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# taz.de -- Imagekampagne für Handwerksberufe: Die philosophierende Tischlerin
> Das Handwerk hat ein Imageproblem. Immer mehr junge Menschen wollen
> lieber Kopfarbeit verrichten. Nun soll's eine Kampagne richten.
Bild: Je „geistiger“ ein Beruf wirkt, desto angesehener wird er wahrgenomme…
Berlin taz | Jimmy Pelka ist ein toller Typ. Er pendelt zwischen Bad
Mergentheim und den Arabischen Emiraten hin und her, rüstet Luxusautos von
Scheichs und Autofans auf und fährt selbst Porsche. Auf Instagram sieht man
den gelernten KFZ-Mechaniker und Firmenchef durch die Gegend düsen,
irgendwo in der Wüste, neben ihm ein arabischer Auftraggeber.
Ein aufregendes Leben führt auch Johanna Röh, Tischlerin. Sie hat nach
ihrer Lehre die Welt bereist, in den USA, in Südamerika, in Asien
gearbeitet. Man sieht sie in Kluft neben einem japanischen Meister, einem
Sensei, sitzen. Jetzt führt sie einen ökologisch orientierten
Tischlereibetrieb in Deutschland und wirbt in den sozialen Medien für das
Handwerk.
HandwerkerInnen sind cool – das ist die Botschaft einer [1][Imagekampagne]
des Handwerks, die schon länger läuft, aber jedes Jahr immer wieder ein
bisschen aufgemöbelt wird. Pelka und Röh sind die neuesten BotschafterInnen
in den sozialen Medien. Davor sah man Plakate mit einer Friseurin und dem
Spruch: „Ich schneide keine Haare. Ich rette dein nächstes Date“. Oder
einen Heizungstechniker mit: „Die Welt war noch nie so unfertig. Heiz ihr
ein“.
„Ich halte die Imagekampagne für richtig“, sagt Joachim Gerd Ulrich,
Berufswahlforscher beim [2][Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB),] „denn
die Kampagne richtet sich nicht nur an junge Leute, sondern auch an die
Allgemeinheit. Das ist klug, denn die Berufswahl findet stets auf einem
‚sozialen Resonanzboden‘ statt, wird also auch davon beeinflusst, wie
Dritte über Berufe denken“.
Der soziale Resonanzboden ist hart geworden für das Handwerk, das Vielen
als die mindere Lehre gilt im Vergleich zu einer intellektuellen, einer
technischen, einer kaufmännischen Ausbildung. „Das Problem ist das Abitur,
die meisten Schüler wollen heute das Abitur machen. Und dann heißt es: ‚Ich
mache doch nicht das Abitur, um Handwerker zu werden‘“, berichtet Daniela
Wilke, Berufsberaterin bei der Bundesagentur für Arbeit in Berlin,
„außerdem herrschen immer noch die alten Vorurteile über das Handwerk“.
## Zahl der unbesetzten Lehrstellen vervierfacht
Ackerei ohne Ende, kaputte Knie, Staub und Schmutz auf der Hose, wenig Geld
und irgendwelche privaten Auftraggeber, die immer was zu mosern haben und
sich toll fühlen, wenn sie dem Handwerker einen Fünf-Euro-Schein als
Trinkgeld in die Hand drücken – Gewinner sehen anders aus.
Das Imageproblem hat Folgen: Die Zahl der unbesetzten Lehrstellen im
Handwerk hat sich innerhalb von zehn Jahren bis zum Jahre 2018
vervierfacht, so das BiBB. Ende August 2019 seien im Handwerk noch 30.000
Ausbildungsplätze offen gewesen, heißt es beim Zentralverband des Deutschen
Handwerks. 368.000 Auszubildende gab es 2018 im Handwerk. Und 2,8 Millionen
Studierende.
Auch bedingt durch die Demographie hat sich der Lehrstellenmarkt gewandelt,
„weg von einem Markt für die Betriebe hin zu einem Markt für die Bewerber
und Bewerberinnen“, sagt Susanne Eikemeier, Sprecherin bei der
Bundesagentur für Arbeit.
Was junge Leute wollen, was sie sich von einem Beruf erwarten, ist daher
mehr und mehr in den Fokus der Forschung gerückt. Die Familie nehme großen
Einfluss, betont Ulrich. „Eltern wollen in der Regel, dass ihr Kind einen
höherwertigen oder zumindest gleichwertigen Bildungsabschluss erlangt als
sie ihn selbst haben“, sagt er. Viele Eltern, die studiert haben, wollen
nicht in ihrem akademischen Bekanntenkreis erklären müssen, dass ihr
Nachwuchs „nur“ Handwerker lernt, während die Kinder der andern irgendwo im
Ausland studieren. „Dieses Anerkennungsbedürfnis der Eltern in Hinblick auf
Bildung und Beruf der Kinder ist nicht zu unterschätzen“, so Ulrich.
Laut einer [3][Befragung] bei Neunt- und Zehntklässlern an zumeist
allgemeinbildenden Schulen kam für fast die Hälfte der jungen Befragten
eine spätere Arbeit im Handwerk nicht in Frage, bei Mädchen noch weniger
als bei Jungen. Noch am stärksten ausgeprägt war die Neigung zum Handwerk,
wenn zumindest ein Elternteil selbst eine Handwerkslehre durchlaufen hatte
oder wenn es im Verwandtenkreis weitere HandwerkerInnen gab.
Aber hier sei zu differenzieren, sagt Wilke. „Wenn die Eltern glücklich und
erfolgreich waren in ihrem Handwerksberuf, dann raten sie den Kindern zu.
Wenn sie aber selbst Phasen der Arbeitslosigkeit, vielleicht sogar die
Insolvenz eines Kleinbetriebs erlebt haben, dann werden sie abraten vom
Handwerk“.
## Der Verdienst schreckt manche ab
Dabei spielt der Verdienst eine große Rolle. Die gewerkschaftsnahe
[4][Hans-Böckler-Stiftung kam in einer Untersuchung] zu dem Schluss, das
ArbeitnehmerInnen im Handwerk im Schnitt 20 Prozent weniger verdienen als
Beschäftigte in der Gesamtwirtschaft, in der AkademikerInnen die Verdienste
nach oben ziehen. Auch die Tatsache, dass HandwerkerInnen meist in kleinen
Betrieben arbeiten, in denen mancherorts nicht mal Tariflöhne gezahlt
werden, drückt den Verdienst.
Wer mehr Geld verdienen will, muss nach dem Gesellenbrief den
[5][Meisterbrief erwerben] und sich selbständig machen. Der Zentralverband
des Deutschen Handwerks weist in einer Erklärung daraufhin, dass Handwerker
mit Meisterbrief im Berufsleben „etwa gleich viel oder sogar mehr als
Bachelorabsolventen“ verdienen können.
Doch der Weg zum Meister erfordert Durchhaltevermögen. Und die Imagefrage
bleibt: Nicht nur die Herkunftsfamilie, auch Gleichaltrige, potentielle
PartnerInnen, entscheiden über das soziale Ansehen eines Berufes und damit
auch darüber ob junge Leute eine Ausbildung im Handwerk beginnen. „Viele
Frauen haben heute höhere Schul- und Studienabschlüsse, sie wollen in der
Regel Männer, die einen ebenso hohen Abschluss haben, wer ein Handwerk
erlernt, fürchtet dann möglicherweise um die Chancen auf dem
Partnerschaftsmarkt“, sagt Ulrich.
Ulrich berichtet auch davon, dass junge Frauen in der Universitätsstadt
Heidelberg, die selbst Einzelhandelskauffrau lernten, ihre berufliche
Ausbildung lieber verschwiegen und sich als Studentinnen ausgaben, um für
die Jungs von der Uni interessanter zu wirken.
## Trennung zwischen Geist und Körper
Das Image, das ein Beruf habe, gründe oftmals noch „auf dem alten Schisma,
der Trennung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit“, sagt Ulrich. „Je
‚geistiger‘ ein Beruf wirkt, desto angesehener ist er“. Körperliches
Geschick werde hingegen nicht so hoch bewertet, haben die Befragungen
ergeben.
Wobei körperliches Geschick bei einigen akademischen Berufen entscheidender
sein kann als Intellektualität, wie jeder weiß, der schon mal an einen
ungeschickten Zahnarzt geraten ist. „Chirurgen, Zahnärzte üben letztlich
handwerkliche Tätigkeiten aus, aber sie legen immer Wert darauf, dass es
akademische Berufe sind“, sagt Ulrich. Umgekehrt erfordert heute das
Handwerk eines Anlagenmechanikers sehr gute mathematische und technische
Kenntnisse.
Die Assoziationsketten, die eine Tätigkeit auslöst, entscheiden mit über
deren Image, zeigt sich auch in den [6][Statistiken über unbesetzte
Lehrstellen der Bundesagentur für Arbeit.] Alles was in Richtung Schmutz,
Abfall, Tod geht, ist schlechter angesehen als Tätigkeiten, die irgendwas
mit Kultur, Kunst, Schönheit zu tun haben. Klempner werden nicht so
wertgeschätzt wie Goldschmiede, Müllfahrer sind nicht so angesehen wie
Privatchauffeure, Fleischer sind nicht so beliebt wie Konditoren. Obwohl
die Gesellschaft eher zusammenbrechen würde, wenn es keine Klempner und
Müllfahrer gäbe als wenn man auf Privatchauffeure und Goldschmiede
verzichten müsste.
„Manchmal kann man mit einer Änderung der Berufsbezeichnung schon eine
Aufwertung erreichen“, sagt Ulrich, “‚Gestalterin für visuelles Marketin…
klingt anspruchsvoller als ‚Schaufensterdekorateur‘, obgleich es sich um
den selben Beruf handelt.“ Auch Fachkraft für Kreislauf- und
Abfallwirtschaft klingt besser als „Müllmann“.
## Zehn Millionen Euro pro Jahr fürs Image
Das Image einer Tätigkeit wird durch die Medien mitgeprägt. Als vor Jahren
im deutschen Fernsehen die US-Amerikanische Serie „Six Feet Under“ lief,
über eine Bestattungsfirma und das aufregende Leben der BestatterInnen, da
bekundeten plötzlich mehr junge Leute Interesse an einer Ausbildung zum
Bestatter, erzählt Wilke. „Wir bräuchten mal eine richtig coole Serie, die
sich um eine Handwerksbude dreht“, meint sie, „sonst sieht man doch immer
nur Serien mit Ärzten, Rechtsanwälten oder einer Werbeagentur“.
Die Imagekampagne, gesteuert vom Zentralverband des Deutschen Handwerks,
kostet zehn Millionen Euro im Jahr, läuft schon seit 2010 und soll auch
noch über das Jahr 2020 hinaus weitergehen, heißt es beim Verband. Mit
Plakaten, Werbebannern, Spots auf Youtube, Instagram und in anderen
sozialen Medien wird geworben.
Am Image des Handwerks arbeitet auch Bildungsministerin Anja Maria-Antonia
Karliczek (CDU). Sie will den [7][Begriff „Bachelor Professional“] als
Ergänzung für einen Handwerker mit Meistertitel einführen. Der Bundesrat
ist dagegen, weil ein „Bachelor“ nun mal etwas anderes sei als ein
berufserfahrener Handwerksmeister. Der Bundesrat schlug den Begriff des
„Junior Professionals“ als Ergänzung für einen Meistertitel vor, was
umgehend den Zentralverband auf die Barrikaden brachte, der es lächerlich
findet, gestandene Handwerksmeister als „Juniors“ zu titulieren.
Wilke beobachtet aber eine Trendwende, die das Handwerk positiver dastehen
lässt. Das liegt nicht nur am Fachkräftemangel im Handwerk, der vielen
privaten KundInnen inzwischen unangenehm auffällt, wenn sie lange auf
Termine warten müssen. „Wenn den jungen Leuten klar wird, dass sie nach
einer Ausbildung im Handwerk aufsteigen, sich selbständig machen, ein
Studium anschließen können, dann entscheiden sie sich vielleicht doch, nach
dem Abitur erstmal eine handwerkliche Ausbildung zu beginnen“, erzählt sie.
Das Motto der Imagekampagne des Handwerks mit dem technisch ausgefuchsten
Autotuner, der weitgereisten philosophierenden Tischlerin, dem
futuristischen Modellbauer, lautet: „Ist das noch Handwerk?“. Es ist der
Versuch, die Unterordnung der „Handarbeit“ unter die „Kopfarbeit“ ad
absurdum zu führen. Und das ist gut so.
20 Oct 2019
## LINKS
[1] https://handwerk.de/
[2] https://www.bibb.de/datenreport/de/aktuell.php
[3] https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/9349
[4] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&…
[5] /Meisterpflicht-im-Handwerk/!5621242
[6] https://www.statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/201908/iiia5/…
[7] https://www.bmbf.de/de/bbig-novelle-das-sind-die-wichtigsten-aenderungen-86…
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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