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# taz.de -- Kohle für die Kirche: Festhalten an den Verträgen?
> Seit 60 Jahren sichert der „Loccumer Vertrag“ die Privilegien der
> niedersächsischen Landeskirchen. Ist es Zeit, damit aufzuräumen?
Bild: Männer und Papiere: 50 Jahre Loccumer Verträge feierten 2005 Bischof Pe…
JA
von Godehard Baeck
Am 23. April 1955 trat der „Loccumer Vertrag“ zwischen dem Land
Niedersachsen und den Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen in
Kraft. Gegenstand des Vertrages bildete ähnlich wie beim Konkordat zwischen
der Katholischen Kirche und Niedersachsen – vom 26. Februar 1965 – eine
möglichst umfassende Regelung ihrer Beziehungen.
Wenn er auch vom Modell eines geordneten Gegenübers des weltlichen
Gemeinwesens und eines Religionsverbands mit gegenseitiger Vertragstreue
ausgeht, ist der Loccumer Vertrag doch nur ein quasi-völkerrechtlicher
Vertrag. Er war für andere Kirchenverträge der Nachkriegszeit aber Vorbild
– und ein Erfolgsmodell für die friedliche, freiheitliche und auf
gegenseitige Respektierung gegründete Zusammenarbeit zwischen Staat und
Kirche.
Das betrifft neben der Übereinstimmung über den Öffentlichkeitsauftrag der
Kirchen und ihrer Eigenständigkeit eine Reihe von Punkten – wie zum
Beispiel die Religionsfreiheit –, die wir als Errungenschaften auch des
Grundgesetzes betrachten. Eine Reihe von Einzelregelungen betreffen den
Weiterbestand der Theologischen Fakultät an der Universität Göttingen, den
Religionsunterricht in öffentlichen Schulen, Seelsorge an Krankenhäusern
und Strafanstalten und so weiter, die Bestellung kirchlicher Leitungsämter
und die Anstellungsvoraussetzungen von Pfarrern, vermögensrechtliche
Fragen, Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden und so weiter.
Für die selbständige Regelung ihrer Angelegenheiten tritt die evangelische
Landeskirche als juristische Person (Körperschaft) öffentlichen Rechts im
Rechtsverkehr auf, zieht Kirchensteuern ein, wobei die staatlichen
Einzugsbehörden mit vier Prozent ganz gut dabei mitverdienen. Ausdrücklich
bekennt sich die Kirche zur Pflege und Erhaltung denkmalsgeschützter
Gebäude.
Vom Einsatz der Kirche nach den Regelungen des Vertrags hat der Staat große
Vorteile, und das schon finanziell: Müssten die bisher von den Kirchen
geleisteten sozialen Aufgaben vom Staat übernommen und bezahlt werden, käme
ihn das immens teuer. Von Privilegien der Kirche, das heißt einer
Bevorzugung einer Religionspartei durch den Staat, kann nicht die Rede
sein. Der Vorwurf eines Widerspruchs zwischen einzelnen Regelungen des
Loccumer Vertrages und dem Grundgesetz ist zurückzuweisen und auch nie von
den Hütern des Grundgesetzes verhandelt worden. Die staatlichen
Sonderzahlungen, fußend unter anderem auf den im
„Reichsdeputationshauptschluss“ von 1803 getroffenen Vereinbarungen bei der
damaligen Enteignung kirchlichen Besitzes, könnte man als schwache
Rekompensation bezeichnen: für die Raubgüter, von denen auch heutige
Krakeeler in Hannover noch profitieren.
NEIN
VON Andreas Wyputta
Wer wie zuletzt die Grüne Jugend in Niedersachsen – kurz GJN – am Loccumer
Vertrag rüttelt, erntet wütende Kommentare besonders von konservativer
Seite: „Beschämend“ sei die Forderung des Polit-Nachwuchses nach einer
„echten Trennung von Kirche und Staat“, poltert etwa Björn Thümler,
Landtagsfraktionschef der CDU.
Dabei hatten die GJN-SprecherInnen Marcel Duda und Imke Byl nur auf
Anachronismen hingewiesen, die immer weniger Menschen noch hinnehmen
wollen: In von den Kirchen getragenen, aber zum überwältigen Teil vom Staat
finanzierten Sozialeinrichtungen wie Kitas, Krankenhäusern und Altenheimen
gilt ein diskriminierendes kirchliches Arbeitsrecht – dabei schätzen
Insider, dass die Christen bestenfalls 20 Prozent ihres ach so sozialen
Engagements selbst tragen.
Trotzdem sind Konfessionslose und Geschiedene bei den kirchlichen Trägern
ebenso wenig erwünscht wie Homosexuelle, gelten Abtreibungen als
Teufelswerk. Kurz: Auch 300 Jahre nach Beginn der Aufklärung wird einer
vorgeblich sekularen Gesellschaft eine religiöse Ideologie auf Staatskosten
aufgedrückt.
Denn die Bundesrepublik insgesamt beglückt die christlichen
Religionsgemeinschaften jedes Jahr mit unglaublichen 19 Milliarden – also
19.000 (!) Millionen – Euro. Mit etwa neun Milliarden bringt die
Kirchensteuer davon weniger als die Häfte. Die kirchlichen Kitas sind dem
Staat vier Milliarden wert; Konfessionsschulen kosten zwei Milliarden.
Niedersachsen steht für etwa zehn Prozent dieser Summen gerade. Für die
evangelische Kirche gesichert wird dieser Geldregen durch den Loccumer
Vertrag von 1955. Selbst Entschädigungen für Enteignungen während der
Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts – also für Folgen der Reformen
Napoleons – sieht dieses angeblich unkündbare Werk noch vor. 43 Millionen
werden so nur in 2015 fließen. Nach Berechnung der Bürgerrechtsvereinigung
Humanistische Union hat allein Niedersachsen den Kirchen 1,4 Milliarden
Euro dieser „Staatsleistungen“ seit 1949 überwiesen.
Zusammen mit evangelischen Würdenträgern beging Niedersachsens
SPD-Ministerpräsident, der ehemalige Messdiener Stephan Weil, die
„Festveranstaltung“ zum 60. Jahrestag des Vertrags am Dienstag deshalb
nicht umsonst leise, still und beinahe heimlich: Einladungen etwa an die
Presse gab es nicht. Kassiert werden soll unter Ausschluss der
Öffentlichkeit.
Umso wichtiger, dass Humanisten und Atheisten ein Ende der
Milliardensubventionen, zumindest aber die Einfügung von Kündigungsklauseln
in den Loccumer Vertrag gefordert haben – und das wenigstens die
Nachwuchsorganisation einer Regierungspartei den Mut hatte, sie dabei zu
unterstützen. Denn die Diskussion um Loccum hat gerade erst begonnen.
23 Jun 2015
## AUTOREN
Godehard Baeck
Andreas Wyputta
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