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# taz.de -- Schorsch Kamerun über Theater: „Die Volksbühne ist eine Scholle…
> Warum macht er ein Bauhaus-Requiem? Schorsch Kamerun über Punk sowie den
> frisch berufenen Volksbühnen-Intendanten René Pollesch.
Bild: Regisseur Schorsch Kamerun auf der Probenbühne
taz am wochenende: Schorsch Kamerun, zwölf Jahre nach „Der kleine Muck ganz
unten“ die Rückkehr als Theaterregisseur an die Berliner Volksbühne, wie
fühlt sich das an?
Schorsch Kamerun: Erst einmal gut. Ich empfinde eine Verbundenheit der
Volksbühne gegenüber, den Leuten, die da arbeiten und der speziellen,
eigensinnigen Haltung. Auch wenn es hier natürlich sehr unterschiedliche
Farben gibt. Ich habe hier eine Menge erlebt. Abhebende Abende im Prater,
ich habe bei Schlingensief-Sachen mitgemacht, zusammen mit Kolleg*innen
politische Kongresse organisiert. Durch die Volksbühne habe ich mich für
Theater interessiert. Davor war ich genau zweimal in solchen Häusern.
Einmal bei Peter Zadek in Hamburg bei „Andi Z“, weil die Einstürzenden
Neubauten da mitspielten und ich die kannte. Und einmal war ich in Berlin
im „Zerbrochenen Krug“ mit der Schulklasse. Eine traumatische Erinnerung.
Mein dritter Theaterbesuch war dann ein eigener Auftritt mit den Goldenen
Zitronen in der Volksbühne. Die Volksbühne erlebte ich als einen Raum, der
am offensten mit Genres, Diskursen, aber auch mit inneren und äußeren
Widersprüchen umging.
Was schien denn das Besondere der Volksbühne?
Es ist eine Sehnsuchtsinsel für die Suche nach einem künstlerischen und
politischen Ausdruck für Nicht-Ausrechenbarkeit, Experimentierverlangen und
fordert weiterhin konsequent die Wagnisse, mit denen sie sich erfunden hat.
Nächste Woche hat „Das Bauhaus – Ein rettendes Requiem“ hier Premiere.
Warum inszeniert Schorsch Kamerun ausgerechnet das Bauhaus, diesen Stein
gewordenen Mythos der Moderne?
Es ist eine Auftragsarbeit von „Projekt Bauhaus“, der
Architekturzeitschrift Arch+ und der Volksbühne. In der Inszenierung nähern
wir uns dem besonderen Urmoment der Moderne an, 1919. Das alte Europa war
gescheitert. Alles musste grundneu gedacht werden. Nach der Monarchie und
dem Desaster des Ersten Weltkriegs lautete die Kernfrage, wie können wir
ein Zusammenleben neu organisieren. Und sehr bildlich gedacht, auch neu
gestalten. Im Bauhaus steckt sehr viel drin: von Architektur bis
Ausdruckstanz. Die Genres zusammengefasst an einem Ort, an dem sie
gemeinsam versuchen, ein notwendiger Neubeginn, als Manifest und Utopie. Im
Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert kamen ja bereits viele
lebensreformerische Konzepte auf. [1][Monte Verita] in Ascona. Oder sich
die Welt als Musik vorzustellen. Feine Gedanken. Was mich jetzt weniger
interessiert, ist die beweisführende Geschichtsschreibung. Oder welcher
Stuhl am längsten durchhält. Plus all die ganzen rivalisierenden
Strömungen. Ich gehe auf den Ausgangspunkt. Der Nullmoment 1919 war wie ein
neu ausgeschriebener Bauauftrag zur noch zu erfindenden, progressiven
Kulturpolitik. So ähnlich wie bei der Räterepublik, als einmalig Künstler,
Schriftsteller, Autorinnen real verantwortungsführende Politik gestalteten.
Das ist der superinteressante Augenblick des Bauhauses.
Und wie bezieht man dies auf einen Theaterraum?
Auch an einer Volksbühne kann das Laborhafte, das Schaffen und Vorführen
aus einem Kollektiv heraus im Vordergrund stehen. Das experimentell
Ungeregelte und die herbeigeführte Abstraktion. Wir versuchen,
fragmentarisch und mit sehr unterschiedlichen Gruppen und Genres ein
gemeinsames Grundfragen-Versuchsfeld durchzuspielen.
Und die Bauhaus-Moderne dabei durch Plastik-Zelte zu ersetzen, wie ich das
vorhin im Bühnenbild von Katja Eichbaum gesehen habe?
Wir spielen mit Architekturfragen, mit Materialzuschreibungen und allen
möglichen Codes, die lebendig oder erledigt sind. Wir wollen eine
fragewürdige Trance herstellen, um in eine möglichst offene Zukunft zu
schauen. Für mich als Hamburger ist dabei der Spielort Volksbühne ebenso
eine Scholle wie unser Golden Pudel Club. Es sind Fantasieplätze des
Unkalkulierbaren. Und als einen solchen sehe ich auch das frühe Bauhaus.
Wie stark sind der frühere Punk und [2][die Goldenen Zitronen] als Prinzip
bei der heutigen Theaterarbeit präsent?
Das läuft parallel bei den Bandmitgliedern. Nachdem wir als Gruppe recht
früh mit der immer gleichen Erwartungshaltung konfrontiert wurden, haben
wir Techniken entwickelt, dem auszuweichen. Und wir haben kapiert, dass die
kritischste Kunst am schnellsten im Museum landet.
Bezieht sich das jetzt auf die Volksbühne?
Nicht unbedingt. Wir haben viel großartiges Personal am Start, arbeiten mit
assoziativen Überschreibungen. Die Zuschauer werden sich in unserer
Konzertinstallation frei durchs Haus gehend begegnen.
Und Kopfhörer bekommen, warum?
Du gehst durch ein Live-Filmset, in dem eine psychedelische,
nichtgeistliche Messe stattfindet und versucht, die genannten Grundfragen
durchzuspielen. Darunter eine erdenferne Opernsängerin, ein optimierender
Markenbeschleuniger, jemand testet A. S. M. R., Anne Tismer erzählt ein
eigenes, zukünftiges Institut, auch die Zeitschrift Arch+ tagt in einer
Expertenrunde. Das ganze Theater wird mit seinen Skills, den
professionellen und den extra fragilen Kräften neu gemischt, Das ist schon
auch wie beim [3][Pudel-Prinzip]. Als wir in Hamburg begannen, zu stabil
geratene Dinge anders zusammenzuwerfen, teils umzukehren. Etwa Techno mit
Country zu mixen und dazu hat noch jemand eine fiese Forderung vorgetragen.
An der Inszenierung ist auch eine Klasse der Universität der Künste, das
Jugendtheater P14 der Volksbühne sowie die Etage, eine Tanzgruppe,
beteiligt. Was bringen sie ein?
Ihre jeweiligen Möglichkeiten. Wir spielen das Publikum dabei nicht an, es
ist eine an einem besonderen Ort anzuschauende Überschneidung
unterschiedlicher Strategien.
Happening, Event, Revue – was trifft es am ehesten?
Widersprüchliches Spektakel, würde ich sagen. Es ist auch immer der
Situationismus, der mich interessiert.
Aber Guy Debord hat den Begriff der „Gesellschaft des Spektakels“ doch
eindeutig negaitv besetzt?
Er hat die Ambivalenzen darin als Erstes verstanden. Die Situationisten
haben Gleichzeitigkeiten vorausgesehen, wussten, dass sie Programm und
Marke werden würden. Oder anders gesagt: Dass die Festlegung schon gleich
der eigene Tod ist. Wie auch Malcolm McLaren, der als überzeugter
Situationist eine Punk-Band animiert (die Sex Pistols) und diese zum
ausführbaren Nihilismus bringt. Also, wir sind hart verarscht worden als
Punker. Punk war somit auch ein gelungenes Lehrstück, eine
situationistische Inszenierung, funktionierte aber immerhin als
Konventionen aufreißende Irritation. Wir hatten dann trotzdem schnell keine
Lust mehr, die Erwartungen des „Cash from Chaos“- Prinzips zu erfüllen.
Seit jetzt 40 Jahren trete ich auf und mache mein Zeugs. Anfangs als reiner
Dilettant, inzwischen längst als, weiterhin zweifelnder, Profiausprobierer.
Eine reine Feier des Bauhauses kann ich von daher jetzt auch auf keinen
Fall hinnehmen.
Also nicht einfach im Freischwinger Platz nehmen?
Natürlich nicht. Beim Bauhaus wurde da definitiv der Sack zugemacht. Und
weil das Bauhaus vergessen hat, seinen Namen rechtlich ordentlich zu
betreuen, gibt es heute eben auch eine Baumarktkette, die sich Bauhaus
nennt.
Das Theater verändert sich laufend. Viele RegisseurInnen arbeiten nun
genreübergreifend, oder auch mit externen Personal und Laien. Wie nimmt das
ein Schorsch Kamerun wahr?
Als Chance. Die Theater sind gut ausgestattet, so etwas gibt es sonst nur
im Filmstudio. Sie sind den Städten als offene Kunsträume geschenkt, wenn
sie sich denn als solche begreifen. Das hat die Volksbühne immer klar
verstanden und ist teils extra offensiver als andere damit umgegangen.
Ab der Spielzeit 21/22 wird nun [4][René Pollesch] das Haus leiten …
Ich finde René hat eine Spielweise, wie er es nennt, die sich stark eignet,
auf ein partizipatives Theater übertragen zu werden. Die gerechte
Schwierigkeit ist es, einen solch offenen Weg im Alltag nicht zum starren
Prinzip werden zu lassen.
Eine Selbstmusealisierung, das muss aber nicht sein?
Das ist der Punkt. Es muss nicht sein. Ich würde nie sagen, dass kluge
Ansätze sich immer auch selbst auslöschen am Ende, was der Situationist ja
behauptet. Der sagt: Sobald du behauptest, du bist Punk, hast du dich
beerdigt. In der Kunst ist es der Tod der Freiheit, wenn du auf etwas
Freiheit draufschreibst. Trotzdem gibt es Strategien, die Festlegungen zum
Wackeln bringen können, den Dadaismus, Scheitern als Möglichkeit,
Künstlergruppe CoBrA, Träume, Sun Ra, das Abheben, Räusche, die Welt
verlassen. Die Erzählungen in der Volksbühne haben schon oft den
Widerspruch oder die Reflektion über sich selbst beinhaltet. Wichtig ist
aber auch: Theater gehören niemandem.
16 Jun 2019
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## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
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