# taz.de -- Gerichtsprozess um Atomkatastrophe: Freispruch für Fukushima-Manag… | |
> Die Atomkatastrophe in Japan bleibt ohne strafrechtliche Konsequenzen. | |
> Doch die klagenden Bürger und ihre Anwälte wollen nicht aufgeben. | |
Bild: Hat sich entschuldigt: Tsunehisa Katsumata, ehemaliger Vorsitzender des T… | |
Tokio taz | Ein Bezirksgericht in Tokio hat drei Ex-Topmanager des | |
Stromriesen Tepco in Zusammenhang mit der Fukushima-Katastrophe | |
freigesprochen. Damit gibt es weiterhin keinen strafrechtlich Schuldigen | |
für den größten zivilen Atomunfall seit Tschernobyl. | |
[1][Der zweijährige Prozess] drehte sich um die Frage, ob die Havarie im | |
AKW Fukushima Daiichi hätte verhindert werden können. Die Führungskräfte | |
hatten eine Warnung vor der Möglichkeit eines starken Tsunami erhalten, | |
aber die Schutzmaßnahmen der Atomanlage nicht verstärkt, sondern nur den | |
japanischen Ingenieursverband um eine Stellungnahme gebeten. | |
Die Manager waren wegen „professioneller Fahrlässigkeit mit Todesfolge“ | |
angeklagt. Sie hätten durch ihr Nichthandeln den Tod von 44 Menschen | |
verursacht, darunter Patienten, die bei der Evakuierung eines Krankenhauses | |
starben. Außerdem seien sie für die Verletzung von 13 Menschen durch | |
Wasserstoffexplosionen verantwortlich. Die Staatsanwälte forderten eine | |
Freiheitsstrafe von je fünf Jahren. | |
Vor Gericht hatten der 79-jährige Tsunehisa Katsumata, damals der | |
Vorsitzende des Tepco-Verwaltungsrats, sowie die Ex-Vizepräsidenten Ichiro | |
Takekuro (73) und Sakae Muto (69) erklärt, dass sie den massiven Tsunami, | |
der die Kernschmelzen in drei Reaktoren verursachte, nicht vorhersehen | |
konnten. Das Gericht folgte dieser Argumentation, die auch das Unternehmen | |
Tepco bis heute bemüht. „Es wäre unmöglich, ein Atomkraftwerk zu betreiben, | |
wenn die Betreiber verpflichtet wären, jede Möglichkeit eines Tsunami | |
vorherzusagen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“, begründete der | |
vorsitzende Richter Kenichi Nagafuchi sein Urteil. | |
## „Hat dieses Gericht kein Gewissen?“ | |
Darüber empörte sich eine Zuschauerin noch im Gerichtssaal mit dem | |
Aufschrei: „Unglaublich“. Eine andere Frau brach nach dem Urteil in Tränen | |
aus. „Wir werden bis zu unserem Tode weiterkämpfen“, schluchzte sie. „Hat | |
dieses Gericht kein Gewissen?“, klagte ein älterer Mann. Die Protestler | |
waren teilweise aus Fukushima angereist. Greenpeace-Sprecher Shaun Burnie | |
sprach von einem Justizversagen. „Das Urteil ist keine Überraschung, weil | |
ein Schuldspruch ein verheerender Schlag gegen Tepco, die Regierung von | |
Shinzo Abe und die japanische Nuklearindustrie gewesen wäre“, sagte Burnie | |
in Tokio. Einer der Sprecher der Klägeranwälte, Yuichi Kado, betonte, dass | |
der Prozess [2][die Schuld der drei Manager vollkommen bewiesen habe]. | |
Daher gilt ein Revisionsverfahren als wahrscheinlich. | |
Unabhängige Beobachter hatten mit einem Freispruch gerechnet. Denn die | |
reguläre Staatsanwaltschaft hatte zweimal den Antrag von 5.700 Bürgern | |
abgelehnt, einen Prozess zu eröffnen, da es nicht genug Beweise gebe und | |
eine Verurteilung zweifelhaft sei. Jedoch hatte ein mit Laien besetzter | |
Ausschuss vor vier Jahren ein Verfahren gegen die drei Männer angeordnet. | |
Diesem Entscheid musste die Justiz folgen und ernannte zu diesem Zweck | |
unabhängige Anwälte als Strafverfolger. | |
Die japanische Regierung hatte bereits 2002 davor gewarnt, dass in | |
Fukushima ein Tsunami von bis zu 15,7 Metern möglich sei. Die Tepco-Führung | |
erhielt diese Schätzung 2008 und reagierte darauf nicht, obwohl die | |
Notstromaggregate und die Schalttafeln des AKWs nur wenige Meter über dem | |
Meeresspiegel standen. | |
Eine unabhängige Untersuchungskommission erklärte dieses Verhalten 2012 | |
damit, dass die Atomindustrie sich selbst regulieren und überwachen durfte. | |
Daher sei es ein Desaster von Menschenhand gewesen. „Wir entschuldigen uns | |
erneut aufrichtig dafür, dass wir vielen Menschen, auch in der Präfektur | |
Fukushima, große Schwierigkeiten und Sorgen bereitet haben“, beteuerte das | |
Unternehmen nach dem Urteil. | |
19 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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