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# taz.de -- Abschiebung statt Ausbildung: Der Himmel in Kreuzberg
> Das Restaurant Kreuzberger Himmel will Jawed Rahmani aus Afghanistan
> ausbilden. Aber der wartet seit Monaten in Cottbus auf eine
> Ausbildungsduldung.
Bild: Jawed Rahmani im Restaurant „Kreuzberger Himmel“
Jawed Rahmani steckt fest. Der aus Afghanistan geflüchtete 21-Jährige hat
zwar die Zusage für einen Ausbildungsplatz in einem Restaurant in
Kreuzberg, aber bisher keine Erlaubnis, mit der Ausbildung auch anzufangen.
Sogar ein Zimmer in Berlin hat Rahmani schon gefunden, doch er darf nicht
ohne Weiteres aus Cottbus wegziehen.
Von der Ausländerbehörde in Cottbus, wo der aus Afghanistan stammende
Flüchtling registriert ist und bei der er seine Anträge auf
Ausbildungsduldung und Umverteilung nach Berlin gestellt hat, fühlt er sich
nicht nur abgewimmelt, sondern auch massiv unter Druck gesetzt. Termine
dort versetzten ihn regelmäßig in Angst, sagt Rahmani. „Statt meine
Ausbildung zu genehmigen, sagen die Mitarbeiter*innen zu mir, dass ich
zurück nach Afghanistan gehen soll. Sie haben mir Geld angeboten, wenn ich
gehe. Aber ich möchte nicht.“
Als er den Sachbearbeiter*innen seinen Ausbildungsvertrag vorgelegt habe,
hätten sie diesen nicht akzeptiert. „Sie haben gesagt: wenn du nicht gehst,
kommt die Polizei zu deiner Tür und du musst aufmachen“, sagt er. Seine
Angst und Unruhe hätten seitdem noch zugenommen.
Rahmani kam im August 2015 aus Afghanistan nach Deutschland. Für sein
Asylverfahren wurde er in Cottbus untergebracht, wo er seit drei Jahren
lebt. Das Bamf lehnte seinen Asylantrag ab. Er klagte gegen die Ablehnung,
hatte vor Gericht aber keinen Erfolg. Damit ist er „vollziehbar
ausreisepflichtig“.
## Seit einem Dreivierteljahr bemüht er sich um einen Pass
Mit einer Ausbildung könnte er seinen Aufenthalt über die
Ausbildungsduldung sichern. Dass die Ausländerbehörde diese nicht
genehmigt, hält seine Rechtsanwältin Myrsini Laaser für falsch. „Wir haben
die Ausbildungsduldung bereits im August 2018 beantragt und darauf besteht
auch ein Rechtsanspruch, wenn die Voraussetzungen vorliegen“, sagt sie.
Darüber hinaus stünde es Berlin frei, seiner Umverteilung zuzustimmen.
Rahmani bemühe sich seit mehr als einem Dreivierteljahr um seinen Pass, um
an seiner Identitätsfeststellung mitzuwirken. Der Streitpunkt mit der
Ausländerbehörde ist, ob er damit seine Pflichten ausreichend erfüllt hat.
Im Kreuzberger Himmel, einem Restaurant in der Nähe des Mehringdamms,
warten sie nun schon Monate darauf, dass Rahmani seine Ausbildung zur
Fachkraft im Gastgewerbe antreten darf. Fast alle, die in dem Restaurant
arbeiten, haben einen Fluchthintergrund, die meisten kommen aus Syrien,
Afghanistan, Iran oder Irak.
Gründer des Restaurants ist der Verein Be an Angel, der seit 2015
Geflüchtete in Berlin unterstützt. Der Kreuzberger Himmel bildet seit
Dezember 2017 bis zu sechs Azubis gleichzeitig als „Fachkräfte im
Gastgewerbe“ aus und bietet außerdem eine Einstiegsqualifizierung an, die
auf einen Ausbildungsplatz vorbereitet. „Wir verstehen dies als Sprungbrett
und als Hilfe zur Selbsthilfe“, sagt Linda Naddaf, freiwillige Helferin bei
Be an Angel. Sie erzählt, dass ehemalige Auszubildende inzwischen ins Grand
Hyatt oder ins Estrel Hotel gewechselt seien, um dort ihre Ausbildung
fortzusetzen.
## Trotzdem kommt Rahmani schon jetzt ab und zu vorbei
Auf der Karte steht gehobene syrische Küche: Bekanntes wie Hummus und
Tabbouleh, Vorspeisen aus Auberginen oder Bohnen, der Brotsalat Fattoush.
Und auch weniger Bekanntes wie Fatteh, eine warm-sämige Soße aus
Sesampaste, Joghurt, Kichererbsen, geröstetem Brot und Granatapfelkernen,
die sich nicht nur um das dazugehörige Gemüse, sondern auch in jede
Magennische schmiegt.
Für die Mitarbeiter*innen bedeutet das Restaurant auch Gemeinschaft: Schon
nachmittags, bevor das Restaurant offiziell öffnet, sitzen einige
Mitarbeiter*innen an den langen Tischen beisammen, oft schauen ehemalige
Kolleg*innen, manche auch mit ihren Kindern, auf einen Tee vorbei, um zu
erzählen und ihre Freunde zu treffen.
Auch Rahmani kommt ab und zu vorbei. Den Verein hatte er bei seiner Ankunft
in Deutschland in Berlin kennengelernt, bevor er nach Cottbus verteilt
wurde, und den Kontakt gehalten.
Die Unterstützung durch Be an Angel ist ihm wichtig. „In Cottbus gehe ich
nach 20, 21 Uhr abends nicht mehr allein nach draußen und habe keinen
Kontakt zu deutschen Leuten“, sagt er. „Dort, wo ich wohne, gibt es viele
Nazis, sie sitzen oft an einer Haltestelle und meinen Kumpel haben sie dort
mit einer Flasche ins Gesicht geschlagen.“ Auch ihn hätten sie schon
bedroht. „Ich möchte gern nach Berlin umziehen, der Verein und das
Restaurant geben mir Hoffnung.“ Besonders jetzt, wo die Ausländerbehörde
Cottbus ihn nur noch auf eine freiwillige Ausreise dränge und ihm mit
Abschiebung drohe. „Ich kann nicht nach Afghanistan zurückgehen“, sagt
Rahmani. Sein Vater sei tot, sein Onkel habe ihn misshandelt und bedroht,
er habe dort keinerlei Kontakte mehr und sei seines Lebens nicht sicher.
## Rückkehrförderung ist erklärtes Ziel in Brandenburg
Seit 2016 hat das Land Brandenburg fünf Menschen direkt nach Afghanistan
abgeschoben, darunter auch solche aus dem Zuständigkeitsbereich der
Ausländerbehörde Cottbus. Außerdem hat das Land zwischen 2015 und 2017
insgesamt 170 Asylsuchende aus Afghanistan im Rahmen der sogenannten
freiwilligen Rückkehr Geld dafür gezahlt, dass sie nach Afghanistan
ausreisen. Die Rückkehrberatung und Rückkehrförderung ist erklärtes Ziel
des Innenministeriums, das nach eigenen Angaben die Ausländerbehörden
entsprechend schult.
Außerdem hat das Ministerium an die Ausländerbehörden Anwendungshinweise
unter anderem dazu herausgegeben, wie die Ausbildungsduldung umzusetzen
ist. Demnach können Ausländerbehörden eine Ausbildungsduldung verweigern,
wenn die Antragsteller*innen nicht ausreichend dabei mitwirken, ihre
Identität zu klären, und sich etwa weigern, bei der jeweils zuständigen
Botschaft einen Pass zu beantragen. Denn ein fehlender Pass führe in vielen
Fällen dazu, dass Menschen weiter in Brandenburg geduldet würden. Daher
möchte das Ministerium verhindern, „dass diese an sich vollziehbar
ausreisepflichtigen Personen ihren Aufenthalt verfestigen“.
Rahmani wäre im Kreuzberger Himmel nicht der erste Auszubildende aus
Cottbus. „Drei andere Menschen konnten sich erfolgreich nach Berlin
umverteilen lassen und eine Ausbildung bei uns beginnen“, sagt Andreas
Tölke, Vorstand von Be an Angel. „Es hat jedes Mal gedauert, aber es war
ansonsten die gleiche Konstellation wie bei Jawed Rahmani. Wir haben alles
vorgelegt, Cottbus könnte einfach einen Haken dahinter machen“, sagt er.
Allerdings habe er auch von anderen Initiativen gehört, dass sich
Ausländerbehörden zunehmend weigerten, eine Ausbildungsduldung zu
genehmigen. Der Verein habe unter anderem bei der Berliner Innenverwaltung
und bei der Sozialverwaltung um Klärung und Unterstützung gebeten, er habe
auch mit Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) das Gespräch gesucht,
sagt Tölke. „Man hört uns an, wir bekommen ein Schulterklopfen für die
Arbeit, die wir im Restaurant und als Verein täglich machen, aber es
passiert nichts“, sagt er. Aber auch, wenn es viel Zeit, Geld und Nerven
kostet: Aufgeben wollen sie nicht.
2 Jun 2019
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Afghanische Flüchtlinge
Abschiebung
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Handwerk
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Cottbus
Abschiebung
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Elke Breitenbach
Elke Breitenbach
Flüchtlinge
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