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# taz.de -- Hunde riechen Covid-Infizierte: Feine Nase gegen das Virus
> Ein deutsches Pilotprojekt wies 2020 nach, dass Spürhunde
> Corona-Infizierte erschnüffeln können. In Deutschland fehlt es aber an
> politischem Willen.
Bild: Der English Springer Spaniel „Floki“ lernt, eine Covid-Infektion zu e…
Die Trainingsmaschine sieht aus wie eine überdimensionale Käsereibe.
Metall, unterbrochen von großen Löchern, hundeschnauzengroßen Löchern,
um genau zu sein. Denn eben diese Schnauzen passen hier rein, wie
Cockerspaniel Joe Anfang Februar in der Tierärztlichen Hochschule Hannover
(TiHo) unter Beweis stellt.
Joe ist eigentlich Leichenspürhund bei der Polizei und wurde im Rahmen
einer Kooperation zwischen TiHo Hannover und der Diensthundeschule der
Bundeswehr zur Coronadetektion ausgebildet. Seine Vorführung lässt sich in
Videos der anwesenden Presse beobachten. Und auch der Ehrengast der
Veranstaltung hat [1][einen eigenen Clip auf Facebook hochgeladen]: Stephan
Weil (SPD), niedersächsischer Ministerpräsident, der sich hier ein Bild von
dem Pilotprojekt machen will.
In Windeseile prüft der kleine schokobraune Hund die sieben Löcher und
steckt seine Schnauze dann in eines davon. Das heißt, hier riecht er
Corona. Zumindest fast, denn das Virus selbst hat vermutlich keinen Geruch.
Es müsste daher heißen: Joe riecht das, was Corona mit den menschlichen
Zellen macht. Die Forscher:innen vermuten, dass der Hund die
Veränderungen im Stoffwechsel der Zelle riecht, den sich das Virus zunutze
macht. Steckt er seine Nase lang genug, sprich zwei Sekunden, in das
richtige Loch, belohnt ihn die Maschine mit einem Leckerli, während die
Proben zufällig neu sortiert werden.
Mit dieser Trainingsmethode hat die Forschungsgruppe [2][eine Erfolgsquote
von 94 Prozent erreicht]. Und das nach nur einer Woche Training. Selbst
asymptomatisch Infizierte sollen die Hunde erkennen können. Schon im Sommer
wies das Hannoversche Forschungsteam [3][in einer Pilotstudie] mit acht
Diensthunden der Bundeswehr nach, dass Hunde zwischen Speichel von
infizierten und nichtinfizierten Menschen unterscheiden können.
## Fast hundertprozentige Erfolgsquote
Aktuell versuchen die Wissenschaftler:innen, ihre Ergebnisse auch mit
anderen Körperflüssigkeiten zu reproduzieren. Denn international
eingesetzte Coronaspürhunde schnüffeln nicht nur an Speichel, sondern auch
an Urin und vor allem an Schweiß. Das macht das Testverfahren leichter und
sicherer: Einmal mit einem Wattepad über den Arm streichen, fertig ist die
Probe. Ein direkter Kontakt zwischen Hund und Mensch ist nicht nötig. Ein
Pilotprojekt am Helsinki Airport kam mit dieser Methode auf eine fast
hundertprozentige Erfolgsquote.
Und hierzulande? „Wir waren die Ersten, die das wissenschaftlich in
irgendeiner Form dargestellt haben“, sagt Sebastian Meller von der TiHo
Hannover, der wissenschaftlicher Mitarbeiter des deutschen
Forschungsprojekts ist. Aber der politische Wille, diese Ergebnisse in die
Praxis umzusetzen, sei träge. Tatsächlich: Was die Hunde leisten, findet in
Presse und Gesellschaft nur kurzzeitig Anklang.
## Umgesetzt wird es in Deutschland nicht
In der Pandemiebekämpfung realisiert wird es nicht. Die Bundeswehr ist zwar
in das Pilotprojekt involviert, ein Einsatz ihrer Diensthunde im Inland
außerhalb der Forschung ist aber nicht geplant. Eher noch könnten externe
Hunde in der Diensthundeschule der Bundeswehr trainiert werden, schreibt
Oberstleutnant Ulrich Fonrobert auf Anfrage der taz. „Aber das ist
Konjunktiv und Zukunftsmusik.“ Auch im Bundesinnenministerium gibt es
aktuell keine Pläne, die Diensthunde der Polizei entsprechend umzuschulen,
heißt es auf Anfrage der taz.
Immerhin: Ministerpräsident Weil kann sich den Einsatz solcher Hunde an
Flughäfen, Schulen oder in Restaurants vorstellen, sagt er der anwesenden
Presse Anfang Februar. Auch Veranstalter, die sich vom Schnelltestsystem
Hund neue Öffnungskonzepte erhoffen, etwa für Konzerte, sind gekommen. Weil
verweist bei dem Termin darauf, dass es zunächst eine Machbarkeitsstudie
brauche, also einen ersten Testlauf für den Einsatz von Spürhunden in der
Praxis. Da gilt es einiges zu beachten: Hunde haben zum Beispiel eine kurze
Aufmerksamkeitsspanne, brauchen dementsprechend viele Pausen und
Erfolgserlebnisse, um bei der Sache zu bleiben.
## Interesse der Öffentlichkeit umso größer
So eine Machbarkeitsstudie plant das Forschungsteam seitdem in Kooperation
mit der Veranstaltungsagentur Hannover Concerts. Aber wieder fehlt der
politische Funke: „Um eine solche Studie durchzuführen, brauchen wir das Go
von der Politik und könnten dies finanziell ohne Unterstützung auch gar
nicht stemmen“, sagt Meller. Man sei mit der Region Hannover im Gespräch.
Dafür scheint das Interesse der Öffentlichkeit umso größer zu sein.
Täglich erhalte die Klinik Anfragen von Institutionen, die sich für die
Hunde als zusätzliche Testmethode interessierten, heißt es in einem
aktuellen Artikel des National Geographic. „Wenn der politische Wille und
das Interesse daran so stark wären wie bei den Antigentests, könnten wir
morgen schon durchstarten“, wird Holger Volk, Leiter der Klinik für
Kleintiere der TiHo, dort zitiert.
## „Hunde werden nicht ernst genommen“
Sebastian Meller frustriert das: Bei Schnelltests werde die Zuverlässigkeit
kritisiert, trotzdem würden sie „einfach auf den Markt geworfen“, während
die Erprobung alternativer Testverfahren, wie eben der Geruchssinn des
Hundes, sehr lange bräuchten. „Hunde werden nicht ernst genommen“, sagt er,
„es erscheint im Gegensatz zu einem konventionellen Testkit abstrakt, in
einer Weltgesundheitskrise schwanzwedelnden Vierbeinern eine für die
Einzelperson möglicherweise tief in den Alltag eingreifende Entscheidung
zuzumuten.“
Diese Skepsis kennt auch Uwe Friedrich. Der Hundetrainer war 2012 an einer
Studie beteiligt, in der vier Hunde [4][mit hoher Genauigkeit Lungenkrebs
in Proben erkannten]. „Die Ergebnisse, die die Hunde zeigen, sind
überragend – besser als jede andere Detektionsmöglichkeit“, sagt er in
einem Gespräch mit der taz. Fast ein Jahrzehnt später wird dieses Potenzial
von Politik und Medizin aber immer noch weitgehend ignoriert: „Da haben wir
niemals eine Anfrage bekommen.“
## Geht ungenutztes Potenzial verloren?
Dass Hunde für und mit uns arbeiten können, ist eigentlich kein Geheimnis.
Seit Ewigkeiten verlassen wir uns bei der Jagd auf Hundenasen. An Flughäfen
erschnüffeln sie für uns Sprengstoff, Drogen, große Mengen Bargeld und seit
dem Missbrauchsfall in Lügde sogar Datenträger. Und auch bei Krankheiten
vertrauen viele Menschen ihren Vierbeinern.
Assistenzhunde [5][warnen etwa Diabetiker:innen], noch bevor die
Unter- oder Überzuckerung eintritt. Andere erkennen Anfälle im Voraus und
ermöglichen Epileptiker:innen ein sichereres und selbstständigeres
Leben. Trotzdem werden die Kosten für solche Hunde oftmals [6][nicht von
der Krankenkasse übernommen]. Spätestens jetzt, mitten in einer Pandemie,
in der Impftempo und Testkapazitäten zu wünschen übrig lassen, muss man
sich fragen: Geht hier ungenutztes Potenzial verloren?
## Finnland, Dubai, USA
„Wenn man in andere Länder schaut: da wird es einfach gemacht“, sagt
Meller. Seit September werden Covid-19-Schnüffler in Finnland am Helsinki
Airport eingesetzt – als Erste in Europa. In Dubai kontrollieren
umgeschulte Polizeihunde bereits an mehreren Flughäfen im ganzen Land. Auch
in den USA werden Coronaspürhunde eingesetzt.
Schlagen die Hunde auf eine Probe an, heißt es dennoch: Weiter zum Testen,
bitte. „Hunde werden den PCR-Test nicht ersetzen“, sagt Meller, das sei
auch gar nicht der Anspruch. Aber sollten wir nicht alle Testmöglichkeiten
ausschöpfen, die uns zur Verfügung stehen? „Selbst die WHO hat bereits zur
Detektion von Covid-19 durch Hunde ein virtuelles Symposium organisiert“,
sagt Meller.
## Günstiger als Labortests
Fakt ist: Coronaspürhunde sind – wenn sie richtig eingesetzt werden –
zuverlässig, schneller als ein PCR-Test [7][und insgesamt günstiger] als
breit angelegte Labortests.
„Wir können theoretisch morgen mit dem Trainieren beginnen, in der
Zwischenzeit das Veranstaltungsszenario aufbauen, und in einer Woche sind
die Hunde bereit“, sagt Meller. Anschließend müsse man noch mit wenigen
Wochen für die Auswertung der Daten rechnen. Aber: „Was fehlt, ist das
politische grüne Licht.“ Coronaspürhunde sind sicher nicht die Lösung aller
Probleme. Aber sie könnten den Rückweg zu einem Leben außerhalb der eigenen
vier Wände vereinfachen.
7 Apr 2021
## LINKS
[1] https://www.facebook.com/watch/?v=248032763583987
[2] https://www.tiho-hannover.de/index.php?id=7972&L=0&tx_ttnews%5Btt_n…
[3] https://elib.tiho-hannover.de/servlets/MCRFileNodeServlet/tiho_derivate_000…
[4] https://erj.ersjournals.com/content/39/3/669
[5] http://www.assistenzhunde-zentrum.de/index.php/diabetikerwarnhund
[6] /Rueckversicherung-auf-vier-Beinen/!303863/
[7] https://unric.org/en/finland-first-in-europe-to-use-dogs-to-detect-covid-19/
## AUTOREN
Maxie Römhild
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