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# taz.de -- Neun Jahre nach Fukushima: Japan setzt auf Kohle
> Die Regierung in Tokio steht wegen des Baus vieler neuer fossiler
> Kraftwerke am Pranger. Erneuerbare sind angeblich zu teuer.
Bild: Blick auf den im Bau befindlichen Kohleblock Yokosuka in der Bucht von To…
Tokio taz | Wenn man mit dem Auto zum [1][AKW Fukushima Daiichi] fährt,
passiert man auf dem letzten Viertel der Strecke ab Tokio die Neubauten der
zwei modernsten Kohlekraftwerke von Japan. Sie entstehen in Nakoso 67
Kilometer und in Hirono 24 Kilometer südlich der Ruinen der havarierten
Atomanlage. Im ersten Kraftwerk läuft seit Januar bereits der Hilfsboiler,
im September geht die Anlage ans Netz. Die Konstruktion des zweiten Meilers
ist weit fortgeschritten, er soll ab September 2021 Strom liefern. Zusammen
kommen die Anlagen auf eine Kapazität von 1.080 Megawatt, so viel wie ein
moderner Atomreaktor. Die Gesamtkosten von 2,5 Milliarden Euro sind jedoch
deutlich geringer.
Die neuen Kohlekraftwerke an der Pazifikküste stehen für eine weltweit
einzigartige Energiepolitik: Während die westliche Welt aus der Kohle
aussteigt, um ihre Klimaziele zu erreichen, hält Japan starr an der
Stromgewinnung aus dem schwarzen Gold fest.
In den vergangenen zwei Jahren gingen 9 Kohlekraftwerke mit einer Kapazität
von 2,4 Gigawatt in Betrieb. 13 weitere Meiler mit einer Gesamtleistung von
8,4 Gigawatt befinden sich im Bau. Kraftwerke unter 112,5 Megawatt dürfen
ohne Umweltprüfung errichtet werden. Diese Kohlepolitik stößt international
auf starke Ablehnung. Beim UN-Klimagipfel im September in New York durfte
Premier Shinzo Abe deswegen keine Rede halten.
## Klimaschutz nur bei Olympia
Seine Regierung hat sich zwar im Pariser Klimaabkommen verpflichtet, bis
2030 den Ausstoß von Kohlendioxid um 26 Prozent gegenüber 2013 zu
verringern. Auch bei den Olympischen Sommerspielen in diesem Sommer in
Tokio stellt sich Japan als Vorreiter im Klimaschutz dar. Beim „Olympia der
niedrigen Emissionen“ stammt der Strom aus erneuerbaren Quellen.
Wasserstoffbusse mit Brennstoffzellenantrieb transportieren die Athleten.
„Aber die fünf riesigen Kohlekraftwerke, die allein in diesem Jahr in
Betrieb gehen, stoßen viel mehr Kohlendioxid aus, als bei den Spielen
eingespart wird“, kritisiert Kimiko Hirata von Kiko Network, dem
japanischen Ableger der Klimaschützer von Climate Action Network.
Das Festhalten an der Kohle als Energieträger ist laut der japanischen
Regierung eine Folge der Fukushima-Katastrophe. Nach dem März 2011 wurden
alle Atomkraftwerke aus Sicherheitsgründen nacheinander abgeschaltet und
stillstehende Wärmekraftwerke hochgefahren. Der Anteil der fossilen
Brennstoffe an der Stromerzeugung stieg um fast die Hälfte auf 90 Prozent.
Was die Regierung verschweigt: Der Kohleanteil am Strommix betrug schon vor
dem Fukushima-Unfall 25 bis 28 Prozent und blieb nach der Atomkatastrophe
relativ konstant. Im Vorjahr waren es 33 Prozent. Daran soll sich im neuen
Jahrzehnt kaum etwas ändern: Für 2030 strebt Japan immer noch einen
Kohleanteil von 26 Prozent an. Der Klimaaktivist und frühere
US-Vizepräsident Al Gore nannte das Ziel im Oktober ein „totales
Politikversagen“.
Die offizielle Argumentation zugunsten der Kohle hat sich seit anderthalb
Jahrzehnten ebenfalls nicht geändert. Zum einen brauche Japan die Kohle als
sichere Energiequelle, um weniger von Öl und Gas aus dem Nahen Osten
abhängig zu sein. Zum anderen, so die Lesart, ersetzten die neuen
Kraftwerke ineffiziente Altanlagen und sparten dadurch viel Kohlendioxid
ein. Die beiden Vorzeigemeiler von Nakoso und Hirono zum Beispiel
verwandeln mit ihrer sogenannten integrierten Kohlevergasung
([2][Integrated Gasification Combined Cycle, IGCC]) die Kohle vor der
Verbrennung in ein Gas und holen dabei 46 bis 48 Prozent der Energie
heraus, bis zu 10 Prozentpunkte mehr als deutsche Steinkohlemeiler. Dadurch
sinkt die ausgestoßene Menge an CO2 gegenüber konventionellen Anlagen um
bis zu 15 Prozent.
Bis 2030 soll die Hälfte aller japanischen Kohlekraftwerke ähnlich wirksam
arbeiten, so dass Japan sein Pariser Klimaziel trotzdem erreichen kann.
Diese Überlegung bringt Satoshi Onoda, Präsident von Jera, Betreiber der
Hälfte aller fossilen Kraftwerke in Japan, mit einem Wortspiel auf den
Punkt: „Wir machen einen Unterschied zwischen einer kohlefreien und einer
kohlenstoffarmen Gesellschaft.“
## Klimaschützer zeigen Alternativen auf
Doch es ginge auch anders: Bereits im November 2018 legten die
Klimaschützer von Kiko Network einen Plan vor, wie Japan binnen zwölf
Jahren ganz aus der Kohle aussteigen könne. Der Schwerpunkt der
Energieversorgunug soll danach auf saubereres Flüssiggas sowie Solar- und
Windkraft wandern. Doch die Regierung zeigt bei den Erneuerbaren wenig
Enthusiasmus. Ihr Anteil am Strommix soll von heute 16 Prozent bis 2030 nur
auf 22 bis 24 Prozent zunehmen. „Wegen der hohen Bodenpreise ist Solarstrom
in Japan in der Produktion doppelt so teuer wie in Deutschland“, erklärt
der Energieexperte Masa Sugiyama von der Universität Tokio.
Dennoch konnten Japans Klimaschützer bereits Erfolge erzielen: Von 50
Projekten für neue Kohlemeiler sind in den vergangenen drei Jahren 13
aufgegeben worden. Gegen jeweils zwei Großkraftwerke in Kobe und Yokosuka,
die noch im Bau sind, haben Bürgergruppen Klage erhoben. Zudem wollen die
drei größten Lebensversicherer für Kohlekraftwerke keine Policen mehr
ausstellen.
9 Mar 2020
## LINKS
[1] /Gerichtsprozess-um-Atomkatastrophe/!5627626
[2] https://kraftwerkforschung.info/kohlevergasung-mit-co2-abtrennung-igcc/
## AUTOREN
Martin Fritz
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Kohle
Fukushima
Japan
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Japan
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