| # taz.de -- Franziska Giffey auf Sommerreise: Ich bin ja noch da | |
| > Die Familienministerin reist durch den Osten und will verstehen, warum | |
| > die AfD so erfolgreich ist. Und sie erklärt, warum sie nicht SPD-Chefin | |
| > wird. | |
| Bild: Giffey beim Rundgang in Eisenhüttenstadt: „Genug Kitas, aber zu langsa… | |
| Eisenhüttenstadt/Riesa/Finsterwalde taz | Franziska Giffey rauscht in das | |
| Mehrgenerationenhaus in Riesa in Sachsen. Geblümtes Kleid, weiße Jacke, | |
| blendende Laune. Sie ist morgens um 4 Uhr aufgestanden. Es ist 7 Uhr | |
| abends. Die Autobahn war gesperrt, und die Bundesfamilienministerin ist | |
| jetzt eine Stunde zu spät. | |
| Zum Ministerinnnenbesuch sind ein Dutzend vierjährige Mädchen aufgereiht, | |
| in Sonntagskleidern, um nun mehrere Lieder zum Vortrag zu bringen. Giffey | |
| sprüht vor Empathie, strahlt, schüttelt Kinderhände und ruft vergnügt: „U… | |
| die Erzieherinnen sind auch schick angezogen. Kommt heute noch jemand?“ | |
| Franziska Giffey, 41, kann das Steife auflösen, das Feierliche zerstäuben, | |
| einfach so. Die zwei Dutzend HauptstadtjournalistInnen, die sie auf ihrer | |
| Sommerreise nach Eisenhüttenstadt, Finsterwalde und Riesa in den Osten | |
| begleiten, unterhält sie im Bus auch mal mit einem Ostquiz: Ostdeutscher | |
| Eierkuchen? Plinse, ruft jemand im Bus. Juut, sagt die Ministerin. | |
| Sie ist ein Kommunikationstalent, zupackend, geerdet, handfest, ein wenig | |
| so, wie es Regine Hildebrandt war. | |
| ## Immer das Positive im Blick | |
| In Eisenhüttenstadt, gegründet als Stadt zum Werk, ist die Abwanderung noch | |
| massiver als in anderen Oststädten. Seit 1990 hat sich die Einwohnerzahl | |
| halbiert. Viertel wurden abgerissen, BewohnerInnen umgeschichtet, so | |
| Bürgermeister Frank Balzer. Giffey nickt und signalisiert wie stets | |
| Verständnis dafür, dass es Zumutungen waren, mit denen viele im Osten nach | |
| 1990 zu tun hatten. | |
| Sie kommt aus Frankfurt/Oder. Das Krankenhaus, in dem sie geboren wurde, | |
| steht auch nicht mehr. Ihre Eltern wurden 1990 arbeitslos, wie viele. Mehr | |
| aber als Verluste nimmt die Ministerin entschlossen das Positive in den | |
| Blick, bestaunt sanierte Häuser in Eisenhüttenstadt und lobt, dass es genug | |
| Kitaplätze gebe. | |
| Nur die Bahnverbindung nach Berlin müsse schneller werden, damit sich die | |
| Eisenhüttenstädter nicht abgehängt fühlten. Verständnis ja, aber die | |
| „Jammer-Ossi-Nummer“ ist nichts für sie. In der Bierstube des Restaurants | |
| Aktivist teilt sie dann noch spontan Erbensuppe aus. Man würde sie sofort | |
| zur Elternsprecherin wählen. | |
| Viele, die so locker, auf Augenhöhe reden können, hat die SPD nicht. | |
| [1][Doch SPD-Chefin wird Giffey nicht werden.] Wegen der Doktorarbeit, bei | |
| der sie vor zehn Jahren allzu locker mit Zitaten umgegangen sein soll. | |
| Falls die Freie Universität Berlin ihr den Titel aberkennt, will sie auch | |
| als Ministerin zurücktreten. Giffey will sich die gehässigen Artikel | |
| ersparen, den Vorwurf, am Amt zu kleben, der auch ihre street credibility | |
| ruinieren würde. | |
| Und vielleicht zahlt sich ihre Konsequenz, falls sie den Doktortitel | |
| verliert, später mal aus. In Brandenburg und Berlin ist die SPD in miesem | |
| Zustand und könnte irgendwann eine vitale, zupackende Führungskraft | |
| brauchen. Auf Nachfrage nach ihrer Karriere reagiert Giffey lässig: „Ich | |
| bin ja nicht weg, ich bin ja noch da“, sagt sie überzeugend munter vor der | |
| Bierstube in Eisenhüttenstadt. Sie wirkt wie jemand, der mit sich im Reinen | |
| ist. | |
| Bei solchen Ministerinnentouren soll Politik auf Wirklichkeit treffen. Die | |
| ist natürlich gefiltert, in Szene gesetzt. So läuft man durch die hübsch | |
| renovierten Quartiere in Eisenhüttenstadt, nicht etwa durch Brachen. In | |
| Finsterwalde wird die Rückkehrer-Inititative Comeback besucht, die bei | |
| Kita, Job, Wohnung hilft wenn Ex-Finsterwalder aus dem Westen in die Heimat | |
| wollen. Eine forsche Unternehmerin präsentiert wiederverwendbare Windeln, | |
| die auch ökologisch wertvoll sind. | |
| Warum, fragt Giffey unvermittelt, wählen so viele AfD? Sven Guntermann, | |
| Vereinsvorsitzender von Comeback, glaubt, dass viele im Osten genervt | |
| seien, „weil uns gesagt wird, wie wir zu leben haben“. Es ist das Gefühl, | |
| nicht Autor des eigenen Schicksals zu sein. Giffey nickt, weiß aber auch | |
| nicht, was da zu tun ist. Es liegt jenseits des Zuständigkeitsbereichs des | |
| Familienministeriums. Überzeugte AfD-WählerInnen trifft Giffey in | |
| Eisenhüttenstadt, Finsterwalde und Riesa nicht. | |
| Als die Mauer fiel, war die Ministerin elf. In der Schule, erzählt sie, | |
| hieß es damals: „Wir sind jetzt in der Marktwirtschaft. Jetzt gibt es keine | |
| Einsen mehr.“ Für Giffey, die ehrgeizige Aufsteigerin, schon. Nach dem | |
| Mauerfall war sie mit den Eltern bei Karstadt am Hermannplatz in Neukölln. | |
| Kaum zu glauben, sagt sie, dass sie dort später Bürgermeisterin wurde. | |
| Ihr Leben erscheint Franziska Giffey als ein Geschenk, und sie ist | |
| entschlossen, es glücklich zu bestaunen, solange es geht – und die | |
| Prüfungskommission der Freien Universität mitspielt. | |
| 23 Aug 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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