# taz.de -- 60 Jahre niedersächsischer Vertrag mit Kirchen: Freidenker gegen P… | |
> Niedersachsen zahlt rund 35 Millionen Euro an die evangelischen Kirchen. | |
> Humanisten kritisieren die Extraleistungen und wollen der Kirche | |
> kündigen. | |
Bild: Hinter diesen Mauern wurden die Kirchen-Privilegien geregelt: Kloster Loc… | |
HAMBURG taz | Die Humanistische Union (HU) hat die Abschaffung von | |
Kirchenprivilegien gefordert. Passend zum 60. Jahrestag des Loccumer | |
Vertrages, der das Verhältnis des Landes Niedersachsen mit den vier | |
evangelischen Landeskirchen Braunschweig, Hannover, Oldenburg und | |
Schaumburg-Lippe sowie der evangelisch-reformierten Kirche mit Sitz in Leer | |
regelt. Der Vertrag gesteht den Kirchen besondere Rechte zu: das Erheben | |
vonr Kirchensteuern etwa. | |
Neben den evangelischen Kirchen findet auch die niedersächsische | |
Landesregierung zum Jahrestag durchweg lobende Worte für den Staatsvertrag. | |
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bezeichnete den Loccumer Vertrag sogar | |
als „so erfolgreich, dass er inzwischen nur noch geliebt wird“. Eine | |
Begeisterung, die den Humanisten stinkt. Lieben lernen wollen sie die | |
Regelung zwischen Kirche und Staat nicht: Sie wollen sie abschaffen. | |
Einzelne Teile des Vertrags verstießen gegen das Grundgesetz und seien | |
undemokratisch, kritisiert HU-Mitglied Johann-Albrecht Haupt. | |
So dürften Kirchen zwar Steuern erheben, der Einzug der Abgaben durch die | |
Finanzämter sei im Grundgesetz jedoch nicht vorgesehen, sagt Haupt. Er | |
erwähnt nicht, dass die Kirchen für diese Leistungen eine Abgabe zahlen – | |
in Niedersachsen vier Prozent der Kirchensteuer. Zusammen mit den Einnahmen | |
durch die katholischen Kirchen sind das fast 36 Millionen Euro. | |
Als besonders kritisch empfindet Haupt jedoch die jährlichen | |
Staatsleistungen an die Kirchen. Die gehen auf die Enteignung von Kirchen | |
zu Zeiten Napoleons zurück. Seither unterstützt der Staat die Kirchen und | |
zahlt seit 1919 regelmäßig. Die Kirche bezeichnet die Zahlungen als | |
Entschädigung. In diesem Jahr überweist das Land den evangelischen Kirchen | |
fast 35 Millionen Euro – ganz unabhängig vom Einzug der Kirchensteuer. Die | |
katholischen Diözesen erhalten zudem rund 8,8 Millionen Euro und der | |
Landesverband der jüdischen Gemeinden rund 2,4 Millionen Euro. | |
Die Gelder seien „zweckfreie Zuschüsse, über deren Verwendung die Kirchen | |
keinerlei Nachweis erbringen müssen“, kritisiert Haupt. Die Bundesregierung | |
hatte es den Ländern im April 2013 freigestellt, ob sie mit den Kirchen in | |
Verhandlungen über die Staatsleistungen eintreten. „Aber Niedersachsen | |
redet nicht einmal mit den Kirchen“, sagt der Humanist. Die Bevorzugung | |
dieser Institutionen – auch im Falle des geplanten Staatsvertrages mit den | |
Muslimen – halte er für problematisch. Die Initiative dafür, die Missstände | |
aufzulösen, müsse jedoch vom Land kommen. Dass die Kirchen das Geld gerne | |
annehmen, hält Haupt für „logisch“. | |
Die Landesregierung sieht dagegen keinen Handlungsbedarf. Das bestätigt die | |
Sprecherin des Kultusministeriums, Susanne Schrammar. Der Loccumer Vertrag | |
habe sich bewährt, betont sie. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen | |
sei seither „solide und verlässlich“. Bei der Forderung nach einer | |
Beendigung der Staatsleistung müssten zudem die Mehrbelastungen für den | |
Haushalt berücksichtigt werden. „Die Kirchen haben viele Aufgaben | |
übernommen“, sagt Schrammar und verweist auf das Betreiben von Kitas, | |
Krankenhäusern und Altenheimen. Die Staatsleistungen seien deshalb | |
„sinnvoll eingesetztes Geld“. | |
Landesbischof Ralf Meister gehört zu denen, die den Loccumer Vertrag | |
lieben. Die Staatsleistungen kann die Kirche auch in sein Gehalt | |
investieren. Im Haushalt seiner Landeskirche Hannovers machen die | |
Staatsleistungen zwar weniger als vier Prozent aus, verzichten möchte der | |
Landesbischof dennoch nicht darauf. „Es ist eine vertragliche Verpflichtung | |
des Staates“, sagt er. Zur Diskussion will er diese nicht stellen. | |
Überhaupt versteht Meister nicht, warum die Humanistische Union gerade auf | |
diesen Aspekt des Loccumer Vertrages so unnachgiebig pocht. Die | |
Bürgerrechtsvereinigung erhalte selbst Geld vom Land – 240.000 Euro | |
jährlich wegen ihrer Verfolgung im Nationalsozialismus. Haupt bestreitet | |
das. "Der Bischof verwechselt die Humanistische Union ganz offensichtlich | |
mit dem Humanisitschen Verband Niedersachsen", vermutet er. Die | |
Humanistische Union habe niemals Geld vom Staat erhalten oder auch nur | |
beantragt, weder in Niedersachsen, noch anderswo in Deutschland. | |
Doch die Staatsleistungen sind nicht der einzige Kritikpunkt der | |
Humanistischen Union am Loccumer Vertrag. Dieser gelte ohne eine | |
Kündigungsklausel auf unbestimmte Zeit, bemängelt Haupt. Keine der beiden | |
Parteien könne den Vertrag ohne das Einverständnis der anderen auflösen – | |
und das Parlament habe keinen Einfluss auf den Inhalt der Verträge gehabt. | |
Zumindest eine solche Kündigungsklausel gehöre in den Vertrag hinein, meint | |
der Humanist. Sonst habe die Regelung mit Demokratie nichts zu tun. | |
3 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
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