| # taz.de -- Rassistische Ausfälle im Fußball: Aufgehetzte Atmosphäre | |
| > Binnen einer Woche bietet der deutsche Fußball jede Menge Stoff zum Thema | |
| > Rassismus. Neu ist das nicht, aber dennoch ist einiges erheblich anders. | |
| Bild: Tolle Woche: Clemens Tönnies, mit Faust und Blick in die Kamera, jubelt … | |
| Bis vor einer Woche war alles noch so schläfrig ruhig. Die größte | |
| existenzielle Frage, welche die Fußball-Community in Deutschland bewegte, | |
| lautete: Sané oder nicht Sané? Und auch abseits des Rekord- und | |
| Schlagzeilenmeisters Bayern München beschäftigte man sich mit ähnlich | |
| gelagerten Problemen. Wer kommt oder kommt doch nicht, wer geht oder geht | |
| doch nicht? | |
| Aber plötzlich – zack, zack, zack – fördert der deutsche Fußball binnen | |
| einer Woche gleich drei Geschichten zu Tage, die intensive Debatten über | |
| Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Nahverhältnisse zu Neonazis zur Folge | |
| haben. Was ist denn nun los? | |
| Die ehemaligen Dortmunder Fußballprofis Norbert Dickel und Patrick | |
| Owomoyela versuchen als Kommentatoren eines Freundschaftsspiels des BVB | |
| gegen Udine Calcio zu punkten, indem sie die Gegner abwertend „Itaker“ | |
| nennen und einen Spieler Lasagne statt Lasagna. Rassistisch ist das zwar | |
| nicht, aber peinlich erschreckend. Der Schalker Funktionär und | |
| Fleischunternehmer Clemens Tönnies vergiftet beim angeblichen Versuch, das | |
| Erdklima zu retten, mit einer rassistischen Bemerkung [1][das | |
| gesellschaftliche Klima]. Zwanzig Kohlekraftwerke, sagt er bei einem | |
| Vortrag in Paderborn, solle man den Afrikanern spendieren, „dann würden die | |
| Afrikaner aufhören. Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, | |
| Kinder zu produzieren“. | |
| Und beim Drittligisten Chemnitzer FC outet sich Publikumsliebling und | |
| Kapitän [2][Daniel Frahn als Fan von Neonazifans]. Der verletzte Stürmer | |
| schaut sich die Auswärtspartie seines Teams in Halle mit rechtsextremen | |
| Szenegrößen aus Chemnitz, mit denen er offenbar auch angereist ist, an. Bei | |
| der fristlosen Entlassung durch den Verein zeigt er sich nach dessen | |
| Aussage uneinsichtig. Das sei seine Privatsache gewesen. | |
| ## Kollektive Demütigungen | |
| Natürlich gibt es im deutschen Fußball fremdenfeindliche und rassistische | |
| Vorfälle und Debatten schon lange. In den finsteren 1980er Jahren brüllten | |
| noch Hunderte in den Bundesligastadien lautstark „Husch, husch, husch, | |
| Neger in den Busch“, wenn Souleyman Sané, der Vater des heutigen | |
| Nationalspielers Leroy, den Rasen betrat. Rassismus war ein | |
| Massenschauspiel, die Stadien Orte kollektiver Demütigungen, der | |
| Handlungsbedarf riesig. Mit Hilfe von Faninitiativen, Sozialarbeitern, | |
| Vereinen und Verbänden konnte eine Gegenkultur entwickelt werden, die den | |
| Rassismus weitgehend aus den Arenen drängte oder zumindest zum Schweigen | |
| bringen konnte. Weg war er nie. Und mancherorts wie in Aachen oder | |
| Braunschweig erkämpften sich rechtsextremistische Fangruppierungen ihr | |
| Terrain zurück, in Cottbus und Chemnitz hatten sie sowieso ihre Nischen. | |
| Bei den fremdenfeindlichen und rassistischen Vorfällen der vergangenen | |
| Woche geht es dagegen jeweils, und das ist eine interessante Gemeinsamkeit, | |
| nicht um das Verhalten des häufig problematisierten Publikums, sondern der | |
| Akteure des Fußballgeschäfts. Ähnlich wie das bereits in der Özil-Debatte | |
| im vergangenen Jahr war, als man vor allem dem damaligen DFB-Chef Reinhard | |
| Grindel vorwarf, den rassistischen Shitstorm gegen den deutschen | |
| Nationalspieler befeuert zu haben, indem er ihn nach dem deutschen | |
| WM-Ausscheiden an den Pranger stellte. | |
| Nun sind die Protagonisten und Angeklagten ein Funktionär, ein Profi und | |
| zwei Ex-Profis. Und die Kläger im Falle von Schalke und Dortmund sind | |
| gerade die Aktiven aus der Fanszene, die sich als Sprachrohr der großen | |
| Masse verstehen, weil sie deren Schweigen als Zustimmung interpretierten. | |
| Sie haben sich in den letzten Tagen als moralische Instanz positioniert und | |
| mit ihren massiven Protesten für Aufmerksamkeit gesorgt. Eine derartige | |
| Verkehrung der Lage wäre wohl vor gut 30 Jahren unvorstellbar gewesen. | |
| Den Geschichten in Dortmund und Chemnitz ist gemein, dass durch die | |
| Prominenz und teils große Popularität der Angeklagten die Debatte darüber, | |
| was geht und nicht geht, offener und konturenloser wird. Die | |
| antirassistische Fanszene auf Schalke muss feststellen, dass der | |
| vermeintliche Konsens darüber, was Rassismus ist, auch unter den Schalker | |
| Fans gewaltig bröckelt. In sozialen Netzwerken werden sie von nicht wenigen | |
| als Spalter und Feinde des Vereinsfriedens wahrgenommen, als das | |
| eigentliche Problem ausgemacht. Diese Folgen der Aussagen von Clemens | |
| Tönnies sind mindestens genauso verheerend. Zivile Errungenschaften werden | |
| wieder verhandelbar. Rassismusrelativierer gewinnen an Macht. | |
| ## Verschreckte Fanszene | |
| Überraschend ist das eigentlich nicht in einem Land, in der die Zustimmung | |
| für eine Partei stetig wächst, die sich teils offen rassistisch zeigt und | |
| die Grenze des Sagbaren beharrlich ausweitet. Das verdeutlicht auch der | |
| Applaus, den Tönnies auf seine rassistischen Aussagen hin in Paderborn vom | |
| gutbürgerlichen Publikum erhielt. Aber einige in der Fanszene sind doch | |
| verschreckt, wie gewaltig ihre bislang so heile Welt ins Wanken gerät. Der | |
| Fall Tönnies zeigt, dass man mit dem berechtigten Feiern vergangener | |
| Erfolge aufhören und sich den Gefahren der Gegenwart stellen muss. | |
| In Chemnitz sind die Voraussetzungen völlig andere. Nach vielen Jahren des | |
| Herumlavierens tritt hier die Vereinsführung als Korrektiv auf und stellt | |
| sich klar und deutlich gegen Publikumsliebling Frahn, der ein Nahverhältnis | |
| zu Rechtsextremisten pflegt. Aber auch hier hat der Fußballprofi eine | |
| Debatte unter den Fans losgetreten, was geht und was nicht geht. Viele | |
| CFC-Anhänger, die über die sozialen Netzwerke die Klubführung attackieren, | |
| sind der Ansicht, es sei völlig in Ordnung, wenn Frahn mit Neonazis | |
| Freundschaften pflegt und im Vereinstrikot für eine offene und bunte | |
| Gesellschaft wirbt. Ersteres sei ja schließlich seine Privatsache. | |
| Dass nun innerhalb kürzester Zeit der wegen seiner Passivität und | |
| Gleichgültigkeit verschrieene Chemnitzer FC zum Vorbild konsequenter | |
| Anti-Rassismus-Maßnahmen taugt – insbesondere für den bislang eher | |
| vorbildhaften Schalke 04 –, offenbart auch, wie rasch gerade alles | |
| durcheinandergeraten kann, wie wenig festgefügt die Haltungen bei manchen | |
| Klubs sind, wie schnell auch Stimmung erzeugt werden kann. | |
| ## Björn-Höcke-Journalistenpreis | |
| Letzteres machte sich obendrein der Springer-Verlag diese Woche zunutze. | |
| Die Sport-Bild präsentierte eine große Enthüllungsgeschichte. Bakery Jatta, | |
| der Fußballprofi des Hamburger SV, der als Flüchtling nach Deutschland kam, | |
| soll sich bei seiner Einreise eine falsche Identität zugelegt haben, um als | |
| Minderjähriger besser Chancen auf Asyl zu haben. Dabei hat er, wie sich nun | |
| herausstellte, nie einen Asylantrag gestellt. Und bewiesen ist die | |
| Geschichte mit der falschen Identität [3][ebenfalls noch nicht]. | |
| Dennoch heizte die Bild-Zeitung die Stimmung gegen Jatta mit Schlagzeilen | |
| wie „HSV-Star drohen fünf Jahre Haft und Abschiebung“ an. Und | |
| Bild-Sportchef Walter M. Straten enthüllte, welche Assoziationsketten | |
| Flüchtlinge bei ihm auslösen: „Das einzig Positive: Jatta (oder wie immer | |
| er nun wirklich heißt) ist keiner, der uns als Mensch Angst macht. Kein | |
| Islamist, Terrorist, Schwerkrimineller. Er will einfach nur Fußball | |
| spielen.“ Der Kommentar las sich so, als wolle Straten einfach nur vorab | |
| schon einmal den noch nicht ausgeschriebenen Björn-Höcke-Journalistenpreis | |
| für rechtsgeflügelte Worte gewinnen. | |
| Man darf gespannt sein, wie die Chemnitzer Fans Jatta am Sonntag beim | |
| DFB-Pokalspiel in dieser aufgehetzten Atmosphäre empfangen werden, wenn der | |
| Hamburger SV im Stadion an der Gellertstraße zu Gast sein wird. Wenn Jatta | |
| Glück hat, sind einige von ihnen vielleicht zu sehr mit | |
| Frahn-Solidaritätsbekundungen beschäftigt. Vielleicht aber fühlen sich | |
| einige auch durch das konsequente Durchgreifen der Vereinsführung ermutigt, | |
| sich vernehmlich antirassistisch bemerkbar zu machen. Die Ereignisse der | |
| vergangenen Woche legen nahe, dass künftig diese politischen | |
| Spannungsfelder in einigen Stadien sicht- und hörbarer werden. | |
| 9 Aug 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Johannes Kopp | |
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