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# taz.de -- Ode an das Pesto: Das grüne Wunder
> Pesto ist klein gehäckselte Italien-Sehnsucht. Puristen nehmen es mit
> Zutaten und Herstellungsart sehr genau. Dabei ist vieles möglich.
Bild: Grün, mit großem G wie in Genuss
Wir gehen in den Wald, Bärlauch sammeln, ganz nah am See. Es ist ein Date,
wir haben uns „live“ noch nie gesehen und ich finde es außergewöhnlich und
aufregend für ein allererstes Treffen, auch wenn wir nicht alleine sind.
Diverse Menschen sind an diesem grauen Aprilsamstag auf dieselbe Idee
gekommen: eine Oma mit Kind, Einzelgängerinnen, Pärchen, wir. Manche mit
Masken, die meisten ohne, der Wald ist groß genug. Alle bücken sich oder
hocken, suchen die besten Blätter, Jutebeutel überm Arm oder
Butterbrottüten in der Hand.
Es hat geregnet und das Wildkraut riecht intensiv, weiße Blüten verstecken
sich darunter wie Perlen. Die Bärlauch-Saison ist eröffnet. Und wenn ich an
Bärlauch denke, denke ich an Bärlauchpesto.
Diese Geschichte fängt aber schon einige Wochen früher an, als ich beim
Kühlschrankputzen einen Bund Dill vor mir halte, als wäre es ein
Blumenstrauß, den ich gerade jemandem reichen möchte. Nur bin ich alleine.
Und hungrig. Der Dill ist nicht mehr frisch und muss dringend verwendet
werden. Ich frage mich, was ich aus so einer großen Menge zaubern soll. Ich
könnte ein Pesto machen.
Bärlauchpesto ist halbwegs bekannt. Die klassische Pestovariante wird aus
Basilikum gemacht. Von Dillpesto habe ich hingegen noch nie etwas gehört.
Gibt es das? Und falls ja, „darf“ sich das Pesto nennen?
## Unzählige Rezepte
Die großen Fragen kläre ich später, denn ich habe Hunger. Im Internet finde
ich mehrere Dillpesto-Varianten: mit Mandeln oder Walnüssen, mit einer
Prise Petersilie, mit oder ohne Zitrone, mit oder ohne Knoblauch, mit oder
– für Veganer*innen – ohne Parmesan. Ich püriere die Zutaten mit dem
Mixer und koche dazu Tagliatelle. Den Rest esse ich am nächsten Tag zu
gebackenen Kartoffeln, gemischt mit einer Joghurtsoße. Beim zweiten Mal
mache ich das Dillpesto mit dem Mörser und merke sofort den Unterschied.
Ein bisschen wie Kartoffelpüree aus der Packung und hausgemachtes.
Mild und erfrischend ist Dillpesto, einfach und lecker, warum ist es kein
Klassiker wie das Basilikumpesto geworden? War die Mischung mit Joghurt
eine Sünde meinerseits? Gibt es die Puristen des Pestos? Und wenn ja, gibt
es dann auch die Rebellen?
Ich beginne meine Suche auf visitgenoa.it, der offiziellen Website der
Stadt Genua, denn die ersten Pestorezepte wurden 1863 in Ligurien
dokumentiert, im Nordwesten Italiens. Die Genuesen seien stolz auf das
„grüne Gold“, wie viele es nennen, sie essen es am liebsten mit
Trofie-Nudeln und richten sogar eine Weltmeisterschaft für Pesto aus dem
Mörser aus. Das pesto alla genovese ist eine geschützte
Ursprungsbezeichnung, das Rezept ist auch ein Kandidat für die
Unesco-Weltkulturerbe-Liste.
Man braucht dafür, so die Webseite, „nur“ sieben Zutaten: genuesisches
Basilikum, gereiften Parmesankäse, sardischen Schafskäse (Pecorino),
natives Olivenöl der ligurischen Riviera, Meersalz, Pinienkerne (aus Pisa
oder dem Mittelmeerraum) und ein oder zwei Zehen Knoblauch (aus Vessalico,
„wegen des leichten Geschmacks“). „Käsebruch oder Nüsse sind in manchen
Pestoversionen tolerierbar“ steht dort außerdem, „auf jeden Fall sollten
jedoch Cashewnüsse oder Petersilie vermieden werden“. Zu Dill finde ich
nichts.
## Der Mörser macht den Unterschied
Bei der weiteren Recherche stoße ich auf [1][ein Video bei Youtube], das
die Reaktionen von drei italienischen Spitzenköchen auf die meistgeklickten
Pestorezepte zeigt. Mal empören sie sich, mal machen sie sich lustig: über
Leute, die den Knoblauch vorab im Wasser kochen, und solche, die literweise
Olivenöl verwenden oder Zitrone. Alles wird mit großen Gesten betont und
der Mörser wird immer wieder als Hauptprotagonist ins Gedächtnis gerufen:
Ohne Mörser sei es kein Pesto, sondern eine grüne Soße!
Aber hat das noch niemand dem italienischen Starkoch Massimo Bottura
erzählt? Im [2][Zubereitungsvideo seines Basilikumpestos] werden Zutaten
wie Brotkrumen (statt Pinienkernen), Eiswürfel und Zucker eingesetzt, und
vor allem: Er wirft alles in den Mixer und lässt die Maschine arbeiten!
„Alles ist bei Pesto erlaubt“, sagt auch Kirsten Remstädt. Zusammen mit
Daniela Herzig hat sie den „Pesto Dealer“ gegründet. „Vorausgesetzt es
werden nur frische Kräuter und möglichst Biozutaten genutzt, und nichts
wird dabei gekocht, denn Pesto ist und bleibt Rohkost.“ Kräuter die zu hart
sind, wie Rosmarin, seien nicht ideal für Pesto, doch „Verbotenes“ gäbe es
nicht, erzählt mir die 50-Jährige in ihrem Laden in Berlin-Charlottenburg.
Seit 2006 bieten die Freundinnen hausgemachtes Pesto an, vor allem eigene
Kreationen, zum Beispiel Pesto mit Wasabi, Pesto aus Zitronenmelisse, die
„Bombay Prezzemolo“ mit Petersilie, Kurkuma, Curry und Chili oder das „Th…
Koriander Pesto“, Remstädts Liebling. „Die Exotischen“, wie sie die
ungewöhnlichen Sorten nennt, wirken lange in meinem Mund nach, frisch, süß,
scharf.
## „Pestare“ bedeutet „zerstampfen“
„Wir sind undogmatisch. Die Intensität ist für uns das Wichtigste. Man soll
jede Zutat schmecken können“, sagt Remstädt. Pesto – von italienisch
„pestare“ – bedeutet nichts anderes als „zerstampfen“. Und zerstampfe…
man alles!
Vor der Tür unterhalten sich zwei Frauen, jeweils ein Glas Weißwein in der
Hand. Sie warten auf ihr Mittagessen zum Mitnehmen. Kirsten Remstädt setzt
ihre Maske auf und geht zu ihnen. Die Betreuung der Kundschaft, das
Gespräch, die Beratung sei ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit. Daniela
Herzig sei der kreative Part der beiden, sagt Remstädt, und sie sei der
Dealer. Eine neue Kundin erkundigt sich, was sie zum Fisch nehmen soll und
bekommt einige Empfehlungen.
Ob „Traditionalist*innen“ unter den Kund*innen seien, möchte ich wissen.
Kirsten Remstädt blinzelt mich an, als verstehe sie meine Frage nicht und
sagt schließlich: „Als italienische Mamas einiger Kund*innen zu Besuch
waren, nahmen sie sich immer ein paar unserer Gläser nach Italien mit.“
Als ich von meinem Date im Wald zurückkomme und Freund*innen meine
Bärlauch-Fotos schicke, schreibt jemand: „Das ist gar kein Bärlauch.“ Rund
um Berlin wächst eine andere Variante, vor langer Zeit aus dem Kaukasus
mitgebracht. Der Geruch ist der gleiche, aber die Blätter sind etwas heller
und schmaler. Es besteht weniger Verwechslungsgefahr mit dem giftigen
Maiglöckchen, wie praktisch! Ich lerne also: Die Pflanze, die ich gesammelt
habe, heißt „Allium paradoxum“, auf deutsch: Wunder-Lauch oder seltsamer
Lauch.
Was für ein herrlicher Name für eine Pflanze! Also mache ich kein
Bärlauchpesto, sondern Wunderlauchpesto. Zum Glück weiß ich jetzt ja, dass
alles erlaubt ist.
2 May 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=dkI9qg2YVI0
[2] https://www.youtube.com/watch?v=adyRuV2eJlM
## AUTOREN
Luciana Ferrando
## TAGS
Genuss
Italien
Pesto
italienische Küche
Kochen
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Ernährung
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