| # taz.de -- Kulinarische Urlaubsentdeckungen: Sensorische Souvenirs | |
| > Reisen bildet, auch den Mund. Und manchmal sind wir geradezu | |
| > schockverliebt in neue Spezialitäten. Sechs heiße kulinarische | |
| > Urlaubsflirts. | |
| Bild: Der Barman auf Madeira mixt Poncha zusammen | |
| Schokolade der Liebe | |
| „Magst du Schokolade?“, fragt mich Luca, wir kennen uns seit zwei Stunden. | |
| Ich muss lachen, denn Schokolade ist meine Religion. „Dann bestelle ich dir | |
| jetzt Bunet!“ | |
| Es ist Juli 2019 und ich bin gerade in Turin angekommen. Mit italienischen | |
| Kolleginnen und Kollegen organisiere ich eine Sommeruniversität, Luca ist | |
| einer von ihnen. In der Speisekarte lese ich, dass Bunet aus Kakao, Zucker, | |
| Eiern, Milch und Amarettinis besteht, dann bringt der Kellner ein rundes, | |
| puddingartiges Schokoladendessert. Als die Masse meine Zunge trifft, | |
| schließe ich die Augen. Bunet schmeckt nach Schokolade, nach Karamell, nach | |
| Marzipan. Die Sonne wärmt meine Haut, in meinen Ohren vermischen sich die | |
| italienische Worte der anderen mit dem Knattern eines Mofas. | |
| Luca sieht mich erwartungsvoll an. Und ich? Ich bin verliebt. Verliebt in | |
| Bunet und bald auch in Luca. Als ich zwei Monate später die Rückreise | |
| antrete, bleibt Luca in Turin. Mitgekommen ist dafür das Rezept des | |
| piemontesischen Desserts, bis heute schmeckt es nach Sommer und Liebe. | |
| Maike Schulte | |
| ## Farbiges Gemüse | |
| Den Fermentationstrend gibt es nun schon länger. Ich fühle mich im Bilde, | |
| komme ahnunglos nach Istanbul und entdecke: Es gibt dort sogar Läden nur | |
| für eingelegtes Gemüse. Aquarien stehen bis zur Oberkante in Schaufenstern, | |
| manchmal sind es auch Stapel von Goldfischgläsern mit Deckel, darin: | |
| Gurken, Blumenkohl, Spitzpaprika, Rettich, Rote Bete, Oliven, Kohl, | |
| Karotten, Knoblauch … | |
| Und wie es schmeckt! Nicht so deutsch süßdillsauer sondern | |
| scharfknoblauchsauer. Mega. Das muss alles mit. Übernächstes Wochenende | |
| habe ich dreißig Leute zum Grillen da. Die flippen aus, wenn da so ein | |
| Aquarium steht. Kein Problem, sagt der Verkäufer. Schweiß ich dir ein. Darf | |
| nur nicht ins Handgepäck. | |
| Eine Stunde später gehe ich mit vier prallen Plastiksäcken aus dem Laden, | |
| 10 Kilo Mischgemüse, räume im Hotel den Koffer leer und die wabbeligen | |
| Pakete hinein. Ich sehe kaum eine Chance, damit heil in Berlin anzukommen. | |
| Weil die Säcke wegen eines Trampels in der Gepäckabfertigung reißen oder | |
| der Zoll explosive Flüssigkeit vermutet. Garantiert. Auf dem Rückflug | |
| steigt mir auch ein, zwei Mal leicht saurer Duft in die Nase. Aber wissen | |
| Sie was? Die Gäste, die sind tatsächlich ausgeflippt! Jörn Kabisch | |
| ## Die neongelbe Flüssigkeit | |
| So also funktioniert Werbung im Urlaub: Fast unbemerkt, dafür sehr | |
| regelmäßig, materialisierte sich in den Restaurants von Madeira ein | |
| Gläschen mit neongelber Flüssigkeit vor mir auf dem Tisch. Gekauft hätte | |
| ich Poncha sonst nie, denn seine Farbe erinnert an das mulmige Magengefühl | |
| nach Jugendabenden mit billigen Mischgetränken (je neonfarbener, desto | |
| besser). Doch die Neugier siegte – und dieser Cocktail aus | |
| Zuckerrohrschnaps mit Bienenhonig und Zitronensaft passt wirklich viel zu | |
| gut zu einer Sommernacht am Meer. So schön fruchtig, etwas säuerlich und | |
| ein bisschen gefährlich, weil die Süße den Alkohol vergessen lässt. | |
| Im Duty Free wanderte also ein Fläschchen fertiggemixter Poncha in meinen | |
| Rucksack, das seitdem mehrere rigorose Ausmistaktionen ungeöffnet überlebt | |
| hat. Denn leider erinnerte ich mich zurück im deutschen Grauwetter wieder | |
| daran, dass ich ja eigentlich gar keinen Alkohol mehr trinke. Auch meine | |
| Besuche fanden die Farbe nie verführerisch. Und der Atlantik, der ist weit | |
| weg. Julia Weinzierler | |
| ## Keine Ugali-Party | |
| Ich stellte mir das alles so vor: Meine Mutter würde mich vom Flughafen | |
| abholen, ich würde ihr von all den wilden Tieren in Kenia erzählen, zu | |
| Hause würde ich mein – vermutlich illegalerweise importiertes – Ugali | |
| auspacken und es sofort zubereiten. Denn in Zukunft würde ich ständig Ugali | |
| essen. Und ich würde alle dazu einladen, Eltern, Verwandte, Freund:innen, | |
| vielleicht auch ein paar Fremde. Damit alle was von meiner tollen Reise zur | |
| Familie meiner besten Schulfreundin hätten und in Zukunft wüssten, was ich | |
| überhaupt meine, wenn ich von „Ugali“ spreche. Ein bisschen Kenia in | |
| Berlin, ein bisschen weite Welt im Schulalltag einer 12-Jährigen. | |
| Ugali ist ein Brei aus Maismehl, Wasser und einer Prise Salz; eine von | |
| vielen Getreidebrei-Spielarten auf dem afrikanischen Kontinent, andernorts | |
| heißt er Fufu, Posho oder Pap. | |
| Geschmacklich ist Ugali ungefähr so aufregend wie Haferschleim, aber fester | |
| in der Konsistenz, und so kann man mit dem Brei zwischen Daumen, Ring- und | |
| Mittelfinger einen Löffel formen und damit Gemüse oder Fleisch aufnehmen – | |
| Sukuma wiki etwa, einen leicht bitteren Blattkohl. Klingt nach | |
| Kinderschreck, aber mit den Händen zu essen, das überzeugte mich. | |
| Zurück in Berlin kam es trotzdem anders: Ich packte aus, gab dem Mehl ein | |
| neues Zuhause in einer Dose und rührte es nicht mehr an. Und ein heimisches | |
| wildes Tier – die Mehlmotte – feierte später die Ugali-Party meiner Träum… | |
| Nora Belghaus | |
| ## Essig, kein Saft | |
| Die Flasche mit der goldgelben Flüssigkeit hatte mich geradezu angelacht | |
| zwischen all den matten grünen Kohlköpfen und dem eleganten Dunkelviolett | |
| des Radicchio auf dem Wintermarkt von Koper. „Frischer Apfelsaft“, so hatte | |
| ich mich gefreut und mir wenig später auf dem Balkon ein Glas davon | |
| eingeschenkt, um es in der wärmenden slowenischen Sonne zu trinken. | |
| Puh! Es war gar kein Saft, es war Apfelessig. Jabolčni kis und eben nicht | |
| Jabolčni sok. Doch aus dem Schock erwuchs Liebe, spätestens als ich | |
| festellte, dass eben dieser Apfelessig eigentlich die Essenz der | |
| K.-u.-k.-Küche darstellt. Nur mit ihm lässt sich der originale Geschmack | |
| eines (Erdäpfel-)Gulasch herstellen: Man muss die angerösteten Zwiebeln mit | |
| Jabolčni kis ablöschen. Seitdem gehört der slowenische Apfelessig zu den | |
| Dingen, die über die Alpen transportiert werden müssen, wenn es zurück nach | |
| Deutschland geht. Martin Reichert | |
| ## Pommes mit Sand | |
| Es war nicht mein erster Urlaub in Griechenland, aber der erste als | |
| Vegetarierin. Freundinnen und Kollegen hatten prophezeit, dass ich | |
| verhungern würde, inmitten von Bergen aus Grillfleisch. | |
| Als ich die Speisekarte der kleinen Taverne auf der Insel Serifos las, | |
| dachte ich an ihre Worte. Die vegetarischen Optionen waren so überschaubar | |
| wie der malerische Strand direkt vor uns. Immerhin hatten sie Pommes, und | |
| Pommes gehen immer – es sei denn, sie werden ohne Ketchup serviert. | |
| Sie wurden ohne Ketchup serviert. Ich könne stattdessen eine Portion | |
| Tzatziki bekommen, schlug die Kellnerin vor. Komische Kombi, dachte ich | |
| noch, aber Hauptsache was zum Tunken. | |
| Ach, ich war jung und dumm, jedenfalls bis zum ersten Bissen: | |
| Olivenölfettige, hausgemachte Pommes in einem cremigen Traum von Knoblauch, | |
| dazu griechischer Salat – so schmeckte also die erwachsene Version meines | |
| Schon-immer-Lieblingsessens. Ich wurde augenblicklich süchtig, aber zum | |
| Glück gibt es Patates tiganites und Tzatziki in wirklich jeder Taverne. Ja, | |
| ich habe es ausprobiert, an allen weiteren sieben Urlaubstagen. | |
| Warum ich sie zuhause trotzdem nie nachgemacht habe? Weil die wichtigste | |
| Zutat fehlt: der Sand an den Füßen. Franziska Seyboldt | |
| 22 Aug 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Maike Schulte | |
| Julia Weinzierler | |
| Franziska Seyboldt | |
| Nora Belghaus | |
| Jörn Kabisch | |
| Martin Reichert | |
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