der
behauptet wird, man sei gar nicht der Absender gewesen.
Es ist ein irrer, undurchsichtiger Wust – in dem die Ermittler kaum
Ansatzpunkte auf die tatsächlichen Verfasser finden. Im Fall der
„Staatsstreichorchester“-Mails ermittelt inzwischen federführend die
Generalstaatsanwaltschaft Berlin, auch das BKA ist dabei. Von mehreren
hundert Mails allein in diesem Komplex spricht am Montag ein Sprecher der
Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen seien „sehr aufwändig“. Indes: „Bis…
ist es nicht gelungen, Tatverdächtige zu identifizieren.“
## Ein Tatverdächtiger sitzt in Haft
In einem Fall indes hatte die Behörde Erfolg: [3][Im April nahm sie einen
30-Jährigen aus Schleswig-Holstein fest, André M.] Mehr als 90
Drohschreiben soll er verschickt haben, darunter einige als
„Nationalsozialistische Offensive“. Der Mann war vielfach straffällig, saß
bereits längere Zeit in Haft und in der Psychiatrie. Im Internet
präsentierte er sich offen als Rechtsextremist. André M. entdeckten die
Ermittler, nachdem dieser offen im Internet eine Youtuberin bedroht hatte –
und diese Bedrohung in einem Hassschreiben aufgriff. Aber: Auch nach seiner
Festnahme gingen die Drohmails weiter.
Ein anderer, seltener Erfolg gelang den Ermittlern vor anderthalb Wochen:
In Bayern, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg wurden sieben
Männer durchsucht. Sie sollen im Juli 23 Drohschreiben mit Bombendrohungen
an Moscheen und Parteizentralen verschickt haben. Die Einrichtungen mussten
damals geräumt werden. Unterzeichnet waren die Schreiben mit „Volksfront“
oder „Combat18“. Nach taz-Informationen rechnen die Ermittler die
Durchsuchten tatsächlich dem deutschen Combat18-Netzwerk zu. Der Gruppe
droht inzwischen ein Verbot.
An anderer Stelle aber geht der Hass weiter. Bis heute unaufgeklärt sind
etwa die Drohschreiben an die NSU-Nebenklageanwältin Seda Basay-Yildiz, die
mit Polizeidaten gespickt waren. Und auch die jüngsten Rechtsterrortaten
sorgten für keine Pause, im Gegenteil. Nach dem Mord an Walter Lübcke
schrieb das „Staatsstreichorchester“ auch Morddrohungen an die Kölner
[4][Oberbürgermeisterin Henriette Reker und den Altenaer Stadtchef Andreas
Hollstein] – mit dem Verweis auf eine Spendensammlung im Darknet für ihre
Erschießung. Beide Politiker wurden in der Vergangenheit bereits Opfer
rechter Messerangriffe. Und auch sie erklärten: Sie würden nicht weichen.
Das „Staatsstreichorchester“ wiederum verschickte nach dem Anschlag von
Halle weitere Todesdrohungen: „Das Morden wird erst noch richtig losgehen.“
## BKA baut Zentralstelle gegen Onlinehass auf
Beim BKA will man nun eine Zentralstelle gegen Hasskriminalität im Internet
aufbauen, um so Verfasser von Gewaltdrohungen zu identifizieren. Noch aber
müssen dafür das Personal und die Mittel bewilligt werden.
Im Fall Mohring ermittelt nun auch das LKA Thüringen. Man nehme „jede
Drohung ernst“ und passe Schutzmaßnahmen an, heißt es dort. Der CDU-Mann
wurde allerdings schon Ende September bedroht. Eine Postkarte verwies auf
Lübcke, Mohring sei „die Nummer zwei, die demnächst einen Kopfschuss“
erhalte. Der Täter ist bisher nicht ermittelt.
Er ziehe den Wahlkampf durch, sagt Mohring am Montag. Aber auch: „Wir
müssen aufeinander aufpassen.“
21 Oct 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Konrad Litschko
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