# taz.de -- Sozialpsychologin über Gerüche: „Nichts ist authentischer“ | |
> Unser Bauchgefühl sitzt in der Nase, sagt Bettina M. Pause. Warum Angst | |
> ansteckend ist, Glück aber auch – und wir mit Parfüm nicht schummeln | |
> können. | |
Bild: Auch Gerüche sind Informationen | |
taz am wochenende: Frau Pause, Sie erforschen seit Jahren den Zusammenhang | |
von Geruch und Emotion und haben herausgefunden, dass unser Bauchgefühl | |
eigentlich in der Nase sitzt. Was heißt das konkret? | |
Bettina M. Pause: Wir Menschen tauschen andauernd viele subtile geruchliche | |
Informationen aus, allerdings in so schwacher Konzentration, dass sie uns | |
nicht bewusst sind. Dieses Phänomen heißt chemische oder chemosensorische | |
Kommunikation. Über Moleküle wird der Gesundheitszustand vermittelt, was | |
und wann ich gegessen habe, mein Hormonzustand, Östrogen- und | |
Testosteronstatus, also der sexuelle Motivationsstatus – aber vor allem | |
eben Emotionen wie Angst, Stress, Aggression oder Ekel. Auch Glück und | |
andere positive Gefühle kommunizieren wir vermutlich ständig auf diese Art. | |
Und das hat Effekte auf unser Gegenüber. | |
Welche denn? | |
Wenn ich zum Beispiel unterschwellig Angstgeruch ausstrahle, wird bei | |
meinem Gegenüber automatisch die Sensibilität für Angstgesichter geschärft | |
und für Freudegesichter reduziert. In einer Gefahrensituation bereiten uns | |
die Angstsignale der anderen in unserer Gruppe auf Stress vor, bevor wir | |
überhaupt wissen, was los ist. Emotionen sind ansteckend, das hat etwas mit | |
einer Urversion von Empathie zu tun. Das kennen wir auch von fast allen | |
Tierarten, sogar Insekten. | |
Im Gegensatz zu Tieren können wir uns immerhin parfümieren, damit der | |
Angstgeruch weniger auffällt. | |
Ich könnte natürlich versuchen, mit einem Parfüm den Körpergeruch zu | |
überdecken. Die Drüsenaktivität wird so aber nicht verändert. Was ich dann | |
vermittle, ist: Ich bin ängstlich und zusätzlich noch eine Rose. Die | |
Rosen-Information wird als irrelevant vom Organismus eingestuft, das ist, | |
als würden wir uns am Rosenbeet treffen. Es bleibt die relevante | |
Information: Ich bin ängstlich. | |
Ist es denn trotzdem irgendwie möglich, den eigenen Körpergeruch zu | |
beeinflussen? | |
Ja, und das ist kein Hokuspokus. Da die chemische Kommunikation stark | |
unterbewusst abläuft, bringt es nichts, die wahrnehmbaren Gerüche zu | |
verändern. Sie sind sogenannte Ehrlichkeitssignale, die kann der Sender | |
nicht verfälschen. Wenn man stattdessen versucht, sein Verhalten zu ändern, | |
sendet man auch ganz andere Signale aus. Das merkt man, wenn man zum | |
Beispiel häufiger mal lächelt: Toll, die Menschen reagieren ja ganz anders | |
auf mich. Irgendwann reduziert sich dann auch die Angst. | |
Am Telefon fällt die chemische Kommunikation weg. Wir beide werden nie | |
wissen, ob wir uns riechen können. | |
Wenn wir einen anderen Menschen weniger gut kennen, kann der Verzicht auf | |
eine echte Begegnung jedenfalls stärkere Konsequenzen haben. Je länger wir | |
den Menschen kennen, desto geringer wird die Gefahr, dass wir am Telefon | |
etwas falsch verstehen, weil wir ja auch andere subtile Signale sehr gut | |
einschätzen können. | |
Und dann tragen wir seit einem Jahr [1][auch noch ständig Masken]. | |
Erschweren die also nicht nur die auditive und mimische Kommunikation, | |
sondern auch die geruchliche? | |
Ja, einige Moleküle werden von der Maske absorbiert und der Luftfluss, der | |
die Gerüche zur Nase bringt, ist deutlich geringer. Beim Tragen einer | |
OP-Maske wird die Fähigkeit, Gerüche in schwacher Konzentration | |
wahrzunehmen, deutlich reduziert. Das Tragen einer FFP2-Maske löscht die | |
Geruchswahrnehmung fast vollständig aus. | |
Im Sommer ist Bundestagswahl. Hätten wir einen anderen Eindruck von den | |
PolitikerInnen, wenn wir sie riechen würden? | |
Wenn ich jemanden nur im Fernsehen sehe, weiß ich nicht, ob er authentisch | |
ist. Denkt, lebt und fühlt er, was er vermittelt, oder macht er das, weil | |
er Karriere machen will oder unter Handlungsdruck steht? Der chemische | |
unbewusste Geruch ist ein Merkmal der Authentizität. Er ist in der sozialen | |
Kommunikation das einzige, auf das wir uns wirklich verlassen können. Bei | |
Bundestagswahlen oder Landtagswahlen oder auch in großen Städten muss ich | |
so auf die wichtigsten Signale verzichten. | |
Sie schreiben in Ihrem Buch auch, dass Menschen besser riechen können als | |
die meisten Tiere, wahrscheinlich sogar als Hunde. Das fiel mir erst mal | |
schwer zu glauben. | |
Wir haben eben immer noch die Behauptungen von Aristoteles, Platon und Kant | |
im Kopf, dass Menschen keine Geruchstiere sind. Und Anfang des 20. | |
Jahrhunderts gab es zwar erste Studien eines holländischen Militärarztes, | |
aber damals hat man für gewöhnlich gerade mal vier oder fünf Leute | |
untersucht. Da sind dann halt irgendwelche Zahlen rausgekommen – dass der | |
Mensch nur 10.000 Gerüche unterscheiden kann, steht bis heute in den | |
Lehrbüchern. In Wahrheit sind es in etwa eine Billion. | |
Gibt es noch mehr neue Erkenntnisse? | |
Ein Argument war lange, unser Riechhirn sei kleiner als beim Hund. Das ist | |
wie früher, als man sagte: Frauen haben ein kleineres Gehirn, die brauchen | |
wir gar nicht erst zur Uni zulassen. Aber es kommt nicht auf die Größe an, | |
sondern auf die Verschaltungen. Mittlerweile wissen wir, dass die Anzahl | |
der Nervenzellen im Geruchshirn bei fast allen Säugetieren etwa gleich groß | |
ist. Wir denken zwar, dass wir alles nur kognitiv steuern. Vermutlich ist | |
aber das Gegenteil der Fall. | |
Hunde sind in der Lage, Brustkrebs, Diabetes [2][und Covid-19-Infektionen | |
zu erschnüffeln]. Können wir Menschen das auch? | |
Ich gehe davon aus, aber das wird eben nicht probiert. Dabei gehörte die | |
Geruchsdiagnose bis Ende des 19. Jahrhunderts zur ärztlichen Diagnostik, | |
etwa, um Stoffwechselerkrankungen zu erkennen. Schwedische Kollegen um Mats | |
Olsson haben Probanden einer Studie ganz schwach mit bakteriellen | |
Abbauprodukten infiziert und ihnen vorher und anschließend Schweißproben | |
entnommen. Andere Studienteilnehmende, die dann an beiden Proben gerochen | |
haben, sagten tatsächlich, der Schweißgeruch, der während der | |
Mikroinfektion entnommen wurde, rieche ungesünder und negativer. In der | |
Folge distanzieren wir uns automatisch, um eine Übertragung der Krankheit | |
zu reduzieren. | |
Ungesünder und negativer, das klingt einigermaßen vage. Fehlen uns bei der | |
Beschreibung von so detaillierten Gerüchen vielleicht auch einfach die | |
Worte? | |
Ja, eindeutig. Gerüche entziehen sich der Klassifikation und der | |
Vergleichbarkeit innerhalb eines Ordnungssystems. Der gleiche Geruch | |
bedeutet in unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Dinge. Das kann er | |
nur, indem er neutral in die Welt kommt. Im Riechhirn werden Gerüche auch | |
nicht nach chemischen Eigenschaften sortiert, sondern ob sie angenehm sind | |
oder nicht. Der Kontext ist dann das entscheidende – denke ich bei | |
Nelkengeruch an den Zahnarzt oder an Glühwein? Es macht also keinen Sinn, | |
Gerüche zu klassifizieren, weil wir sie individualisiert und mit | |
Erinnerungen verknüpft wahrnehmen. | |
Ein Pheromonspray, das mich unwiderstehlich macht, ist also völlig | |
unrealistisch? | |
Natürlich sind da nach wie vor einige Wissenschaftler dran, aber ich sehe | |
nicht, dass so etwas in den nächsten Jahren auf den Markt kommt. | |
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass hauptsächlich männliche Forscher danach | |
gesucht haben. | |
Genau, das geht zurück in die 60er, 70er und 80er, als hauptsächlich Männer | |
forschten. Mit vermeintlichen Pheromonen, die beim Wildschwein gewirkt | |
haben, aber eben nicht bei der Frau, wurde die ein oder andere Studie | |
veröffentlicht, das war eine richtige Welle. Und sobald so was in der | |
Literatur ist, denken alle, das sei spannend. Dabei gab es schon Ende der | |
90er eigentlich die Feststellung, dass das alles Quatsch ist. | |
Mal abgesehen von der Forschung – hilft mir das Wissen um chemische | |
Kommunikation denn auch im Alltag? | |
Ja, denn so kann man sich vor schlechten Entscheidungen schützen. Dafür ist | |
chemische Kommunikation, die sich im Bauchgefühl äußert, eben der | |
Königsweg. Nur dort werden Informationen unverfälscht übermittelt. Dieser | |
Mechanismus hat sich über Jahrmillionen ausgebildet und ist extrem | |
intelligent. Bei privaten und beruflichen Entscheidungen würde ich deshalb | |
empfehlen, diese Signale nicht abzutun. | |
Ich sollte also öfter mal auf mein Bauch-, äh, Nasengefühl hören. | |
Unbedingt! Sich der chemischen Einflüsse um uns herum bewusst zu sein, kann | |
so viele positive Effekte haben. Wir wissen zum Beispiel seit Kurzem, dass | |
Menschen, die besser riechen können – also ein besseres Verarbeitungssystem | |
für chemische Stoffe oder Moleküle haben – empathischer sind und dadurch | |
ein größeres soziales Netzwerk haben. Und wer ein besseres soziales | |
Netzwerk hat, wird seltener krank und lebt länger. | |
21 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Marius Ochs | |
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