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# taz.de -- Kunst übers Riechen: Lauter dufte Ausstellungen
> Geruch ist der Sinn der maximalen Nähe. Acht Museen in Bremen und
> Bremerhaven verschaffen ihm jetzt einen fulminanten Auftritt mit zehn
> Ausstellungen.
Bild: Kunst für die Nase: Brian Goeltzenleuchters „Sillage“ in einer Ausst…
Bremen taz | Na, wie riecht es gerade? Gut oder schlecht vielleicht,
blumig, frisch oder muffig – das war’s auch schon fast mit
Geruchs-Adjektiven. Vielleicht riecht es auch nach etwas? Ganz romantisch
nach Druckerschwärze, Kaffee, nach Sonnenlicht auf Holz oder weniger
romantisch nach dem eigenen Atem unter der Maske. So oder so denken wir im
Alltag nicht oft über Geruch nach, höchstens beim Parfumkauf, wenn im Zug
die Klimaanlage ausgefallen ist oder wenn aktuell Menschen ihren
Geruchssinn durch eine Covid-Infektion verlieren. Noch seltener sprechen
wir darüber. Umso besser, dass sich in Bremen gerade zehn Museen dem
verborgenen, lange vernachlässigten Sinn annähern – aus der Perspektive der
Kunst. Die landesweite Ausstellungsreihe „[1][Smell it! Geruch in der
Kunst]“ läuft seit Mai und bleibt teilweise bis Anfang September.
Riechen hat in der westlichen Kulturgeschichte nie ein besonders hohes
Ansehen genossen. Bereits in der Antike musste er sich hinter dem edleren
Sehen und Hören anstellen. In der Aufklärung begann dann sein vorerst
steilster Abstieg: Bei [2][Kant ist Riechen und Ästhetik nicht vereinbar],
weil der gebührende Abstand zum Objekt fehlt. Auch Hegel ist kein Fan.
Das bleibt bis in die 1970er der vorherrschende Tenor: Zu wahrer Kunst muss
man Distanz halten können. Ästhetisches Vergnügen ist abwägend, kühl und
kognitiv. Das konnte der als animalisch und primitiv verschrieene
Geruchssinn nie leisten. Denn er ballert Eindrücke und Emotionen über
Rezeptoren in der Nasenschleimhaut direkt ins Gehirn, ohne langes
Nachdenken und Abwägen. [3][Der einzige prominente Geruchsenthusiast bleibt
lange Nietzsche], der im Geruchssinn eine einzigartige Verbindung zwischen
Körper und Geist sah.
Seit den 1950er-Jahren gibt es allerdings Hoffnung für feine Näschen. Was
Kunst ist, ist mittlerweile deutlich großzügiger definiert als noch vor der
Jahrhundertwende. Zur Malerei, Bildhauerei und Musik gesellten sich neue
Kunstformen wie Performance-Art: Eine Chance für den Geruch, die
Künstler*innen nutzten. Otobong Nkanga thematisiert in ihren Werken
Geruch im Kontext von Kolonialismus, wie in der [4][Installation
„Anamnesis“] von 2018 – und in Deutschland ist [5][Sissel Tolaas] bekannt.
## Riechende Ausstellungswelt
Die in Berlin lebende Künstlerin hat unter anderem den [6][Geruch der
Schlachtfelder im Ersten Weltkrieg für ein Dresdner Museum nachempfunden].
Geruchskunst oder Olfactory-Art hat sich als kleine Kunstform etabliert.
Nachlesen kann man diese interessante Geschichte zum Beispiel im Buch
[7][„Art Scents“ von Larry Shiner].
„Das ist ein Bereich, der mal eine Bühne verdient“, sagt Saskia Benthack.
Sie koordiniert die Ausstellungsreihe „Smell it!“. Deren Ziel sei es
gewesen, die Relevanz des Themas weiter zu stärken. Vor allem „in der sonst
geruchslosen Ausstellungswelt“, sagt die Kultur- und
Kunstwissenschaftlerin.
Die Idee zur Reihe gab es schon seit 2018. So lange hat es gedauert, die
verschiedenen Perspektiven, Veranstaltungen und Ausstellung zu
koordinieren. Einmal musste der Start auch wegen Corona verschoben werden.
Die Anregung kam seinerzeit von Ingmar Lähnemann, dem Kurator der
Städtischen Galerie.
Ergebnis ist ein in dieser Form einzigartiger, landesweiter Cluster von
zehn individuellen Ausstellungen, einer wissenschaftlichen Vortragsreihe
und einem Rahmenprogramm. „Über den Sommer hinweg kann man sich mit ganz
verschiedenen Ideen beschäftigen“, sagt Benthack, „Motor des Projekts waren
die ganz verschiedenen Perspektiven.“
Ergebnis der jahrelangen Planung ist eine wirklich bunte Mischung: Von
schweren Ölgemälden in der Kunsthalle, die einen Fischmarkt zeigen, bis zu
Unschuld in Seifenform im Zentrum für Künstlerpublikationen. Ausgestellt
wird in der Kunsthalle, in der Weserburg, der Städtischen Galerie, dem
Gerhard-Marcks-Haus, dem Paula-Modersohn-Becker-Museum, dem Zentrum für
Künstlerpublikationen, beim Kunstverein Bremerhaven, im Künstlerhaus Bremen
– und das „kek“-Kindermuseum hat Mitmachexponate und Dufthäuser in ganz
Bremen verteilt. Wer will, kann sich durch ganz Bremen riechen – und riecht
danach selbst entsprechend. Denn die Düfte und Aromen bleiben in der
Kleidung hängen. Selbst die Dusche am Abend bekommt sie nicht ganz raus.
Die einzelnen Objekte in den Ausstellungen sind sehr unterschiedlich.
Manchmal wird Geruch von den Künstler*innen rein konzeptionell und
manchmal tatsächlich praktisch verwendet. Das zeigt sich besonders deutlich
im Zentrum für Künstlerpublikationen, dort finden Besucher*innen
beides: Marcel Duchamps „Air de Paris“, eine kleine, durchsichtige
Glasampulle, steht dort gegenüber von kleinen Parfumprobefläschen von Peter
de Cupere. Wer will, kann einen Probeflakon mit einem Tropfen nach Rasen
duftendem Parfum kaufen – „One Drop of Freedom“. Der Erlös wird in Bremen
an die Initiative Fluchtraum gespendet, die jungen Geflüchteten hilft.
Bei der Ausstellung „Macht“ von Luca Vitone in der Weserburg soll es genau
danach riechen – und tatsächlich hängt in der Luft ein staubiger Duft, den
man zuerst nicht bemerkt und der einem dann langsam den Hals zuschnürt. In
den Ausstellungen geht es oft um die unglaubliche, emotionale Kraft von
Gerüchen, wie sie Zeit und Raum transzendieren, und um ihre Flüchtigkeit.
So wie in den wunderschönen fotografischen Stillleben von Barbara Haiduck
mit dem Titel „Les fleurs tristes“. Sie hat Blumensträuße auf Fotopapier
gelegt und sie verrotten lassen. Das empfindliche Papier zeigt nicht nur
den Abdruck der Pflanzen, sondern hält auch eine Aura des Gases um die
Blumen herum fest, das sie beim Verwelken ausstoßen – ein besseres
Vanitas-Bild hat es wohl nie gegeben.
In der Geruchskunst hängen Schönes und Ekliges näher zusammen als beim
Betrachten eines Gemäldes oder einer Skulptur. Das „Ultimate Beneficial
Pipeline Construction System 2.0“ in der Städtischen Galerie von Laura
Pientka sind Keramikröhren, auf die sie Melasse schüttet, die aussieht wie
der Inhalt von Kanalrohren. Die Position wird mit entsprechendem Geruch und
Sound begleitet – vielleicht nicht für erste Dates zu empfehlen, oder
gerade deswegen. Die spanische Philosophin Marta Tafalla ist ohne
Geruchssinn auf die Welt gekommen. Im Artikel „The World Without Olfactory
Dimension“ beschreibt sie, wie das ist. Sie schreibt, dass für sie die Welt
wahrscheinlich weniger hässlich ist, aber auch weniger schön.
## Der Geruch des Kolonialismus
Dass „Smell it!“ gerade in Bremen stattfindet, ist sehr passend. Die
Hansestadt hat lange von Kolonialismus und Handel mit der ganzen Welt
profitiert. Bis vor Kurzem roch es auf der linken Weserseite nach
Schokolade aus der Hachez-Fabrik und bei richtigem Windstand nach
Cornflakes. Geblieben sind die Düfte der Kaffeeröstereien und immer mal
wieder legt sich Bierdunst aus der Beck’s-Brauerei über die City. „Bremen
riecht“, sagt Benthack. Durch die Ausstellung wieder mehr, denn einige
Firmen haben ihre Produktionen mittlerweile verlegt.
„Smell it!“ ist aber ein toller Anlass, um das Bundesland nach langer,
coronabedingter Einigelung wiederzuentdecken – und das nicht nur mit dem
durch Zoom und Homeoffice überstrapazierten Sehsinn. Einziges Problem: die
Masken, die Besucher*innen natürlich weiterhin tragen müssen. Auch wenn
sie getragen werden müssen, lassen sich manche Gerüche schlecht wahrnehmen,
ohne sie kurz zu lüften.
„Smell it!“ hat ungefähr den gleichen Effekt aufs Geruchsvermögen wie ein
Kinobesuch auf das Sehen. Alles riecht schärfer, deutlicher, voller, wenn
man aus den Museen wieder nach draußen kommt. Und, wie riecht es gerade?
20 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.museeninbremen.de/smellit/
[2] https://www.spektrum.de/magazin/die-macht-der-gerueche-eine-philosophie-der…
[3] https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-duftwelten-der-literatur-zimtstras…
[4] https://fieldguidearch.com/portfolio/anamnesis/
[5] https://www.deutschlandfunkkultur.de/duftforscherin-sissel-tolaas-mehr-mut-…
[6] https://www.deutschlandfunkkultur.de/geruchsforschung-im-museum-der-gestank…
[7] https://oxford.universitypressscholarship.com/view/10.1093/oso/978019008981…
## AUTOREN
Lisa Bullerdiek
## TAGS
Geruch
zeitgenössische Kunst
Kunst im öffentlichen Raum
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Kolumne Habibitus
Geruch
Kunst Berlin
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