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# taz.de -- Staatliche Kirchenfinanzierung: Vater Staat und Mutter Kirche
> Der Staat überweist jährlich hunderte Millionen Euro an die großen
> Kirchen. Laut Grundgesetzt hätten diese Zahlungen längst aufhören müssen.
Bild: Muss die Kirche selbst instand halten: Hildesheimer Dom
Hamburg taz | In Deutschland sind Staat und Kirche [1][offiziell getrennt].
Dennoch hat der Staat im vergangenen Jahr nach [2][Berechnungen der
Humanistischen Union] mehr als eine halbe Milliarde Euro an die
evangelische und katholische Kirche überwiesen, um deren Bischöfe zu
bezahlen.
Und das ist noch gar nichts: 1,4 Milliarden gab er für den
konfessionsgebundenen christlichen Religionsunterricht aus, 3,9 Milliarden
für die Kindergärten, 45 Milliarden Euro fließen aus den Sozialkassen an
die Caritas und das Diakonische Werk, wie der Politologe [3][Carsten
Frerk], Autor des „Violettbuchs Kirchenfinanzen“, berechnet hat. Dazu
kommen Zuschüsse für Gebäude und Steuervorteile. Vater Staat schafft an,
Mutter Kirche gibt aus.
Namentlich für die besonders merkwürdig anmutende halbe Milliarde für die
Bischöfe wird in der Regel der Reichsdeputationshauptschluss von 1803
verantwortlich gemacht, der den Anfang vom Ende des Heiligen Römischen
Reichs Deutscher Nation markiert. Dabei erzwang Napoleon die Auflösung
vieler Hundert deutscher Kleinstaaten, wobei sich die mächtigeren
Landesherren auch kirchliches Eigentum unter den Nagel rissen.
Dass die Kirchen dafür entschädigt werden sollen, steht in Artikel 140 des
Grundgesetzes, der wiederum auf Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung
verweist. „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden
Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die
Landesgesetzgebung abgelöst“, steht da. „Die Grundsätze dafür stellt das
Reich auf.“
## Enorme Summen auf einen Schlag
Das bedeutet: Seit einhundert Jahren müssten sich die Länder eigentlich mit
den Bistümern und Diözesen über eine Zahlung einigen, die den jährlichen
Scheck obsolet macht. Stattdessen zahlen sie munter weiter. „Ablösen heißt
nicht einfach einstellen, sondern meint da einvernehmliches Ermittteln
einer Endsumme“; warnt Axel von Campenhausen, der ehemalige Leiter des
[4][Kirchenrechtlichen Instituts] der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD).
In diesem Fall, sagt Campenhausen, kämen auf die Länder enorme Summen zu,
die auf einen Schlag zu bezahlen wären, während die Kirchen plötzlich einen
Batzen Geld hätten, mit dem sie nicht wüssten, wohin. „Weil die Summe so
groß wäre, hat man beschlossen, das zu verrenten“, sagt der
Kirchenrechtler. Die Länder zahlen quasi Zinsen auf die historischen
Ansprüche der Kirchen.
Diese Rechtstitel beginnen nicht mit dem Reichsdeputationshauptschluss und
enden auch nicht damit, wie Stefan Mückl für die Bundeszentrale [5][für
Politische Bildung aufgeschrieben] hat. Der Grundsatz der Gleichbehandlung
der Kirchen etwa gehe bis auf den Augsburger Religionsfrieden 1555 und den
Westfälischen Frieden 1648 zurück. Die Rechte der Kirchen seien in der
Weimarer Zeit durch verschiedene Verträge zwischen Staat und Kirche
bekräftigt worden.
Der Politologe Frerk weist darauf hin, dass den enteigneten Fürstbischöfen
im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses lediglich eine persönliche
Apanage zugedacht worden sei. Die Ansprüche sind seiner Deutung nach später
entstanden. Bayern schloss 1817, direkt nach dem Ende der napoleonischen
Kriege, ein [6][Konkordat] mit dem Vatikan. Hierin übernimmt Bayern die
Besoldung der Bischöfe und Domkapitel, es stellt der Kirche Gebäude zur
Verfügung und unterstützt kirchliche Bildungseinrichtungen.
Bayern hat auch in der Weimarer Zeit das erste Konkordat mit dem Vatikan
geschlossen, das die 1817 vereinbarten Subventionen fortschrieb. „Das ist
in der Sache die Fortführung des Staatskirchentums“, ärgert sich Frerk mit
Blick auf die Ablöseverpflichtung in der Weimarer Reichsverfassung. „Ein
doppelter Rechtsbruch.“ Andere Länder zogen nach und nach dem Zweiten
Weltkrieg ging es in dieser Tradition weiter.
Von Campenhausen zufolge sind die Verträge zwischen Staat und Kirche immer
wieder weiterentwickelt worden. Ganz viele einzelne Lasten seien abgelöst
worden. „Bis in meine Jugend gehörten die Dome dem Staat“, erinnert sich
der inzwischen pensionierte Kirchenrechtler. Im [7][Loccumer Vertrag] von
1955 übertrug das Land Niedersachsen die kirchlichen Zwecken dienenden
Gebäude der Kirche, die das Land wiederum von den Unterhaltskosten
freistellte.
Andererseits schrieb der Vertrag auch die Bezahlung des Kirchenregiments
und der Pfarrer durch das Land fest. Diese muss mit der Besoldung der
Landesbeamten mitwachsen. „Ein Verwendungsnachweis gemäß § 64a der
Reichshaushaltsordnung wird nicht erfordert“, heißt es noch. Die Kirche
kann ohne Aufsicht damit schalten und walten.
Zur Unterstützung für die Kirchen gehört auch, dass der Staat für sie die
Steuern einzieht. Frerks Zahlen deuten darauf hin, dass er das nicht
kostendeckend tut. Auf alle Fälle subventioniert er die Kirchen indirekt,
indem er die Kirchensteuer steuerlich absetzbar gemacht hat. Frerk zufolge
kostet das drei Milliarden Euro. Die Absetzbarkeit gilt aber für alle
religiösen Aktivitäten.
Wenn der Staat kirchliche Kindergärten, Krankenhäuser und
Pflegeeinrichtungen bezahlt, bekommt er dagegen eine konkrete Gegenleistung
für Aufgaben, die er ohnehin lösen müsste. Frerk stört aber, dass die
Kirchen sich das als gute Werke ans Revers heften. „Die Menschen meinen,
dass ein großer Teil der Kirchensteuer in diese sozialen Einrichtungen
fließt“, kritisiert der Politologe. Dabei steuerten die Kirchen nur 2
Prozent zum Budget der Caritas und des Diakonischen Werks bei.
„Das ist ein Service im Sinne des friedlichen Zusammenlebens“, findet
Kirchenrechtler von Campenhausen. Wer solle denn die Krankenhäuser
übernehmen, wenn die kirchlichen Träger wegfielen, fragt er. Der Staat
subventioniere die Kirchen, wie er den Sport subventioniere.
Die Kirchen wären bereit, sich mit dem Staat zu einigen, versichert von
Campenhausen. Mit Blick auf die Ablösepflicht im Grundgesetz warnt er aber
davor, einen Bruch herbeizuführen. „Einen Kulturkampf wie in Frankreich
wollen wir nicht haben“, sagt er.
Die Ablösepflicht durchsetzen könnten nur der Bundestag oder die Landtage
mit einer Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht. „Da will
aber niemand ran“, sagt Frerk.
9 Oct 2019
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!217928&s=Staatsleistungen+Frerk&SuchRahmen=Print/
[2] http://www.staatsleistungen.de/rubrik/daten-und-fakten
[3] http://www.carstenfrerk.de/wb/zur-person.php
[4] https://www.kirchenrechtliches-institut.de/institut.html
[5] https://www.bpb.de/apuz/162394/aktuelle-herausforderungen-fuer-das-staatski…
[6] https://books.google.de/books?id=4GdCAAAAcAAJ&redir_esc=y&hl=de
[7] https://kirchenrecht-evlka.de/document/20889
## AUTOREN
Gernot Knödler
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Fremd und befremdlich
Michael Müller
Niedersachsen
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