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# taz.de -- Tierfutter und Klimaschutz: Scheiße fressen fürs Klima
> Vegetarier ekeln sich oft vor dem fleischlastigen Futter ihrer Hunde und
> Katzen. Aber wäre es möglich, Haustiere auf pflanzliche Nahrung
> umzustellen?
Bild: Die perfekte Beute – leicht zu jagen, sieht super aus und ist gesund: P…
Außer für Pandas, die sich auch in Freiheit gerne von Bambussprossen
ernähren, ist eine vegetarische Ernährung für Raubtiere ein frustrierender
Gedanke. Aber wenn Hunde- oder Katzenhalter anfangen, sich vegetarisch zu
ernähren, möchten sie nicht gerne weiterhin täglich ekelhaft riechenden
Pansen, blutige Leberstücke oder glitschige Lammlachsstreifen für ihre
Lieblinge zubereiten. Sie entwickeln einen Ekel vor Fleisch und Fisch,
während ihre Hunde und Katzen sich umgekehrt eher vor vegetarischem Essen
ekeln, wie ich selbst herausfand und immer mal wieder teste.
Ich kenne jedoch einen Hund, der in einem schwedischen Ashram lebt und sich
primär von Gurken ernährt. Allerdings entwickelt er gelegentlich Heißhunger
auf Maulwürfe und überfahrene Tiere. Andere Hunde kompensieren ihren
Fleischmangel, indem sie menschliche Scheiße fressen.
Der Spandauer Fischzüchter Benjamin Wohlfeld hat mal junge fleischfressende
Piranhas auf pflanzliche Ernährung umerzogen, indem er sie zu erwachsenen
Piranhas ins Becken setzte, die sich vegetarisch ernährten. Dort mussten
sie sich notgedrungen von deren Scheiße ernähren. Irgendwann hatten sie
genug Pflanzen verdauende Bakterien im Magen – und konnten als Vegetarier
überleben. Ähnliches gelang amerikanischen Offiziersbarschforschern und
Forellenzüchtern, die ihre Fische mit Pellets ernährten, die komplett aus
Pflanzen – Soja, Leinsamen, Pistazien und Algen – bestanden.
Allerdings gilt dabei: „Je weniger tierische Zusätze im Futter sind, desto
komplexer müssen die Mischungen sein,“ sagt Bert Wecker vom
Aquakultur-Anlagenbauer „Neomar“. Die Tierärztin Britta Dobenecker vom
Lehrstuhl für Tierernährung an der Universität München sagte in einem
Interview mit der Süddeutschen Zeitung, das gelte auch für die
Landraubtiere Katze und Hund.
Die Versorgung mit allen Nährstoffen sei bei vegetarischem Futter weitaus
schwieriger als bei Fleisch. Eine vegane Ernährung ohne Milch und Eier sei
überhaupt nicht möglich. Hunde würden manchmal von einer Umstellung auf
vegetarisches Futter „sogar profitieren“. Sie seien zwar „Fleischfresser�…
aber mit der „Tendenz zum Allesfresser“. Katzen hingegen sollten lieber
„Fleischfresser“ bleiben, da sie „eine vegetarische Ernährung keinesfalls
vertragen“ würden.
## Vegetarischer Placebo-Effekt
Britta Dobenecker zeigte sich skeptisch gegenüber den bisherigen Studien
über vegetarisch ernährte Haustiere, weil dafür nur wenige Tiere dabei
untersucht wurden. Zudem komme es bei den Haltern von vegetarisch ernährten
Tieren möglicherweise zu einem Placebo-Effekt: „Wer davon überzeugt ist,
dass fleischloses Futter seinem Hund besser bekommt, auf den wirkt das Fell
des Tieres womöglich dichter und glänzender.“
Bei Katzen hilft manchmal ein anderer Selbstbetrug, angefangen bei ihren
Besitzern. Zum Beispiel, wenn sie das Feuchtfutter „Multifit Ragout“ von
der Marke „Fressnapf“ kaufen, das Kaninchenfleisch enthalten soll. Tester
der Stiftung Warentest fanden heraus, dass sie gar kein Kaninchen
enthalten, doch die Katzen scheinen es dennoch gerne zu fressen.
Insgesamt wurden für die Studie 25 Katzenfutter-Sorten analysiert. Dazu
heißt es auf ihrer Webseite: „Gleich sechs Feuchtfutter im Test sind
mangelhaft. Sie enthalten zu wenig oder zu viel der Schlüsselnährstoffe für
Katzen wie Fett, Eiweiß, Vitamine und Mineralstoffe. Jedes zweite Produkt
enthält zu viel Phosphor. Das kann möglicherweise den Nieren der Katze
schaden. Chronische Nierenerkrankungen sind häufig und nicht heilbar. Eine
günstige Kalziummenge kann zu viel Phosphor ausgleichen, doch nur fünf der
phosphorreichen Produkte bieten sie. Fünf Futter überschreiten die
Höchstmenge an Natrium.“
Mit anderen Worten: Auch das den Katzen angebotene Fleisch in Dosen ist
selten gesund. Meine zwei Katzen sehen das auch so, wie ich glaube.
Wirklich scharf sind sie nur auf Fliegen oder Motten. Wobei es natürlich
sein kann, dass der Witz an diesen lebenden Fluginsekten darin besteht,
dass sie nicht in einer Schale liegen, sondern mit einiger Ausdauer über
Tische und Schränke gejagt werden müssen. Da leuchten ihre Augen. Katzen
und Hunde sind Jäger. Sie freuen sich über jede Jagd, auch wenn sie
erfolglos war, wie der US-Autor Mark Rowlands in seinem schönen Buch „Der
Philosoph und der Wolf“ (2009) schreibt.
Ernährungsphysiologisch hat die lange Domestikation des Hundes laut
Tierärztin Britta Dobenecker Spuren in seinem Verdauungstrakt hinterlassen:
„Stärke ist ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Ernährung und
Hunde können sie deutlich besser verdauen als Wölfe.“ Dessen ungeachtet
gelte für Hunde aber noch immer, dass sie „in vielen Fällen Nährstoffe aus
pflanzlichen Quellen schlechter verwerten als aus tierischen“.
## Können Haustiere den Kapitalismus verstehen?
In Franz Kafkas Erzählung „Forschungen eines Hundes“ denkt der Hund über
die Ursprünge seiner Nahrung nach. Er geht davon aus, dass die Lebensmittel
von oben kommen. Aus der Luft gewissermaßen – so wie es bereits die alte
Menschheitsidee nahelegte, dass alle guten Dinge von Gott kommen – was oft
quasiwissenschaftlich oder theologisch begründet wurde. Obwohl die
„Forschungen“ des Hundes also nur angestellt wurden, um die Herkunft des
Hundefutters vom Herrn (Herrchen) zu klären, wird dieser ausgeklammert.
Vielleicht kann eine Geschichte des Marxisten Alfred Sohn-Rethel diese
Forschung erhellen: „Gesetzt den Fall, wir gehen mit unserem Hund in einen
Fleischerladen, alles was dort geschieht, versteht auch der Hund. Das
Deuten auf dieses oder jenes Fleischstück, dass und wie der Schlachter die
Portionen abwiegt, einpackt, uns rüberreicht usw.
Aber wenn wir dann das Geld aus dem Portemonnaie nehmen, es abzählen und
die Ware damit ‚bezahlen‘ – das versteht der Hund nicht. Da beginnt die
‚Realabstraktion‘ des Kapitalismus, in der der Warenverkehr den nexus rerum
der Gesellschaft bildet, der ein rein abstrakter Zusammenhang ist.“ Und für
den Hund deswegen nicht zu ergründen ist.
Ganz anders ist es, wenn wir mit dem Hund in einen Gemüseladen gehen: Der
Händler packt den Salat ein und reicht sie dem Herrchen über den Tresen. An
diesem Punkt denkt der Hund: Warum kauft der so einen Scheiß?“ Oder, wenn
er bereits vegetarisch umerzogen wurde: „Warum denn schon wieder dieser
Scheiß?“ Da nützt auch keine wissenschaftliche Erkenntnis, dass die
Unterschiede zwischen Pflanzen und Tieren gering sind oder das Erbgut von
Bananen und Menschen zur Hälfte identisch ist.
„Gesetzt den Fall“, schreibt die feministische US-Biologin Donna Haraway,
„eine Wildkatze hinterlässt Junge, die von einem Haushalt bestehend aus
überqualifizierten, wissenschaftlich ausgebildeten Kriegsgegnern mittleren
Alters aufgenommen werden, oder von einer Tierwohlfahrtsorganisation, die
eine Ideologie zum Schutz des Wilden und Tierrechte propagiert: Wird das
Tier bei ihnen garantiert glücklich werden, wo die Wildheit doch unsere
ganze Hoffnung ist?“ Ja, das ist die eigentliche Frage hier, und sie lässt
sich zufriedenstellend nur individuell beantworten. Es gibt ja die
seltsamsten Geschmäcker – auch bei Hunden und Katzen.
21 Sep 2019
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Vegetarismus
Haustiere
Katzen
Ernährung
Donna Haraway
Franz Kafka
Schwerpunkt Klimawandel
Nahrungsmittel
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Schwarz-rote Koalition
Laos
Hunde
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