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# taz.de -- Außergewöhnliches Berliner Food-Museum: Was man alles essen kann
> Eine kulinarische Entdeckung: Im frisch eröffneten „Disgusting Food
> Museum“ kann man überprüfen, was man beim Essen eklig findet.
Bild: Tolle Sachen, die man alle essen kann
Berlin taz | Die Eintrittskarte in das neue „Disgusting Food Museum“ ist
eine Kotztüte. Für den Fall der Fälle. Museumsleiter Martin Völker sagt, er
habe diese jedoch noch nicht einmal im Einsatz gesehen. Was vielleicht aber
auch daran liegen mag, dass die sogenannte Tasting-Bar, an der man
vermeintlich ekliges Essen endlich mal nicht nur betrachten, sondern auch
probieren kann, wegen Corona noch geschlossen ist.
Stattdessen gibt es für Museumsbesucher aktuell ein wenig Ekel für daheim.
Man bekommt etwa getrocknete Heimchen und Mehlwürmer, Milbenkäse und
isländischen Stinke-Hai mit auf den Weg, nicht gerade Grundnahrungsmittel
in Deutschland.
Doch wenn man die Esswaren tatsächlich probiert, passiert eigentlich
nichts. Die Insekten kann man so gut wegsnacken wie Chips, der Milbenkäse
geht auch. Und der fermentierte Hai schmeckt halt ziemlich intensiv nach
Fisch. Was zuerst wie eine Mutprobe erscheint, entpuppt sich als Tasting
von irgendwie interessant schmeckenden Nahrungsmitteln. Und die Kotztüte
kann getrost zugefaltet bleiben.
Etwas probieren, das eklig aussieht oder riecht und von dem man denkt, dass
es deswegen auch nur eklig schmecken kann, um dann festzustellen, dass es
so schlimm gar nicht ist – das gehört mit zu den Lerneffekten, die Martin
Völker mit seinem Museum erreichen möchte. „Alles, was einem fremd
erscheint, hält man erst einmal für ekelhaft. Wir wollen, dass man sich auf
das Fremde, das ekelhaft erscheinen könnte, einlässt“, sagt er. Es gehe
darum, durch Kultur und Milieu geprägte „kulinarische Scheuklappen zu
erkennen. Und sie vielleicht abzulegen.“
## Nicht nur Schockwirkung
Wer nun also denkt, das „Disgusting Food Museum“, das mit seinen 90
Exponaten eine Weltreise durch ungewöhnlich erscheinende Essgewohnheiten –
in China essen sie Hunde! – diverser Länder und Kulturen anbietet, sei vor
allem ein auf Schockwirkung ausgelegtes Horrorkabinett, der irrt. Es ist
eher eine klug und mit Bedacht angelegte Bildungseinrichtung, ein
ethnologisches Museum zum Thema Essen, das versucht, den eigenen Geschmack
und das kulturell antrainierte Gefühl für Ekel neu zu justieren.
„Es soll darum gehen, die Nahrungsmittelvielfalt breiter kennenzulernen“,
sagt Völker. Vermeiden möchte er dabei einen Wettbewerb der Art: was
schmeckt am schlimmsten. Oder in welchem Land werden die schlimmsten Dinge
gegesen. Eher geht es darum, auch mal zu hinterfragen, warum man selbst
Dinge isst, die vielleicht noch um einiges ekliger sein mögen als das so
kurios anmutende Zeug, das anderswo geliebt wird.
Und zu welchen Ressentiments beispielsweise das Klischee führen kann, dass
die Chinesen angeblich alles essen, was sich bewegt, hat gerade mal wieder
die Coronapandemie gezeigt. Covid-19 sei durch den Verzehr einer
Fledermaussuppe vom Tier auf den Menschen übertragen worden, lautet ein
hartnäckiges Gerücht. Was nachweislich nicht stimmt. Die Chinesen aber
irgendwie als kulinarisch und möglicherweise auch sonst unterentwickelt
erscheinen lässt.
## Ekel vor der Stopfleber
Wenn man nun aber in einem der Filme, die in dem Museum in Mitte gleich um
die Ecke vom Checkpoint Charlie gezeigt werden, sieht, wie die auch in
Deutschland als Spezialität gehandelte Gänsestopfleber entsteht, fragt man
sich schon, wie man diese nicht ziemlich eklig finden kann. Eklig zudem im
Sinne von: So etwas unter geradezu barbarisch erscheinenden Umständen
Entstandenes sollte es eigentlich gar nicht geben.
Wie den Gänsen über einen Trichter eine Mastpampe in den Magen gepumpt
wird, damit diese eine übergroße und kranke Leber entwickeln, die dann in
die Delikatessenabteilungen verschickt wird, das erscheint wirklich
ziemlich schockierend. „Man sieht bei uns auch das, was man normalerweise
an der Theke ausblendet. Ist man bereit, für seinen Genuss solche Bilder in
Kauf zu nehmen? Diese Fragen sind für uns entscheidend“, sagt Völker dazu.
Und dass die gezeigten Bilder noch harmlos seien. Die Zwangsmästung von
Gänsen könne noch um ein Vielfaches unschöner und drastischer gezeigt
werden als in seinem Museum.
Dort bekommt man aber schon eine ganze Menge Dinge gezeigt, die einem aus
den unterschiedlichsten Gründen den Magen umdrehen könnten bei dem
Gedanken, diese auch probieren zu müssen. Chinesischer Reiswein, in dem ein
paar Tage alte Babymäuse ertränkt wurden, etwa: sieht wirklich nicht so
lecker aus.
## Waldig-angenehmer Bibergeil
Die Macher des „Disgusting Food Museum“ im schwedischen Malmö hatten Martin
Völker, der nun den Berliner Ableger leitet, aufgetragen, sich selbst durch
das ausgestellte Nahrungsangebot zu testen. Der spezielle chinesische
Reiswein habe zwar einen starken “Benzingeschmack“, sei aber trinkbar, sagt
er ganz trocken. Zum schwedischen Bibergeil, einem hochprozentigen Schnaps,
für den die Analdrüse eines Bibers in Alkohol eingelegt wurde, fällt ihm
ein, der schmecke „waldig und sehr angenehm“.
Um zu demonstrieren, dass Bibergeil aber gar kein abartiges Getränk
ausschließlich für Schweden ist, wird dieser auch in einer deutschen
Variante im Museum präsentiert. Eine Manufaktur in Brandenburg stellt den
eigentümlichen Schnaps ebenfalls her.
Angebrütete Eier. Hahnenkämme. Madenkäse aus Sardinien, bei dem man live
beobachten kann, wie das Getier gerade die geronnene Milch geschmacklich
weiter verfeinert. Bullenhoden. Und Bullenpenis. Alles da bei dieser
kulinarischen Weltreise für die Augen – und bei der Vitrine mit den
verschiedenen Sorten von Stinkekäsen auch für die Nase.
Völker wird beim Rundgang durch das Museum nicht müde, weiter zu betonen,
dass die Exponate nicht dazu dienen sollen, andere Essgewohnheiten noch
stärker zu exotisieren. Im Gegenteil. „Der Blick soll nicht auf andere,
sondern auf uns selbst gerichtet werden“, sagt er. Klar, es möge für uns
komisch wirken, dass in manchen Gegenden der Welt gerne Bullenpenisse
gegessen werden. Aber dann weist er auf das sogenannte Berliner Schnitzel
hin, das für Leute mit kleinem Geldbeutel erfunden wurde. Für dieses werden
Kuheuter in Scheiben geschnitten, gekocht und paniert.
Die Frage, was nun ekliger zum Mittagessen ist, kann sich jetzt jeder und
jede selbst beantworten: Bullenpenis oder panierter Kuheuter?
29 Jul 2021
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Nahrungsmittel
Ekel
Kulturgeschichte
Essen
Japan Comics
Brei
Geruch
Kolumne Ungenießbar
Vegetarismus
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